In der Demokratie seien Respekt und Dialog nötig, mahnte Bundespräsident Alexander Van der Bellen, bevor er Dienstag am Vormittag Bundeskanzler Sebastian Kurz und die gesamte Bundesregierung gemäß Artikel 74 Absatz 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes aus dem Amt enthob.
Dabei übte er indirekt auch erstmals Kritik am scheidenden Kanzler: Die Situation zeige, "wie wichtig Gespräche sind", sagte Van der Bellen. Es reiche in einer Demokratie eben nicht, "wenn man mit den anderen nur redet, wenn man sie braucht". Und er fügte an: "Das rächt sich dann." In einer Demokratie benötige es einen "tragfähigen Dialog zwischen den einzelnen Politikern" und einen grundsätzlichen Respekt. Dies sei auf lange Sicht notwendig, Social-Media-Kampagnen allein tragen auf Dauer nicht, kritisierte Van der Bellen, ohne Kurz explizit zu nennen.
Der Präsident sagte zu Beginn der Amtshandlung auch: "Wir alle wollen das Beste für das Land. Das sollten wir im Auge behalten und nicht jede Minute auf dem herumreiten, was uns trennt." Das Video von Ibiza ("Wie spricht man das eigentlich aus....?") schaffe ein verstörendes Bild von Österreich, so der Bundespräsident mit einer launigen Einlage. Dieses müsse nun schrittweise wieder verändert werden: „Das sind wir der Bevölkerung, der Verfassung und unserem Selbstverständnis schuldig.“
Kurz war nicht mehr dabei
Kurz selbst war freilich bei dem Termin gar nicht anwesend - das ist bei Abberufungen nicht nötig und größtenteils auch nicht üblich. Kanzleramtsminister Gernot Blümel rechtfertigte Kurz' Abwesenheit damit, dass es am Montag noch ein Gespräch zwischen dem ÖVP-Chef und dem Bundespräsidenten gegeben habe. Dabei habe Kurz versichert, dass er "jede Entscheidung zu 100 Prozent unterstützen wird", erklärte Blümel vor Journalisten.
Zudem betonte Blümel, dass man derzeit die "professionelle Übergabe" vorbereite, und dass man mit dem Bundespräsidenten noch nicht über Namen gesprochen habe. Gefragt, wer für die Übergangsregierung infrage kommen könnte, meinte Blümel nur: "Das ist die Entscheidung des Bundespräsidenten."
Regierung arbeitet noch weiter
Die Regierung wird vorläufig weiterbetraut, nur Kurz scheidet sofort aus. Die Amtsgeschäfte als Regierungschef führt für wenige Tage der bisherige Vizekanzler Hartwig Löger weiter. Er wird heute zum abendlichen Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs nach Brüssel reisen.
Einen (neuen) Vizekanzler gibt es derzeit übrigens nicht - das ist laut Verfassung und Bundesministeriengesetz nicht notwendig.
Doch es muss so schnell wie möglich ein neuer Bundeskanzler gefunden werden. Die neue Übergangsregierung soll bis Ende der Woche stehen, es könnte aber auch noch etwas länger dauern.
Seit 10 Uhr tagt das SPÖ-Präsidium, besprochen wird die Wahlschlappe vom vergangenen Sonntag. Personelle Konsequenzen soll es dabei nicht geben. Pamela Rendi-Wagner soll als Spitzenkandidatin für die NR-Wahl designiert werden, Thomas Drodza Bundesgeschäftsführer bleiben. Der Kärntner SPÖ-Chef Peter Kaiser sagt im Interview mit der Kleinen Zeitung, die SPÖ sei bisher "zu zögerlich und zu zaudernd" gewesen. Um ca. 14.30 Uhr gibt Rendi-Wagner eine Presseerklärung ab.
Am Nachmittag tagt der erweiterte Parteivorstand der Grünen, dabei wird vor allem die Frage diskutiert, ob die Grünen mit Werner Kogler, der eben erst ins EU-Parlament gewählt wurde, in den Nationalratswahlkampf gehen.
Hier informieren wir Sie über die aktuellen Entwicklungen des Vormittags:
11.56 Uhr: FPÖ beantragte Auflösung von zwei Vereinen
Zwei FPÖ-nahe Vereine haben am Dienstag ihre Auflösung beantragt. Es handelt sich um "Wir für H.C. Strache" sowie "Reformen - Zukunft - Österreich", die 2017 für den Nationalrats-Wahlkampf gegründet wurden. Bei beiden Vereinen habe es sich um sogenannte Personenplattformen gehandelt, die aber nie realisiert worden seien, sagte der freiheitliche Abgeordnete Markus Tschank zur APA.
11.53 Uhr: Warten auf die Vorzugsstimmen
Von vielen Kandidaten ist schon klar, dass sie ins EU-Parlament einziehen. Von anderen noch nicht, zum Beispiel Heinz-Christian Strache, von anderen ist ihre Rolle noch nicht klar, zum Beispiel Othmar Karas in der ÖVP.
11.45 Uhr: Regierung von Präsident entlassen
Der Präsident entlässt die Regierung und betraut sie - mit Ausnahme von Kurz - mit der einstweiligen Fortführung der Geschäfte.
11.10 Uhr: Kaiser kritisiert Zögerlichkeit
Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser glaubt, dass die SPÖ einiges ändern muss, um bei der Nationalratswahl reüssieren zu können. Man werde direkt auf die Leute zugehen müssen und klare Ansagen machen, sagte er. Den Grund für die SPÖ-Niederlage am vergangenen Sonntag, sieht er in der Zögerlichkeit in der Partei nach dem Platzen der Regierung.
10.50 Uhr: SPÖ optimistisch bis kritisch
Vor Beginn der SPÖ-Sitzung orten Rendi-Wagner und Drozda in der Partei eine gute, optimistische Stimmung. Der Tiroler Landesparteichef Georg Dornauer hingegen würde "alles in Frage stellen". Er hielte nichts davon, Rendi-Wagner oder Drodza auszutauschen, man müsste aber vielleicht "erfahrene Menschen rekrutieren". Namentlich nannte er den früheren Bundesgeschäftsführer Max Lercher, der von Rendi-Wagner abgesetzt worden war. Die Kampagne zur EU-Wahl, so Dornauer, habe ihm jedenfalls nicht gefallen. Es sei ein etwas liebloser Wahlkampf gewesen.
10 Uhr: Kurz nimmt kein Nationalratsmandat an
Laut Informationen der "Presse" wird der abgesetzte Bundeskanzler Kurz kein ÖVP-Mandat im Parlament annehmen. Dies erfuhr die Presse aus Kreisen des ÖVP-Nationalratsklubs.
8.45 Uhr: Abbiegen bei Rot gestoppt
Der Linzer Vizebürgermeister Markus Hein (FPÖ) legt das Projekt Rechtsabbiegen bei Rot auf Eis.Grund ist die bevorstehende Neuwahl. Er wisse nicht, ob der nächste Verkehrsminister hinter dem Vorhaben stehen werde, begründete Hein den Schritt.
8.20 Uhr: Schickhofer gegen vorgezogene Neuwahlen
Der steirische SPÖ-Chef und Vizelandeshauptmann Michael Schickhofer lehnt vorgezogene Landtagswahlen in der Steiermark ab: "Wir sollten uns die Krise aus Wien nicht in die Steiermark holen. Wir sind gewählt, um zu arbeiten. Die Steiermark verdient sich Sicherheit und Stabilität."
7.15 Uhr: "Gift für die Demokratie"
SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried sagt im Ö1-Morgenjournal: "Jeder Anschein, dass Politik käuflich ist, ist Gift für die Demokratie." Er bezieht sich auf einen von der SPÖ im Nationalrat eingebrachten Antrag zur Deckelung der Parteienfinanzierung.
6.00 Uhr: Koger "bestes Pferd im Stall"
Innsbrucks grüner Bürgermeister Georg Willi plädiert dafür, dass Parteichef und EU-Spitzenkandidat Werner Koglerseine Partei als Spitzenkandidat in die Nationalratswahl führt: "Er ist unser bestes Pferd im Stall."