Gestern, Mittwoch, hat Alexander Van der Bellen erstmals seit Beginn der Regierungskrise am Freitagabend einen Rechtsakt gesetzt: die Entlassung von Herbert Kickl als Innenminister auf Vorschlag von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), die Enthebung der anderen FPÖ-Minister sowie die Ernennung der Übergangsminister.

Bedeutender als das, was der Bundespräsident getan hat, ist aber, was er alles nicht gemacht hat: Denn die Verfassung gibt Van der Bellen weit mehr Macht, als er bisher ausgeübt hat: Er könnte zum Beispiel jederzeit die ganze Bundesregierung oder Bundeskanzler Sebastian Kurz entlassen, einen neuen Kanzler ernennen und sich von diesem neue Minister vorschlagen lassen – ganz ohne dass der Nationalrat Kurz vorher das Misstrauen ausspricht.

Van der Bellen hätte auch noch weiter gehen können – und gleich mit einem einzigen Beschluss von ihm den ganzen Nationalrat auflösen können; dann wäre nicht erst im September neu gewählt worden, wie es jetzt ansteht, sondern spätestens im August, und bis dahin hätte der Nationalrat gar nichts mehr beschließen können.

Aber das alles hat Van der Bellen nicht getan. Stattdessen hat er, wie seine Amtsvorgänger traditionell auch, auf die sanfte Macht des Bundespräsidenten gesetzt: Er hat mit dem Bundeskanzler gesprochen, mit allen Parteichefs, viel zugehört – und den Österreichern nicht zuletzt in mehreren Auftritten und einer TV-Ansprache am Dienstagabend Mut zugesprochen: „Wir kriegen das schon hin. Das haben wir auch in der Vergangenheit geschafft. Das ist etwas typisch Österreichisches.“

Für den 75-Jährigen, der sich in dem schier endlosen Wahlkampfjahr 2016 gleich zweimal gegen FPÖ-Kandidat Norbert Hofer durchgesetzt hat, sind es bisher die spannendsten Tage seiner Amtszeit. Und so, wie es im Wahlkampf oft thematisiert worden war – Hofer versprach einen „starken Präsidenten“, Van der Bellen eher einen zurückhaltenden –, legt er sein Amt jetzt auch an: als bewahrender Ruhepol, im Zweifelsfall lieber etwas zu vorsichtig mit seinen verfassungsmäßigen Kräften als sie besonders weit ausreizend. „Man darf sich bei ihm darauf verlassen, dass er in dieser Krise als überparteilicher und klug analysierender Moderator agiert“, schreibt etwa die „Süddeutsche“ bewundernd über den Präsidenten.

Nirgendwo anders sieht man diese Rolle, in die der Wirtschaftsprofessor und ehemalige Grünen-Chef hineingewachsen ist, besser als am Abgang von Innenminister Herbert Kickl: Zwischen ihm und Van der Bellen war das Verhältnis schon seit Wochen zerrüttet, wie es aus dem Umfeld der Präsidenten heißt. Bereits am Samstag sollen sich Kurz und Van der Bellen dann einig gewesen sein, dass der ehemalige FPÖ-Generalsekretär als Innenminister spätestens mit Bekanntwerden des Videos untragbar sei. Am Montag schlug Bundeskanzler Kurz Van der Bellen dann die Abberufung Kickls vor.

Ab diesem Zeitpunkt hätte Van der Bellen handeln und Kickl abberufen können. Er tat es nicht – Kickl blieb bis Mittwochmittag im Amt, bis mit Eckart Ratz sein Nachfolger zur Ernennung bereitstand.

Zeit, die Kickl zu nutzen wusste: In einem letzten Rechtsakt gab der Innenminister die umstrittene Verordnung aus, dass Gemeinden Asylwerbern für gemeinnützige Tätigkeiten maximal 1,50 Euro pro Stunde bezahlen dürfen. Hätte Van der Bellen Kickl gleich entlassen, wäre es nicht mehr dazu gekommen. Aber Van der Bellen, heißt es aus seinem Umfeld, wisse, dass der neue Minister die Verordnung ohnehin schnell rückgängig machen könne; es sei nicht notwendig, Kickl zu overrulen.

© APA/GEORG HOCHMUTH

Die Philosophie des Präsidenten heißt dieser Tage: Zurückhaltung – und Bewahren der politischen Kultur im Land: „Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: So ist Österreich einfach nicht!“, sagt Van der Bellen dieser Tage mehrmals.

Von dem „türkis-grauen“ Kabinett Kurz’ unter Expertenbeteiligung erwartet der Präsident, dass es bis zur Nationalratswahl hält: „Jetzt ist noch nicht die Zeit der Wahlkampfreden – denken Sie jetzt nicht daran, was Sie für Ihre Partei kurzfristig herausschlagen können“: eine Anspielung auf das kurze Leben, das der Regierung mit dem Misstrauensantrag beschieden sein könnte, der kommende Woche im Parlament abgestimmt werden soll. Und falls nicht – dann ist wieder der Präsident am Zug.