Herr Schwarzenberg, wir wollen anlässlich hundert Jahren Adelsaufhebung über den Adel reden. Ich wüsste zu Beginn gerne einmal: Wie wäre es Ihnen denn am liebsten, dass ich Sie anspreche?

Karl Schwarzenberg: Wissen Sie, das ist mir eigentlich blunz’n. Wenn mir etwas blunz’n ist, dann das.

„Fürst von Schwarzenberg“?

Das interessiert mich nicht. Schauen Sie, was ich bin, das bin ich. Zum Adel muss man generell sagen, dass es ihn in Wirklichkeit nicht mehr gibt. Es gibt noch einige Familien, aber der Adel als Stand ist bereits im 19. Jahrhundert zugrunde gegangen, als gesellschaftliche Klasse etwas später, spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg.

Würden Sie von sich selbst sagen, „ich bin ein Adliger“?

Ich kann das nicht bezweifeln. Wenn man Schwarzenberg heißt, bin ich es, Punkt.

Was unterscheidet eine adlige Familie wie die Schwarzenbergs von einer bürgerlichen Familie?

Ich glaube, nur mehr, dass wir wissen, wer mein Ururgroßvater war – und dass ich meine Vettern und Cousinen vierten Grades noch als Verwandte betrachte. Das ist alles.

Anlass unseres Gesprächs ist das Adelsaufhebungsgesetz. Haben Sie mit ihren Eltern jemals darüber gesprochen, ob das für sie ein Bruch war?

Nein. Das hat uns wirklich nicht interessiert. Das Gesetz hat den Adel im Staat gestrichen, aber sie haben uns ja gottseidank nicht umgebracht – er hat weiterbestanden.

Das heißt, das Gesetz war…

…eine Demonstration des damaligen Parlaments. Wenn man Revolutionen inszeniert, muss man so etwas machen.

Wenn man diese alten Familien über die Medien ein wenig beobachtet, von großen Hochzeiten und Jagden liest, bekommt man ein wenig den Eindruck, da gibt es eine Parallelwelt. Ist es so?

Das gibt es noch, aber viel weniger als früher. Jeder Mensch hat seine Kreise, in denen er verkehrt. Es sind vielleicht größere Ereignisse als anderswo, aber es ist nicht mehr so wie früher, dass diese Gesellschaften geschlossen sind. Wir haben aber eines gemeinsam mit Bauern: Unsere Begräbnisse enden immer fröhlich. Da sind wir sehr ländlich geblieben, ohne diese städtische Angst, bei der man sich am liebsten vor dem Tod verstecken würde.

Ich höre da Skepsis dem städtischen Leben gegenüber heraus.

Nein. Das ist ein anderes Leben, ein Gegensatz. Wir, der Adel, waren mit dem Land verbunden. Es gibt auch Länder, in den er städtisch orientiert war, zum Beispiel Italien, aber unsere Stärke lag im Land.

Ironisch, dass Sie bei der tschechischen Präsidentschaftswahl 2013, bei der Sie Milos Zeman mit 45:55 Prozent unterlegen sind, die meisten Wähler in den urbanen Regionen hatten.

Richtig. Aber das ist wieder der gesamtpolitischen Lage geschuldet, der massiven Differenz zwischen Stadt und Land– ob bei den Wahlen in Polen oder der Bundespräsidentschaftswahl in Österreich, in Amerika oder bei der Brexit-Abstimmung. Es tut sich dieser Gegensatz immer mehr auf.

Fällt Ihnen ein, wie man diese Kluft überwinden könnte?

Ja, aber ich glaube, das ist von den Menschen zuviel verlangt. Dass man aufeinander zugeht, dass wir einander zuhören.

Kann ein Staat etwas dazu tun, das zu bewerkstelligen?

Im Moment fällt mir nicht viel ein. Als ich noch in Österreich tätig war, zur Zeit von Joschi Krainer, Erhard Busek und so weiter, haben wir in jungen Jahren immer versucht, in Kontakt mit den damaligen Sozialdemokraten zu bleiben. Heute hat sich dieser Graben wieder geöffnet, man spricht kaum mehr miteinander. Das ist nicht gut für dieses Land. Wenn man aufhört, über Parteigrenzen miteinander zu reden, ist das der beste Weg, das Land zu zerstören.

Aber ist das denn wirklich eine neue Entwicklung?

Vor 30 Jahren war das noch anders.

Vor 30, 40 Jahren hat es nur zwei relevante Parteien gegeben.

Heute haben wir drei Mittelparteien. Und die sogenannten bürgerlichen Parteien haben ihren Hauptgegner und damit auch ihren Charakter verloren. Die ÖVP ist keine Christlichsoziale Partei mehr, beim besten Willen nicht – und die FPÖ ist kaum mehr deutschnational. Die ist mehr nach Visegrad orientiert als in die Bundesrepublik. Das ist eine tiefe Umwälzung, soziologisch hochinteressant. Die Zweite Republik war etwas seltsames – in Wirklichkeit hat sie viele Elemente vom Grundgedanken des Ständestaats übernommen, auch wenn das nicht so genannt werden durften. Und die Sozialdemokraten haben festgestellt, dass sie durch die Sozialpartnerschaft viel stärker dastehen als in anderen Staaten. Aber das verschwindet jetzt auch; das ist eine österreichische Revolution für mich.

Würden Sie sagen, die Zweite Republik ist vorbei?

Ja.

Weil Sie jetzt schon mehrmals gesagt haben, die ÖVP sei keine christlichsoziale Partei mehr. Was macht denn das für Sie aus?

Dass man das Soziale, die christliche Nächstenliebe an erste Stelle setzt. Und nicht sich als die Partei propagiert, die erfolgreich die Grenze schließt, die erfolgreich die Familienbeihilfe kürzt. Es verändert sich alles – Österreich ist heute ganz woanders, als es noch vor zehn, noch vor dreißig Jahren war.

Erlebt der Nationalstaat gerade eine Renaissance?

Nein, weil er sich überlebt hat. Er kann die Funktionen, die er vor hundert Jahren gehabt hat, nicht mehr erfüllen. Weder die Verteidigung noch die Energieversorgung noch die Außenpolitik: nichts davon können wir heute in Europa noch national lösen. Das ist einfach nicht mehr machbar. Weder Österreich noch Tschechien noch ein Land wie Italien könnte sich heute militärisch alleine verteidigen, oder autonom mit Energie versorgen. Also bitte, wozu brauchen wir dann noch einen Nationalstaat?

Wenn das so ist, warum haben Sie dann auf nationaler Ebene in Tschechien kandidiert?

Weil ich hier eine bessere Politik wollte. Ich sehe in der aktuellen Politik wenige, die über den nächsten Wahltermin hinausdenken.

War das, um zu unserem ursprünglichen Thema zurückzukommen, vielleicht einer der Vorteile von aristokratischen Systemen, die auf dynastischen Prinzipien basieren – dass das langfristige Denken dort ausgeprägter war?

Es war, zugestandenermaßen, einer der Vorteile. Aber es ist auch ungeheurer Blödsinn geschehen, deshalb ist ja auch die Monarchie zugrunde gegangen.

Könnten moderne Republiken von Monarchien etwas übernehmen, um diese Vorzüge zu bekommen?

Sie können aus ihren Fehlern lernen. Das alte Österreich zum Beispiel war ein relativ gut funktionierender Staat. Er hat starke demokratische Elemente gehabt, die Justiz hat tadellos funktioniert – er war nicht übermäßig sozial, aber das waren die anderen europäischen Staaten damals auch nicht. Dennoch ist er entzwei gebrochen; nicht wegen des Siegs der Alliierten oder wegen Politkern im Inneren – sondern, weil er seit dem 1880er Jahren unfähig zur Reform war. Das konnte nicht gut gehen mit dem Zustand von 1867, mit drei Klassen von Nationen. Die Welt hat sich verändert und der Staat war unfähig, sich anzupassen.

Also ständig in Bewegung bleiben?

Ja! Ja! Ja, das ist es!