Die SPÖ hat es bei der heutigen EU-Wahl nicht geschafft, vom Crash der türkis-blauen Regierung zu profitieren: Sie wird laut APA/ORF/ATV-Trendprognose mit 23,5 Prozent sogar 0,6 Prozentpunkte verlieren - obwohl ihr die Umfragen vor "Ibizagate" einen Anstieg auf 26 bis 28 Prozent verheißen hatten.
Die SPÖ sei für Platz eins "noch nicht soweit", man werde daran aber weiterarbeiten, so Sitzenkandidat Andreas Schieder. Wichtig sei,"dass wir nicht taktieren, sondern einfach unserem Herzen folgen", meinte er bezüglich der Haltung zur ÖVP.
"Lupenreiner Egoist Kurz"
Dass der EU-Wahlkampf in der letzten Wochen ausschließlich innenpolitisch überschattet gewesen sei, schrieb er nicht nur der FPÖ, sondern auch dem Bundeskanzler zu. Der "lupenreine Egoist" Sebastian Kurz (ÖVP) sei "gescheitert an sich selbst, und das wird die Antwort auch am Montag sein". Es sei "Zeit für einen politischen Neuanfang", meinte er unter dem Jubel der Anwesenden, ohne die kommende Misstrauensabstimmung im Nationalrat explizit zu erwähnen.
Man wolle "dorthin gehen, wo wir spüren, dass die Menschen das von uns erwarten". Im Übrigen gehe es ausschließlich um die Inhalte, "nicht um einzelne Kandidaten".
Jubel gab es auch für SJ-Chefin Julia Herr, vor allem für ihre Aussage: "Wir können morgen bereits eine korrupte Regierung abwählen." Auch sie versuchte Optimismus trotz des großen Rückstands zur ÖVP zu verbreiten: "Erster werden wir heute nicht mehr , aber vielleicht bei der nächsten." EU-Kandidatin Evelyn Regner hoffte auch am heutigen Abend noch auf eine Verbesserung: "Ich glaube, wir werden noch im Laufe des Abends was zu feiern haben."
"Nicht zufrieden"
SP-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda ist mit dem sich abzeichnenden Ergebnis der EU-Wahl "selbstverständlich nicht zufrieden". In einer ersten Reaktion im ORF meinte Drozda allerdings, der Wahlabend sei noch nicht vorbei und verwies auf die Schwankungsbreite der Trendprognose. Erfreulich sei jedenfalls, dass die Wahlbeteiligung gestiegen sei.
"Klare Wahlniederlage der SPÖ"
Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil sah am Sonntag nach der ersten Trendprognose zur EU-Wahl für die Sozialdemokratie "eine klare Wahlniederlage". Dies hänge damit zusammen, dass man zwei Aspekte nicht realisiert habe: Einer ersten Analyse zufolge habe man nicht mobilisieren können, "wenngleich die Wahlbeteiligung gestiegen ist. Die ÖVP hat hier besser mobilisiert, keine Frage."
"Ein zweiter Aspekt ist sicher jener, dass wir ganz einfach keinen Wähleraustausch zustande bringen zwischen Freiheitlicher Partei und Sozialdemokratie", sagte Doskozil in Eisenstadt. "Dieses Ergebnis bundesweit ist mit Sicherheit kein Ruhmesblatt für die Sozialdemokratie. Man muss ganz klar sagen, dass eine Partei und das ist die Volkspartei am heutiger Tag der Wahlsieger ist. Dazu muss man auch neidlos gratulieren", stellte der Landeshauptmann fest.
SPÖ will sich noch nicht festlegen
Noch nicht festlegen wollte sich Drozda, was den Misstrauensantrag gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Montag angeht. Mit dem bisherigen Verhalten des VP-Chefs ist er jedenfalls nach wie vor nicht zufrieden: "Vertrauensbildend ist es nicht."
Offenbar war es nicht der Wahlkampf von Spitzenkandidat Andreas Schieder, der der SPÖ das bescheidene Ergebnis bescherte, sondern die fehlende Aufbruchsstimmung unter Parteichefin Pamela Rendi-Wagner. Denn die EU-Wahl wurde laut den Meinungsforschern jetzt von vielen Wählern als Testlauf für die auf September vorgezogene Neuwahl des Nationalrates gesehen.
Reaktionen
Sehr ruhig haben die Besucher des SPÖ-Zelts in der Wiener Löwelstraße die erste Trendprognose zur EU-Wahl aufgenommen. Parteiprominenz war kaum zu sehen, lediglich Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl zeigte sich neben Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda und dessen Stellvertreterin Andrea Brunner öffentlich. Man hoffe noch, bisher gebe es ja nur Umfragedaten, lautete der Tenor. zum Schwenken vorgesehenen roten Fähnchen wurden gar nicht vweendet.
"Freuen tut man sich nicht", sagte Anderl. An ihrer Haltung zu ÖVP-Chef Sebastian Kurz ändere das nichts, meinte sie zur Frage des Misstrauensantrags gegen den Kanzler bzw. sein Kabinett. "Als Arbeiterkammer-Präsidentin und Interessensvertretung fällt es mir relativ schwer, dem Bundeskanzler das Vertrauen auszusprechen." Die Entscheidung liege aber bei den SPÖ-Abgeordneten, es seien noch viele Fragen offen.
Hoffen auf Wien
Die Wiener Landesparteisekretärin Barbara Novak wollte das prognostizierte Minus noch nicht als endgültig zur Kenntnis nehmen und wartete auf die ausgezählten Stimmen. "Ich hoffe auf Wien", sagte sie.
Der frühere SPÖ-Bundesgeschäftsführer und jetzige Politikberater Josef Kalina geht davon aus, dass die SPÖ am Montag im Nationalrat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) das Misstrauen aussprechen wird. Er glaube, dass Entscheidung dahingehend schon gefallen ist, sagte Kalina der APA.
Besser klare Position einnehmen
Als wesentlichen Indikator für diese Annahme nannte Kalina die kürzlichen Äußerungen von Burgenlands SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Die Hälfte der Wähler würde eine solche Vorgangsweise goutieren, glaubte Kalina. Die andere Hälfte, vor allem im ländlichen Bereich hingegen eher nicht. Angesichts des Wahlergebnisses stelle sich die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, bereits vor dem Urnengang eine klare Position einzunehmen. Aber dies gelte es nun zu untersuchen.
Kaiser: "Schmerzhaftes Ergebnis"
Der Kärntner Landeshauptmann und SPÖ-Chef Peter Kaiser spricht von “schmerzhaftem Ergebnis“. Die EU-Frage sei letzte Woche in den Hintergrund gerückt. Die ÖVP habe vom Kanzlerbonus, die FPÖ vom Mobilisieren für den Überlebenskampf profitiert, so Kaiser. Jetzt werde wohl die ganze Nacht im Bundesparteipräsidium heftig über das SPÖ-Verhalten beim Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz am Montag debattiert.
Oberösterreichs SPÖ-Parteichefin Birgit Gerstorfer ist dafür, dass am Montag die SPÖ Bundeskanzler Sebastian Kurz das Misstrauen ausspricht. Zwei Drittel der Wähler haben nicht die ÖVP gewählt, meinte Gerstorfer nach der ersten Trendprognose zur EU-Wahl. Zudem vermisse sie vertrauensbildende Maßnahmen seitens des Bundeskanzlers, nicht erst seit dem Video.
Über das Abschneiden der eigenen Partei zeigte sich Gerstorfer "nicht erfreut". Sie bedauerte, dass das Ibiza-Video für ihre Partei "keine Auswirkungen gehabt hat". "Die Stimmen sind eins zu eins zur ÖVP gegangen", meinte sie.
"Rendi-Wagner ohne Zweifel die Richtige"
Obwohl es die SPÖ bei der EU-Wahl nicht geschafft hat, von der Krise der türkis-blauen Regierung zu profitieren, ist SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner für Tirols SPÖ-Chef Georg Dornauer "ohne Zweifel" die Richtige an der Spitze der Sozialdemokraten. Trotzdem müsse man sich die Frage stellen, wo denn die Schwachstellen liegen, so Dornauer zur APA.
Entscheidung fällt noch Sonntagabend
"Sind es Kommunikationsprobleme, oder personelle Probleme, oder anderes", fragte der Tiroler SPÖ-Chef. Den bevorstehenden Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Nationalratssondersitzung am Montag wollte Dornauer vorerst nicht kommentieren. Um 20.15 Uhr gebe es eine Sitzung des Bundesparteipräsidiums, da werde man sich entscheiden. "Wir werden es eingehend diskutieren und heute noch zu einer Entscheidung kommen", erklärte Dornauer, der sich in den vergangenen Tagen mehrmals für einen eigenen Misstrauensantrag der SPÖ gegen die gesamte ÖVP-Regierungsriege ausgesprochen hatte.