Die Ibiza-Affäre, die Neuwahlen in Österreich und die Frage, wie es nun politisch weiter geht, waren auch am Dienstag Inhalt internationaler Pressekommentare:
"Neue Zürcher Zeitung"
"Angesichts der Vorwürfe, mit denen die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ sich nun gegenseitig überziehen, wirkt die in den vergangenen anderthalb Jahren zelebrierte Harmonie noch künstlicher. Es ist das dramatische Ende eines nicht spannungsfreien, aber für beide Seiten zweckdienlichen Verhältnisses.(...)
Doch es ist bei der dritten Regierungsbeteiligung schon das dritte Mal, dass es vorzeitig und dramatisch zum Bruch kommt. Das empfiehlt die FPÖ nicht als Koalitionspartnerin. Die Sozialdemokraten stellte bereits das Liebäugeln mit der FPÖ als Partnerin vor eine Zerreißprobe. Nun sehen sich jene Kräfte bestätigt, die ein solches Bündnis immer kategorisch ausschlossen. Auch Kurz wird es nicht wagen, die Freiheitlichen nochmals in die Regierung zu holen, selbst wenn diese sich inhaltlich wie personell erneuern sollten. Abgesehen von persönlicher Enttäuschung wäre das Risiko groß, sich beim kleinsten Fehltritt grenzenlose Naivität vorwerfen lassen zu müssen. Die FPÖ muss sich deshalb wieder auf lange Jahre in der Opposition einstellen."
"Tages-Anzeiger" (Zürich)
"Das eigentlich Schockierende an der Ibiza-Affäre ist nicht, dass Spitzenpolitiker keine Skrupel haben, ihr Land an den Meistbietenden zu verscherbeln - damit hätte man bei einem Typ wie Heinz-Christian Strache rechnen müssen. Wirklich schockierend ist vielmehr, dass es anscheinend nicht mehr braucht als eine attraktive Frau, dass sich zwei erwachsene Politiker wie liebestolle Gockel benehmen, die ein paarungsbereites Huhn sehen. (...) Dabei ist die sogenannte Venusfalle ein Spionageklassiker. Unvergessen ist die rothaarige Russin Anna Chapman, die sich in New York als Immobilienmaklerin ausgab, bevor sie 2010 als russische Agentin aufflog. Auch der israelische Geheimdienst Mossad setzt attraktive Frauen gern als Lockvögel ein. Denn angesichts einer "schoafen" Frau werden Männer offensichtlich unzurechnungsfähig."
"Süddeutsche Zeitung" (München)
"Am Montagabend kündigte Kurz an, er werde dem Bundespräsidenten Kickls Entlassung vorschlagen. Das ist eine gute Nachricht, denn der FPÖ-Politiker hat nichts in einer Regierung und schon gar nichts in einem Innenministerium verloren. Nicht erst seit Ibiza. Der konservative Kanzler Kurz, aber auch der grüne Bundespräsident Alexander Van der Bellen hätten dem FPÖ-Politiker den Zugang zum Amt des Innenministers verwehren müssen. Die Macht, die ein Innenminister über Polizei und Geheimdienste ausübt, sollte niemals in die Hände eines rechten Scharfmachers wie Kickl geraten. (...)
Herbert Kickl war schon vor dem Ibiza-Video ein gefährlicher Ideologe mit viel zu viel Macht; über seine Amtszeit hinaus wollte er die Institutionen verändern. Für Sebastian Kurz war das nie ein Grund, ihn abzusetzen, er wollte seine Koalition nicht gefährden. Doch nun muss Kurz sich nicht mehr mit der FPÖ arrangieren, deren Minister geschlossen das Kabinett verließen, sondern eine Neuwahl gewinnen. Kickl spricht nicht ganz ohne Grund von einer "machtbesoffenen" ÖVP. Was nichts daran ändert, dass er, zumal als Ex-Generalsekretär der FPÖ, so schnell wie möglich jeden Zugang zum Innenministerium verlieren muss, das ja die Ibiza-Affäre aufklären soll. Andernfalls hätte sich Kanzler Kurz zum Komplizen gemacht.
"Frankfurter Allgemeine Zeitung"
"Hätte er [Kurz] nach den Rücktritten Straches und dessen Ibiza-Kompagnons Gudenus die Koalition fortgesetzt, so hätte er sich auf Gedeih und Verderb an die FPÖ gekettet. Welche dann noch kommende Affäre hätte ihm einen glaubwürdigen Abgang ermöglicht? Und doch musste er damit rechnen, dass immer wieder etwas hochkommt: entweder weitere Häppchen aus den Ibiza-Daten, die inzwischen ohnehin schon gezielt gegen Kurz ausgespielt werden, oder Provokationen vom rechten Rand der FPÖ. Doch beliebt bei den bisherigen Oppositionsparteien SPÖ, Neos und Grünen ist Kurz nach der Zeit als Partner der Rechten auch durch das Ende dieses Bündnisses nicht geworden. Die Neuwahl ist für ihn eine Chance, mehr Stimmen für die ÖVP zu gewinnen. Aber sie birgt auch das Risiko, am Ende mangels Bündnispartnern mit leeren Händen dazustehen."
"Frankfurter Rundschau"
"Nach dem Koalitionsbruch vom Wochenende deutet sich kein Politikwechsel an. Die ÖVP will den "bewährten Kurs", den sie seit anderthalb Jahren mit den radikalen Rechten gefahren ist, jetzt gern ohne diese weiterführen. Zur Not vielleicht sogar wieder mit ihnen: Zwar steuert Kurz kühn für die fällige Neuwahl im September die absolute Mehrheit an. Verfehlt er sie, ist eine Neuauflage mit der Rechten keineswegs ausgeschlossen. In seiner Partei melden sich erste Befürworter von Schwarz-Blau II bereits zu Wort. Alternativen gibt es kaum. Die oppositionellen Sozialdemokraten haben unter dem Eindruck der Ibiza-Affäre immerhin angefangen, klare Kante gegen Rechts zu zeigen. Bisher waren sie da aus Furcht vor der Stimmung eher scheu und haben in einem Bundesland sogar selbst mit der FPÖ koaliert."
"El Mundo" (Madrid)
"Die Ansetzung einer Neuwahl in Österreich nach dem Rücktritt von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (...) ist eine Gelegenheit, die Ultrarechte loszuwerden. (...) Die Entscheidung von (Bundeskanzler) Sebastian Kurz ist aus mehreren Gründen richtig. Erstens wegen der unhaltbaren Situation, die sich aus dem inakzeptablen Verhalten seines Partners ergeben hat. Und zweitens wegen der Isolation Wiens von den internationalen Geheimdiensten infolge der Verbindungen der FPÖ zu Moskau. Sich von den Rechtsextremen in der österreichischen Exekutive zu befreien, wäre eine gute Nachricht für die Zukunft Europas."
"Le Monde" (Paris)
"Die Schockwellen dieses Skandals gehen weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Damit bestätigen sich die schlimmsten Vermutungen, die demokratische Regierungen in Europa über die Verbindungen der rechtsextremen Parteien zu den Machtstrukturen im Russland Wladimir Putins haben. Es zeugt von einer merkwürdigen Vorstellung von Patriotismus, wenn man anbietet, heimlich nationale Interessen an Vertreter eines Landes zu verkaufen, das Wahlen in der EU zu beeinflussen und zu manipulieren versucht. Mit seinem Rücktritt hat Strache die Lektionen aus den Enthüllungen gezogen. Seine brüskierten europäischen Verbündeten tun sich damit schwerer."
"de Volkskrant" (Amsterdam)
"Straches Parteifreunde versuchten sofort den politischen Schaden zu begrenzen. Es handle sich lediglich um einen persönlichen Ausrutscher, der nicht der FPÖ als Ganzes angelastet werden könne. Aber seine Bereitschaft, sich auf einen zweifelhaften russischen Finanzier einzulassen, um die Wahlen zu beeinflussen, wirft doch die Frage nach der seltsamen Sympathie auf, die auch andere rechtsnationale Anti-EU-Parteien oft für Putins Russland hegen. Dass gerade die Parteien, die behaupten, dem Volk eine Stimme zu geben, Putins autoritäres System als Vorbild sehen, sollte dem Wähler zu Denken geben."
"Kölner Stadt-Anzeiger"
"Zu einfach und offensichtlich ist, was auf Ibiza geschah - und wie sehr es dem eigenen Anspruch der FPÖ widerspricht, die ja wie alle rechtspopulistischen Gruppierungen eine Saubermann-Partei sein will. Dass wir es unbestrittenermaßen mit einem Skandal zu tun haben, bedeutet wiederum nicht, dass wir nicht auf den weniger ausgeleuchteten Teil der Bühne schauen dürften, ja müssten. Denn es stellen sich da durchaus Fragen. Eine Frage ist, warum das Video eigentlich so lange nicht publik wurde - und am Ende deutsche Medien einen wesentlichen Anteil daran hatten, dass es dann doch veröffentlicht wurde. Letzte Antworten darauf sind noch nicht möglich. Es spricht aber viel dafür, dass jene, die Strache in die Falle lockten, Motive hatten, die nicht notwendigerweise die edelsten waren."
"Magyar Nemzet" (Budapest)
"Bei Strache wissen wir wenigstens genau - anders als bei (dem 2008 tödlich verunglückten Jörg) Haider -, dass er Opfer einer Geheimdienstaktion wurde. (...) Wir müssen nämlich wissen, dass diese Geheimdienste überall dort sind, wo die nationalen Interessen die Unterstützung der Mehrheit genießen. Als nächste könnten Italien und Ungarn dran sein. Wenn wir wüssten, welcher Geheimdienst die Erledigung Straches organisiert hat, zusammen mit der angeblichen russischen Verbindung und der auf das Finish des Europa-Wahlkampfs getimten Veröffentlichung, dann würden wir auch sonst einiges wissen. Zum Beispiel, ob der gleichfalls aus der FPÖ kommende österreichische Innenminister (Herbert Kickl) in die richtige Richtung zielte, als er sagte, dass die Migrationsfreunde die österreichische Regierungskoalition gestürzt haben. Derzeit können wir uns nur in einem sicher sein: Die sind wirklich zu allem fähig, deshalb müssen wir im Bewusstsein dessen gegen sie kämpfen."
"Svenska Dagbladet" (Stockholm)
"Wenn der Machthunger das Urteilsvermögen übersteigt, dann lauert darin die Katastrophe. Diese alte Wahrheit hat nun eine neue Bestätigung erhalten. Österreichs Vizekanzler Heinz-Christian Strache muss die Regierung verlassen und als Parteichef der populistischen FPÖ abtreten. Dass Strache bei einem Gespräch gefilmt wurde, das zeigt, dass er offen für inakzeptable Zusammenarbeit mit russischen Interessen ist, kommt für diejenigen nicht als Überraschung, die die FPÖ in der Vergangenheit verfolgt haben. Kurz hat nun, als der neue Skandal geplatzt ist, den einzig gescheiten Beschluss gefasst: die Wähler es nochmal machen zu lassen, damit sie es diesmal hoffentlich richtig machen."
"Nesawissimaja Gaseta" (Moskau)
"Die Entscheidung von (Bundeskanzler Sebastian) Kurz bedeutet nicht unbedingt, dass er sich in irgendeiner Form schuldig fühlt. Der österreichische Kanzler will sich einfach vor unkontrollierbarer Schädigung seines Rufes schützen und das Vertrauensproblem sofort lösen. Ansonsten hätte er ein vergiftetes politisches Umfeld, in dem er zwar an der Macht ist, aber die Opposition punktet. (...) Der Wechsel in der Macht geht ziemlich dynamisch vor sich. Jetzt sind die Politiker zum schnellen Handeln gezwungen. Das machen sie jedoch nicht aus ethischen Bedenken oder weil ihr Ruf vielleicht auf unzulässige Weise beschmutzt wurde. Es geht ihnen um den Wettbewerb. (...) Denn jeder Zweifel an der Ehrlichkeit dieser oder jener Partei kann die Bürger dazu bringen, den Konkurrenten zu unterstützen. "