Die wohl einmalige innenpolitische Krise, die durch das Ibiza-Video ausgelöst wurde, steuert ihrem vorläufigen Schlusspunkt zu. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Mittwoch um 13 Uhr die Übergangsregierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) angelobt.
Zu den Eckpunkten: Von den sieben blauen Minister werden vier durch Experten ersetzt. Die Ämter von Heinz-Christian Strache und Staatssekretär Hubert Fuchs werden eingespart, Karin Kneissl wird von Kurz als Außenministerin übernommen. Die Regierung reduziert sich von 16 auf 14 Personen. Neuer Vizekanzler wird Finanzminister Hartwig Löger.
Bei der Zusammensetzung seines neuen Teams lässt sich Kurz von der Angst vor einem Misstrauensantrag leiten. Die vier Experten besitzen kein türkis-schwarzes Parteibuch und haben teils im Dunstkreis der SPÖ Karriere gemacht. Die Hoffnung ist, dass die SPÖ am kommenden Montag davor zurückschreckt, die Regierung Kurz in die Wüste zu schicken.
Übergangsminister von Van der Bellen ernannt
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat die Übergangsminister ernannt, die den Platz der zurückgetretenen FPÖ-Regierungsmitglieder einnehmen. Zuvor hatte er Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) entlassen und die anderen freiheitlichen Minister wunschgemäß ihrer Ämter enthoben.
Als Vizekanzler gelobte der Bundespräsident den bisherigen Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) an. Die sonstigen Agenden von Heinz-Christian Strache (FPÖ) bekommt Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß. Damit ist die bisher türkis-blaue Koalition nun auch offiziell eine ÖVP-Minderheitsregierung.
Die neuen Regierungsmitglieder
- Juliane Bogner-Strauß übernimmt Beamte und Sport.
- OGH-Präsident Eckart Ratz wird Nachfolger von Herbert Kickl als Innenminister.
- Das Sozialressort wird Ex-Sektionschef Walter Pöltner, vormals SPÖ-Mitglied, leiten.
- Die Chefin der Flugsicherung "Austro Control", Valerie Hackl, übernimmt die Infrastruktur.
- Zum dritten Mal in der Zweiten Republik zieht mit Johann Luif ein Berufsoffizier als Verteidigungsminister ins Haus an der Rossauer Lände ein.
Dritter Berufsoffizier an der Spitze des Ministeriums
Johann Luif ist einer von vier Sektionschefs, stellvertretender Generalstabschef und gilt, wie ein Insider erzählt, als „Pragmatiker, dem Selbstdarstellung fremd ist.“ Der Burgenländer machte unter SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil im Bundesheer Karriere. Beide kennen sich aus gemeinsamen Zeiten im Burgenland. Doskozil und Luif waren zeitgleich Polizeichef bzw. Militärkommandant im Burgenland. Doskozil holte den heute 60-jährigen General ins Ministerium und war als Generalstabschef im Gespräch. Luif war zuvor Kommandant der EU-Kräfte in Bosnien und stellvertretender Kommandant im Kosovo. Luif ist der dritte Berufsoffizier an der Spitze des Ministeriums, nach Karl Lütgendorf und Johann Freihsler, die unter dem roten Bundeskanzler Bruno Kreisky dem Ministerium vorstanden.
Von den bisher sieben blauen Regierungsmitgliedern werden nur fünf nachbesetzt (Innen, Verteidigung, Beamte, Soziales, Verkehr). Außenministerin Karin Kneissl bleibt der neuen Regierung erhalten, Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs wird nicht nachbesetzt.
Ex-Präsident am Obersten Gerichtshof
Der prominenteste der neuen "Expertenminister" ist Eckart Ratz. Der Vorarlberger war bis ins Vorjahr durchaus streitbarer Präsident des Obersten Gerichtshofs. Der 65-Jährige (geboren am 28. Juni 1953) kommt aus politischem Background, sein Vater Gerold Ratz (ÖVP) war in Vorarlberg Landesstatthalter, also stellvertretender Landeshauptmann. Er selbst studierte Jus und promovierte in Innsbruck. Später war Ratz Richter am Bezirks- und Landesgericht in Feldkirch, danach am Wiener Straflandesgericht, ehe er 1997 an den OGH wechselte. Dort schaffte es der zweifache Vater über einen Zwischenschritt als Vize 2012 zum Präsidenten des Höchstgerichts. Das Amt verließ er vor einem Jahr wegen Erreichen des Alterslimits. Auch universitär engagierte sich Ratz als Lehrbeauftragter an der Uni Wien. Wissenschaftliche Prominenz erlangte er als einer der Herausgeber des "Wiener Kommentars" zum Strafgesetzbuch.
Im Clinch mit der SPÖ
Für das Sozialministerium ist Walter Pöltner vorgesehen, eigentlich ein tiefroter Spitzenbeamter früherer Jahre. Vor allem als Pensionsexperte machte sich der nicht unoriginelle 67-Jährige (geboren am 29. Februar 1952) einen Namen - und das auch unter Schwarz-Blau, Teil eins. Mittlerweile soll er aus der SPÖ ausgetreten sein. Gute Beziehungen hatte Pöltner zu Beate Hartinger-Klein (FPÖ), die er nun ablöst. Sie holte ihn aus dem 2015 angetretenen Ruhestand als eine Art Berater und machte ihn zum kommissarischen Leiter der rundumerneuerten Sozialversicherung. Dabei kommt Pöltner, der nach einem nachgeholten Jus-Studium über die AK und den damaligen Sozialminister Josef Hesoun (SPÖ) ins Sozialministerium kam, aus ganz anderer Ecke. Gelernt ist er als Industriekaufmann spezialisiert auf Klimaanlagen.
Karriere unter ÖBB-Chef Kern
Ins Infrastrukturministerium kommt Valerie Hackl. Die 36-Jährige (geboren am 29. August 1982) ist seit Jahresbeginn Chefin der Flugsicherung Austro Control. Davor hatte sie in den ÖBB Karriere gemacht, von der Assistentin des Vorstandsvorsitzenden (Altkanzler Christian Kern/SPÖ) über die Leitung der Konzernstrategie- und Unternehmensentwicklung der ÖBB-Holding AG, schließlich (als letzte Station vor dem Wechsel in die Austro Control) in den Vorstand der ÖBB-Personenverkehr AG. Studiert hat Hackl Betriebswirtschaft und dabei durchaus Grenzen überwunden. Die Mit-30erin war nämlich nicht nur in Wien sondern auch in Vancouver und an der Hochschule St. Gallen lern-aktiv.
Notwendig geworden war die Regierungsumbildung nach der Neuwahlankündigung der türkis-blauen Koalition wegen des für die FPÖ verhängnisvollen "Ibiza-Videos".