Kandidieren Sie neuerlich für das Parlament?
IRMGARD GRISS: Meine Antwort ist mehrschichtig. Ich kandidiere nicht mehr. Ich höre aber nicht auf, mich politisch zu engagieren. Ich habe mir das schon sehr überlegt. Die Arbeit im Parlament sagt mir sehr zu und ist eine wirkliche Bereicherung. Ich habe mit jungen Leuten zu tun, die sehr engagiert sind und etwas machen wollen. Als Abgeordnete muss man auch eine begründete Meinung zu verschiedenen Themen bilden. Das ist eine schöne Herausforderung.
Warum kandidieren Sie dann nicht mehr?
GRISS: Die Arbeit ist schon anstrengend. Die Tätigkeit lässt wenig Zeit für andere Dinge. Ich habe Familie, es gibt so viele Bücher, die ich noch gerne lesen würde. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch geschenkt wird.
Ich bin überrascht, als Bundespräsidentin wären Sie bis 2022 im Amt gewesen?
GRISS: Das Amt des Bundespräsidenten ist etwas anderes. Zwar gab es jetzt eine Sondersituation, die Van der Bellen sehr gut gemeistert hat. Sonst ist das Amt sehr stark mit Repräsentationsaufgaben verbunden, weniger mit dem Gestalten von Politik. Ich bin die älteste Abgeordnete, ich will keinen Rekord aufstellen. Außerdem ist es gut, wenn man rechtzeitig aufhört und die Leute dann sagen: Schade, dass sie nicht mehr im Parlament ist.
Statt hinausgetragen zu werden?
GRISS: Genau, und jeder dann sagt: Gott sei dank ist sie nicht mehr da.
Sie beenden Ihre Polit-Karriere?
GRISS: Das würde ich nicht sagen. Ich bringe mich noch voll in den Wahlkampf ein, denn ich finde, die Neos sind eine wichtige Kraft, weil sie genau die Anliegen vertreten, die mir wichtig sind: Bildung, Sicherung der Pension, eine Ökologisierung der Steuerreform, Transparenz in der Politik. Neos tritt für die richtigen Positionen ein.
Sollten die Neos der nächsten Regierung angehören, stünden Sie als Ministerin zur Verfügung?
GRISS: Das kann ich nicht sagen, das müsste man sich dann ansehen.
Für die Wahl stehen Sie nicht zur Verfügung, für ein Ministeramt schon? Das verstehe ich nicht.
GRISS: Man muss zwei Dinge unterscheiden. Wenn ich kandidierte, gehe ich davon aus, dass ich ins Parlament komme. Ein Ministeramt ist äußerst unsicher, fast unwahrscheinlich.
Sie haben mit Kurz und Strolz 2017 an einer Plattform gebastelt. Wie weit waren Sie?
GRISS: Das war schon konkret. Es war für mich keine leichte Entscheidung, ob ich das mit Kurz oder den Neos mache. Im Nachhinein bin ich sehr froh.
Wären Sie gern Teil der Kurz-Regierung gewesen?
GRISS: Ich hätte diese Politik nicht mittragen können. Jedes Thema in einen Zusammenhang mit der Migration zu bringen, hat mich extrem gestört. Das bringt die Gesellschaft auseinander. Mit dem Schaffen von Feindbildern hätte ich nichts anfangen können. Ich hätte aufhören müssen.
Sollte sich eine türkis-pinke Koalition ausgehen, würden Sie Neos davon abraten?
GRISS: Das hängt davon ab, welche Politik Kurz macht. Ich halte ihn für sehr anpassungsfähig.
Wünschen Sie sich, dass die Neos der nächsten Regierung angehören?
GRISS: Ich würde mir wünschen, dass die Neos einige ihrer wichtigen Projekte umsetzen können. Würde die Politik so weiter geführt werden wie bisher, wäre Österreich vielleicht schon auf dem Weg in eine Demokratie, die stärkere autoritäre Züge trägt. Was in der Stadthalle war, ist etwas, was ich nicht fassen kann. Kurz ist offenbar sehr wandlungsfähig.