In den vergangenen zwei Wochen ist in der österreichischen Innenpolitik kein Stein auf dem anderen geblieben. Begonnen hat es mit dem Ibiza-Video, das Vizekanzler Heinz-Christian Strache den Job gekostet und die Regierung letztlich zu Fall gebracht hat. Am Ende steht eine Expertenregierung mit der ersten Kanzlerin der Republik, Brigitte Bierlein.
Eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse:
17.5.: Um Punkt 18 Uhr veröffentlichen "Spiegel" und "SZ" ein heimlich gefilmtes Video, in dem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Klubobmann Johann Gudenus im Juli 2017 mit einer vermeintlichen russischen Investorin in Ibiza über Staatsaufträge für millionenschwere Spenden sprechen, ebenso von einer Übernahme der "Kronen-Zeitung" und von der Privatisierung des Wassers. Noch am selben Abend finden Gespräch mit Kanzler Sebastian Kurz und Strache statt, man einigt sich darauf, dass Strache und Gudenus zurücktreten und die türkis-blaue Regierung bestehen bleibt.
18.5.: Schon in der Früh sickert durch, dass Strache vor seinem Rücktritt steht. Für Mittag werden Erklärungen von Strache und im Anschluss von Kurz anberaumt. Mittags tritt Strache von den FPÖ-Ministern flankiert vor die Presse und erklärt seinen Rücktritt. Wenig später erklärt auch Gudenus via Aussendung den Rückzug aus allen Ämtern.
18.5.: Die von Kurz erwartete Erklärung verzögert sich indes. Vor dem Bundeskanzleramt versammeln sich Demonstranten, die den ganzen Tag ausharren. Im Hintergrund beginnt zwischen ÖVP und FPÖ ein Poker um das Innenministerium. Die ÖVP will die Gunst der Stunde nutzen, um Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), der immer wieder für negative Schlagzeilen sorgt, loszuwerden. Die stellt sich quer und lässt sich ihren "besten Innenminister der Zweiten Republik" nicht aus der Regierung schießen. Am Abend kündigt Bundeskanzler Kurz die Koalition mit der FPÖ mit den Worten "genug ist genug" auf und Neuwahlen an. Die SPÖ verlangt eine Nationalratssondersitzung, die später eine bedeutende Rolle spielen soll.
19.5.: Bundespräsident Alexander Van der Bellen kündigt nach einem Gespräch mit Kurz Neuwahlen für September an. Die FPÖ designiert Verkehrsminister Norbert Hofer zum Nachfolger Straches als Parteichef. Die ÖVP kündigt an, dass Kurz die Entlassung von Kickl beantragen wird. Kickl ernennt vor seiner bevorstehenden Abberufung seinen Vertrauensmann Peter Goldgruber zum Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, diese Bestellung wird später aber vom Bundespräsidenten nicht unterschrieben und damit auch nicht wirksam.
20.5.: Nach der Ankündigung von Kurz, Kickl zu entlassen, avisieren auch die restlichen blauen Minister ihren Rücktritt. Kurz kündigt eine Übergangsregierung mit Experten an. Die Liste JETZT kündigt einen Misstrauensantrag gegen Kurz in der Nationalratssondersitzung an, FPÖ und SPÖ schließt ihre Zustimmung dazu nicht aus. Die Wiener FPÖ nominiert Dominik Nepp zum Obmann und damit zum Nachfolger von Strache.
20.5.: In Linz kündigt die SPÖ die Zusammenarbeit mit der FPÖ auf, auf Landesebene verlässt Sicherheitslandesrat Elmar Podgorschek (FPÖ) die oberösterreichische Landesregierung. Er war 2018 mit einer Rede bei der deutschen AfD, in der er einige umstrittene Aussagen tätigte, unter Druck geraten.
21.5.: Van der Bellen stimmt der Entlassung Kickls und den Rücktritten der übrigen FPÖ-Minister zu. Außenministerin Karin Kneissl hält sich nicht an die FPÖ-interne Abmachung und bleibt im Amt. Kickl setzt noch eine letzte provokante Amtshandlung: Er erlässt die Verordnung zur Senkung des Stundenlohns für Asylwerber für gemeinnützige Tätigkeiten auf 1,50 Euro. Diese wird später von seinem Kurzzeit-Nachfolger Ex-OGH-Präsident Eckart Ratz wieder zurückgenommen.
21.5.: Am Abend werden die neuen Minister bekannt: Ratz folgt auf Kickl, der langjährige Sektionschef im Sozialministerium, Walter Pöltner, übernimmt die Agenden von Beate Hartinger-Klein, Johann Luif, stellvertretender Generalstabschef und Leiter der Generalstabsdirektion beerbt Verteidigungsminister Mario Kunasek, die Chefin der Flugsicherung Austro Control, Valerie Hackl, übernimmt von Hofer das Infrastrukturministerium. Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) wird statt Strache Vizekanzler.
22.5.: Kurz stellt seine Übergangsregierung vor. Diese wird von Van der Bellen angelobt und hält ihren ersten Ministerrat ab.
23. und 24.5.: Kurz ringt um den Verbleib seiner Regierung im Amt, nachdem ein Misstrauensvotum gegen ihn immer wahrscheinlicher wird. Er empfängt die Parteichefs und die Landeshauptleute zu Gesprächen. Innenminister Ratz beruft Goldgruber als Interims-Leiter der Generaldirektion ab und zieht die 1,50 Euro-Verordnung zurück.
26.5.: Bei den EU-Wahlen fährt die ÖVP mit 35, 4 Prozent einen Triumph ein, die FPÖ (17) verliert trotz des Ibiza-Videso nur wenig, die SPÖ verliert ebenfalls leicht und landet bei enttäuschenden knapp 24 Prozent. Die Grünen geben mit 14 Prozent ein erstes starkes Lebenszeichen nach dem Rauswurf aus den Nationalrat von sich. Die NEOS bleiben bei rund acht Prozent. Der SPÖ-Präsidium spricht sich einstimmig für ein Misstrauensvotum gegen die gesamte Regierung aus.
27.5.: SPÖ, FPÖ und die Liste JETZT bringen mit einem Misstrauensvotum in einer historischen Nationalratssitzung die Regierung Kurz zu Sturz.
28.5.: Van der Bellen enthebt das Kabinett Kurz des Amtes, um es gleich darauf mit der interimistischen Fortführung der Amtsgeschäfte unter der Führung von Löger zu betrauen. Kurz scheidet sofort aus selbst macht klar, dass er sein Nationalrats-Mandat nicht annimmt.
30.5.: Van der Bellen stellt VfGH-Präsidentin Brigitte Bierlein als künftige erste Bundeskanzlerin Österreichs bis zur Bildung einer neuen Regierung nach den Wahlen im September vor. Vizekanzler und Justizminister soll Ex-VwGH-Präsident Clemens Jabloner werden, Botschafter Alexander Schallenberg Außenminister.
2.6.: Bierlein gibt nach intensiven Verhandlungen die Entscheidung für ihr Kabinett bekannt. Dieses umfasst künftig zwölf Minister, Staatssekretäre gibt es keine. Für den offenbar recht umkämpften Posten des Innenministers sieht der Vorschlag der Übergangs-Kanzlerin schlussendlich den Präsidenten der Finanzprokuratur, Wolfgang Peschorn, vor.
3.6.: Die neue Regierung Bierlein wird angelobt.
5.6.: Wegen des Ibiza-Videos droht Ex-FPÖ-Chef und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache nun weiteres Ungemach. Der ehemalige SPÖ-Kanzler Christian Kern klagt Strache wegen dessen Aussagen nun auf Verleumdung.
13.6.: Der Nationalrat hat die Immunität des freiheitlichen Mandatars Markus Tschank aufgehoben. Die "Auslieferung" erfolgte einstimmig. Tschank war selbst dafür eingetreten, dem Ersuchen der Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft nachzukommen. In der Angelegenheit geht es um eine Spätfolge der Ibiza-Affäre.
17.6.: Der nach dem Ibiza-Skandal zurückgetretene FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache nimmt das EU-Mandat, das er dank 45.000 Vorzugsstimmen bei der EU-Wahl bekommen hat, nicht an.
1.7.: Juristische Niederlage für ÖVP-Chef Sebastian Kurz in der Ibiza-Affäre: So wird Kurz in dem der APA vorliegenden Entscheid untersagt, öffentlich die Sozialdemokraten bezüglich Herstellung und Veröffentlichung des Ibiza-Videos, das die Karriere von FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache zumindest unterbrochen hat, zu verdächtigen.
11.7.: Der "Heimatverein ProPatria - Für Niederösterreich", der im Zuge der "Ibiza-Affäre" ins Visier der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) geraten ist, existiert nicht mehr. Laut Vereinsregister wurde er am 18. Juni aufgelöst. Mehrere Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) waren dort tätig, Kassier war auch ÖVP-Politiker Gernot Blümel.
20.7.: Die an Kuriosem ohnehin nicht arme Ibiza-Affäre ist am Samstag um ein weiteres ungewöhnliches Kapitel ergänzt worden. Die Polizei ermittelt gegen einen ÖVP-Mitarbeiter, der kurz nach Ausbrechen des Skandals Daten aus dem Kanzleramt schreddern hat lassen - und das mit falschem Namen und vor allem ohne zu bezahlen. Die anderen Parteien verlangen geschlossen Aufklärung.
22.8.: Die Journalisten der "Süddeutschen Zeitung" Frederik Obermaier und Bastian Obermayer, die das Ibiza-Video von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus zugespielt bekommen haben, bieten tiefe Einblicke in die Entstehung ihrer Ibiza-Geschichte und in den gesamten Inhalt des Videos.
2.9.: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat bei ihren Ermittlungen keinen Zusammenhang zwischen der Schredder-Affäre in der ÖVP und dem Ibiza-Video, das die FPÖ-Spitzenpolitiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus zu Fall brachte, gefunden.