Bundeskanzler Sebastian Kurz wird diese Nacht wenig, vermutlich sogar gar nicht geschlafen haben: Für Heinz-Christian Strache geht es in den kommenden Stunden um alles oder nichts.Eher nichts. Die Affäre um das Ibiza-Video sprengt alle Dimensionen. Heinz-Christian Strache ist als Vizekanzler nicht mehr tragbar.
Für Sebastian Kurz geht es heute darum, dass er die Weichen stellt, dass es kein tiefer Fall auch für die ÖVP wird. Es liegt in seiner Hand.
2002 hat "Knittelfeld" die Regierung auseinanderbrechen lassen: Der Rest der Partei konnte nicht mehr mit mit der Regierungsfraktion der FPÖ, Schüssel zog die Reißleine und wartete nicht ab, bis sich der Partner neu geordnet hatte sondern rief Neuwahlen aus. Der Sieg war sein: Er kassierte die Stimmen der frustrierten FPÖ-Wähler ein und startete als Wahlsieger neu durch.
Folgt Norbert Hofer?
Kurz könnte nun versuche, mit einem Strache-Nachfolger den Weg fortzusetzen. Infrastrukturminister und Ex-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer böte sich dafür an.
Oder er könnte den selben Weg gehen wie einst Wolfgang Schüssel und alles auf eine Karte setzen: In den Umfragen liegt die Volkspartei nach wie vor gut, besser als bei der letzten Wahl. Gelingt es ihr, den Bruch zu erklären, dem Wähler die Neuwahlen als einzig zumutbare Variante zu verkaufen, hat Sebastian Kurz die Chance auf einen ultimativen Coup.
Was er jetzt braucht, ist Mut für einen solchen Schritt und das Vertrauen auf seine Berater. Denn die jetzige Situation ist genau das, womit seine türkise ÖVP nicht vertraut ist: Krisenmanagement mit spontaner Entscheidungskraft.
Auf dem falschen Fuß erwischt
Der Mitterlehner-Sturz war monatelang vorbereitet. Die Kommunikationsarbeit der ÖVP ist - sehr erfolgreich - darauf ausgerichtet, jeden Schritt minutiös vorzubereiten, jede PR-Aktion punktgenau zu setzen, auf alle Volten und Wendungen vorbereitet zu sein und die richtige Waffe dagegen im Köchter zu haben.
Auf die Ereignisse der letzten Stunden konnten sich Kurz und sein Team nicht vorbereiten. Sie wurden auf dem falschen Fuß erwischt, müssen jetzt, bis heute Mittag, entscheiden, in welche Richtung sie die Weichen stellen, abschätzen, mit welchen Folgen dies verbunden sein könnte.
Ibiza ist das "Knittelfeld" der FPÖ unter Heinz-Christian Strache. Nicht die rechten Recken haben ihn zu Fall gebracht, sondern eigene Dummheit.
Für die ÖVP könnte Ibiza das Ende vom Aufstieg oder aber den endgültigen Durchbruch bedeuten. Mit neuen Möglichkeiten von Koalitionen nach einer neuen Wahl. Die SPÖ wird alles daran setzen, wieder am Regierungstisch zu sitzen. Mit Hans-Peter Doskozil stünde ein Mann zur Verfügung, der Kurz die Hand reichen könnte. Nach der Wahl. Davor wird die SPÖ in Ibiza baden und Super-Kurz tümpfeln, wo es geht.
Was anders ist als 2002: Es geht nicht nur um den Nationalrat - eine Neuwahl würde wohl erst nach dem Sommer stattfinden - sondern davor, nämlich in genau acht Tagen - ist noch eine EU-Wahl zu schlagen.
Das Wahlergebnis bei dieser Wahl könnte der ÖVP, die bis gestern maximal zuversichtlich war, noch einen Dämpfer versetzen. Denn die FPÖ-Wähler werden wohl eher zu Hause bleiben, und die Frustration auch auf das ÖVP-Publikum abfärben.
Claudia Gigler