Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich am Dienstagabend in einer Rede zur aktuellen politischen Lage direkt an die österreichische Bevölkerung gewandt. Wir dokumentieren die Rede im Wortlaut:
Guten Abend meine Damen und Herren, wir erleben bewegte Stunden in unserer Republik. Selten wurde so intensiv und emotional über Politik diskutiert. Zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz, mit den Kolleginnen und Kollegen. „Mein Gott, das ist ja alles furchtbar“ oder „Ich verstehe einfach nicht, was da alles jetzt abläuft“, das sagen viele…
Genau aus diesem Grund wende ich mich heute an Sie direkt, liebe Österreicherinnen und Österreicher! Seit wir alle am Freitagabend diese verstörenden Videos gesehen haben, ist politisch sehr viel passiert. Es gab erste Rücktritte, zahllose Besprechungen, schlussendlich hat der Bundeskanzler die Entlassung des Innenministers vorgeschlagen. Daraufhin ist eine Reihe von Ministern zurückgetreten.
Entsprechend unserer Verfassung habe ich den Auftrag erteilt für die Phase des Überganges Expertinnen und Experten zu suchen. Was in dieser kurzen Zeit nicht passiert ist, ist die Einordnung, warum uns alle diese verstörenden Bilder so beschäftigen. Wir alle haben ein Sittenbild gesehen, das Grenzen zutiefst verletzt. Ein Bild der Respektlosigkeit, des Vertrauensbruchs, der politischen Verwahrlosung. Der Schaden, den diese Bilder anrichten, ist noch nicht abzuschätzen. Besonders, weil viele jetzt in einer ersten Reaktion sagen: „Typisch Politiker!“ oder „Die sind doch eh alle gleich!“.
Ich verstehe, dass man im ersten Schock so reagiert. Aber ich bitte Sie, genauer hinzusehen. Ein Politiker ist dazu gewählt, seinem Land zu dienen. Um das gut zu machen, muss er oder sie genau unterscheiden können, was anständig und was unanständig ist, was korrupt und was korrekt ist, was sich gehört und was eben nicht.
Ein gutes Vorbild zeigt Anstand nicht nur, wenn gerade Kameras im Raum sind, sondern handelt anständig aus einer inneren Überzeugung heraus. Wir alle sollten in diesem Sinne danach streben, Vorbild zu sein.
Ich meine, die meisten Politikerinnen und Politiker in diesem Land tun das auch. Ich bin überzeugt davon, niemand geht in die Politik, um die eben genannten Grenzen zu verletzen. Politikerinnen und Politiker wollen das Leben in einer Gesellschaft verbessern und ordnen diesem Ziel für gewöhnlich viel unter – im Privatleben und in anderen Bereichen. Und manchmal kommen sie von ihrem Weg ab. Und überschreiten Grenzen, verletzen Menschen, zerstören Vertrauen.
Und in diesem Sinne entschuldige ich mich für das Bild, das die Politik bei uns gerade hinterlassen hat. So sind wir nicht! So ist Österreich einfach nicht! Das müssen wir nun alle gemeinsam beweisen. Uns Politikerinnen und Politikern wird dabei eine ganz besondere Rolle zukommen.
Wie wir gesehen werden, ist nicht nur wichtig, wenn wir im Ausland unterwegs sind. Sondern vor allem auch wichtig für unsere Exportwirtschaft und ob sich Unternehmen in Österreich ansiedeln. Und ob die vielen Touristinnen und Touristen gerne unser Land besuchen. Das ist keine triviale Frage. Hier geht es um unsere wirtschaftliche Zukunft und um Arbeitsplätze von zehntausenden Menschen. Und mit dieser Verantwortung spielt man nicht.
Meine Damen und Herren, das Bild Österreichs in Europa und der Welt wiederherzustellen. Vertrauen aufbauen – das alles wird nur gemeinsam gehen. Allen Beteiligten möchte ich deutlich sagen: Jetzt ist noch nicht die Zeit der Wahlkampfreden. Ich appelliere an alle Verantwortungsträger in diesem Land, die politische Verantwortung auch für dieses Land zu tragen. Denken Sie jetzt nicht daran, was Sie für Ihre Partei kurzfristig herausschlagen können, sondern denken Sie daran, was Sie für Österreich tun können. Fragen Sie nicht: Hilft es mir bei der Wahl? Fragen Sie: Hilft es Österreich? Hilft es uns im Inneren und stärkt es unsere Glaubwürdigkeit in der Welt?
Liebe Österreicherinnen und Österreicher, ich bitte Sie: Wenden Sie sich nicht angewidert von der Politik ab. Denken Sie nach, beteiligen Sie sich an Diskussionen. Und gehen Sie am Sonntag wählen!
Meine Damen und Herren, nur Mut und etwas Zuversicht – wir kriegen das schon hin. Das haben wir auch in der Vergangenheit geschafft. Das ist ja etwas typisch Österreichisches.