In die Vollen ging es am Mittwoch bei der Debatte über die Sozialhilfe Neu im Parlament. Es beginnt mit dem Vorwurf von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ), Rot und Grün in Wien betrieben mit ihrer Sozialpolitik eine Förderung der illegalen Einwanderung. Die Forderung von Jörg Leichtfried (SPÖ) ("das ist die tendenziöseste und unpackbarste Rede, die ich je gehört habe") nach einem Ordnungsruf verhallte.
Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka sah keinen strafrechtlichen Vorwurf, weil sich Hartinger-Klein nicht an eine bestimmte Person oder Partei gerichtet habe, mahnte die Ministerin aber, "missverständliche Formulierungen nicht mehr zu verwenden, damit Vorwürfe dieser Art nicht mehr formuliert werden können".
Es setzte sich fort mit Attacken Hartingers auf Zuwanderer:
- 12.600 subsidiär Schutzberechtigte lebten derzeit von Mindestsicherung. Das stelle man ab.
- Ausreisepflichtige hätten ab dem Tag des letzten negativen Bescheides keine Ansprüche mehr. "Die sollen ausreisen."
- Fremdenpolizeiliche Aspekte würden künftig mit Sozialpolitik verbunden. "Diese Fairness haben unsere Staatsbürger verdient."
- Integration sei Bringschuld. Für Missbrauch (durch Zuwanderer) sei künftig kein Platz mehr.
- Großfamilien mit mehr als zehn Kindern, die meisten davon aus Afrika, lukrierten Sozialleistungen in einer Höhe, von der durchschnittliche Arbeitnehmer in Bezug auf ihre Löhne nur träumen könnten.
"Teuerster arbeitsloser Politiker"
Und es ging weiter mit dem Entsetzen der Opposition: Neos-Mandatar Gerald Loacker, der sich angesichts einer Besuchergruppe aus dem deutschen Bundestag "genierte" und SPÖ-Klubchefin Pamela Rendi-Wagner, die in den Worten der Sozialministerin "das Menschenverachtendste, das ich je von Ihnen gehört habe" sah.
An späterer Stelle, als darüber diskutiert wurde, ob das Parlament drei statt zwei Tage pro Monat zur Vollversammlung zusammentreten soll, um die Diskussion über wichtige Themen nicht abseits der Bevölkerung in den Nachtstunden zu absolvieren, fand Peter Pilz von der Liste Jetzt noch einmal deftige Worte: Er adressierte direkt den FP-Mandatar Johann Gudenus, der sich zuvor über Sozialhilfeleistungen für Zuwanderer mokiert hatte. "Sie waren (als Stadtrat ohne Portefeuille) der teuerste arbeitslose Politiker im Wiener Gemeinderat, und Sie werfen Asylsuchenden zu geringe Arbeitsbereitschaft vor? Sie sind die faulsten Abgeordneten dieser Republik und nehmen sich 8.000 Euro pro Monat. Und Sie weigern sich, einen dritten Tag im Monat im Parlament anwesend zu sein?"
"Sozialbauschmarotzer und Immunitätsflüchtling"
Die Retourkutsche folgte prompt: FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz erklärte: "Ich lasse meine Abgeordneten von einem Sozialbauschmarotzer, einem Immunitätsflüchtling und einem Politiker, der sich ohne Mandat das Gehalt eines Klubchefs genehmigt hat, nicht als faule Abgeordneten titulieren."
Der Appell der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) verhallte auch ungehört.
"Wie beim Kollektivvertrag"
ÖVP-Klubchef August Wöginger verteidigte den Weg der Regierung: Dass eine Mindestpensionistin in Wien genau so viel Geld bekomme wie der Asylberechtigte, der neben ihr einziehe, verstünden auch SPÖ-Mitglieder nicht. "Die ehemalige Arbeiterpartei SPÖ verkauft arbeitende Menschen, weil ihnen wurscht ist, ob gearbeitet wird oder nicht." Dass das dritte Kind nur noch 44 Euro wert sei, stimme nicht, Kinderzuschlag und Familienbeihilfe von 1.000 Euro seien durch drei zu teilen. Aber: Dass es darüber hinaus nicht mehr Geld für Kinder gebe, sei nur fair. "Oder kennen Sie einen Kollektivvertrag, wo nach der Zahl der Kinder unterschieden wird!"
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hakte ein: "Tarnen, Täuschen, mit dem Finger auf Menschen zeigen, das ist die schwarz-blaue Regierungspolitik der letzten 15 Monate."
"Menschen gegeneinander ausgespielt"
Es wäre Aufgabe der Politik, Menschen, die unverschuldet in Not geraten seien, die Hand zu reichen. Mit dem Kürzungsprogramm werde jedoch nur mehr Druck auf sie ausgeübt. "Sie spielen eiskalt mit den Menschen, Sie spielen sie gegeneinander aus, Sie treiben einen Keil in die Gesellschaft, wie immer!" Und: "Glauben Sie tatsächlich, dass Hunger und Angst vor der Delogierung den Menschen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen?"
Diese Regierung verschärfe die Kinderarmut, sie kürze die Familiensicherung um 40 Millionen Euro. "Das ist das, was Sie im Vorjahr für Ihre Kabinette ausgegeben, für reine PR und Werbeausgaben."
"Nur Märchen erzählt"
Neos-Mandatar Gerald Loacker kritisierte die Regierung dafür, dass sie Märchen erzähle. "Dass 50 - 60 Prozent der Mindestsicherungsbezieher nicht Großfamilien aus dem Ausland sind sondern Alleinstehende, dass die zweitgrößte Gruppe die Alleinerziehenden mit Kind sind, dass 70 Prozent Aufstocker sind, das kommt in Ihrer Erzählung nicht vor." Das was Kanzler Sebastian Kurz und Sozialministerin Hartinger-Klein den Menschen vorgaukle, entspreche nicht der Realität. "Aber manche Leute wollen es hören, daher wird es erzählt."
Fleckerlteppich bleibt
Daniela Holzinger-Vogtenhuber von der Liste Jetzt beschränkte sich darauf, den Kern zu beschreiben, denn das Expertenhearing finde ja erst am 15. April statt und sie hoffen noch auf Änderungen. Aber was sei der Kern der Reform? "Es werden nur Obergrenzen festgeschrieben, die von den Ländern unterschritten werden können. Es ist und bleibt ein Fleckerlteppich. Das Problem bleibt, es wird sogar noch verschlimmert."
SPÖ-Gewerkschafter Beppo Muchitsch beteiligte sich nicht am Orchester der Zwischenrufe, weil er "zuerst zuhören" wollte. Dafür kam es danach umso dicker: Er sei in den 70ern und 80ern groß geworden, als in diesem Haus Gesetze beschlossen wurden, die die Kinderarmut beseitigt haben. "Es ist ein schlimmer Tag, wenn ich hier zuhören muss, wie über die Ausländerkarte Menschen Sand in die Augen gestreut wird, sodass sie nicht sehen, was dieses Gesetz an Armut auslösen wird."
"Die Armut wird steigen"
Beschlossen werde das Gesetz erst Ende April, und er hoffen noch auf Änderungen, auch wenn die Regierung bisher ignoriert habe, "dass nur drei von 142 Stellungnahmen zum Gesetz nicht kritisch sind, nämlich jene von Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und Land Niederösterreich". Es sei ein Faktum, dass als Sozialleistung ab dem Kind nur noch 44 Euro vorgesehen seien. Es sei ein Faktum, dass der überwiegende Teil der Mindestsicherungsbezieher im Gegensatz zu den Behauptungen Hartinger-Kleins arbeiten wollten, aber nicht könnten. Und es sei ein Faktum, dass es darunter auch viele Langzeitarbeitslose gebe, die sich das nicht ausgesucht hätten. "Die Sozialhilfe Neu wird dazu führen, dass die Armut steigt. Das hat sich ein Land wie Österreich nicht verdient."
Thema Rauchverbot
Der Nationalrat diskutiert am Mittwoch erneut auch das "Don't-smoke"-Volksbegehren, das vergangenes Jahr von mehr als 880.000 Personen unterstützt worden ist. Dass dabei ein Oppositionsantrag für ein allgemeines Rauchverbot in der Gastronomie eine Mehrheit findet, ist mehr als unwahrscheinlich. Noch vor der Raucher-Debatte wird auf Wunsch der FPÖ wieder die Reform der Mindestsicherung debattiert.
An geplanten Beschlüssen steht etwa das Ende des Monopols der österreichischen Staatsdruckerei zur Herstellung von Reisepässen und Personalausweisen an, im Rahmen eines kleineren Schulpakets werden zudem die Rahmenbedingungen für die neuen Deutschförderklassen festgelegt.
Thema Pflege
Claudia Gigler