Pro:
In einer Gesellschaft, die zunehmend pluralistisch wird und sich fragmentiert, müssen wir das Gemeinsame kultivieren und vor das Trennende stellen. Wir Neos fordern daher ein verpflichtendes Schulfach „Ethik und Religionen“ für alle Schülerinnen und Schüler.
Wissen über die verschiedenen Religionen gehört nicht nur zur Allgemeinbildung, es stärkt auch junge Menschen in ihrer Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit und trägt zum gegenseitigen Verständnis in einer pluralistischen Gesellschaft bei. Dabei soll es um Fragen gehen, welche Werte uns gemeinsam wichtig sind und was uns verbindet.
Ethikunterricht beinhaltet die Vermittlung von Wissen und die Diskussion über Werte, Religionen und Weltanschauungen, verpflichtet sich dabei aber zur neutralen Darstellung. Wo sonst als in der Schule könnte die wichtige Vermittlung von Werten aus einer Perspektive erfolgen, die von demokratischen Grundvorstellungen getragen und von einer skeptischen, kritisch hinterfragenden Position begleitet sind?
Wir müssen mit den Kindern und Jugendlichen in den Diskurs darüber einsteigen, was uns als liberale Gesellschaft auszeichnet und was das mit jedem einzelnen Menschen zu tun hat. Junge Menschen brauchen Offenheit, Akzeptanz und Begleitung, um einander in ihrer Verschiedenartigkeit kennen, tolerieren und respektieren zu lernen. Denn sie sind es, die unsere Gesellschaft zukünftig mitgestalten werden.
Auch wenn der Religionsunterricht selbst nicht das Trennende in den Vordergrund stellt, führt er zu einer Wahrnehmung des Andersseins, die bei Kindern sehr oft auch sprachliche oder Unterschiede in ethnischer Herkunft unnötig verstärkt. Man darf einen Klassenraum nicht in Religionen zerteilen. Nur ein gemeinsamer Ethik- und Religionenunterricht kann in diesem Zusammenhang die Integration fördern und auch der Gefahr von extremistischen Strömungen entgegenwirken. So verhindern wir ein Nebeneinander-Leben in den eigenen religiösen Umfeldern und zeigen allen Kindern in gleicher Weise, was unsere Werte wie etwa die Gleichstellung der Geschlechter, den Rechtsstaat oder Religionsfreiheit ausmacht.
Dabei geht es ganz und gar nicht um die Verdrängung von Religion, sondern um eine gemeinsame Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema. Konfessioneller Religionsunterricht soll dabei zusätzlich – und freiwillig – besucht werden können und durch die öffentliche Hand verwaltet werden, um die Qualität dieses Unterrichts ebenfalls zu garantieren.
Von Douglas Hoyos-Trauttmansdroff, Chef der Jugendorganisation der Neos „Junos – junge liberale Neos“
Contra:
Kindern und Jugendlichen stellen sich Fragen nach dem letzten Woher, Wohin und Wozu des Lebens, die meist religiös beantwortet werden. Diese letzten Fragen verlangen nach adäquater Bildung, authentischen Antworten. Insofern ist die Initiative, Ethikunterricht als Alternative für jene anzubieten, die an keinem Religionsunterricht teilnehmen, vorbehaltlos zu begrüßen.
In einem säkularen, laizistisch geprägten Mitteleuropa ist es verlockend: Ethik statt Religion für alle. Das österreichische Modell der Zusammenarbeit von Staat und Religionsgemeinschaften bezüglich Religionsunterricht hat in seiner geschichtlichen Entwicklung gute Gründe gefunden. Ein wertfreier oder völlig wertoffener Ethikunterricht ist kaum vorstellbar bzw. machbar. Werte sind immer subjektiv und werden subjektiv angeeignet. Es braucht Kommunikation und Diskurs, wo den jungen Menschen gegenüber Stellung bezogen wird. Beim Religionsunterricht ist die „Marke“ klar, man weiß, woran man ist.
Religion unterstützt Ethik, ist aber wesentlich mehr als Ethik. Religiöse „Native Speakers“ vermögen authentisch Religion, Religionen und Weltanschauungen ins Gespräch zu bringen bzw. Antwort zu geben. Sie sind auf der Folie ihrer Religionsgemeinschaft identifizierbar. Authentizität ist in Lernprozessen und in der Identitätsentwicklung von Jugendlichen von Bedeutung. Insofern versteht sich Religionsunterricht diakonisch: als Dienst an Schülerinnen und Schülern. Diese sollen in ihrem Fragen und Suchen, ihrem individuellen Antworten-Finden und im Reflektieren der eigenen Tradition unterstützt werden. Diese Prozesse sind fern jeder Missionierung oder Indoktrinierung. Dafür haben Religionsgemeinschaften und Schulbehörden zu sorgen.
Zeitgemäßer Religionsunterricht fördert Autonomie und Individualität junger Menschen. Er ist weltanschaulich offen, nimmt die Antworten anderer Religionen und nicht-religiöser Positionen wertschätzend mit herein, weiß sich dem interreligiösen Dialog verpflichtet. Religion darf nicht nur als Störfaktor wahrgenommen werden, sondern auch in ihrer Motivationskraft zum Guten und als Chance zur Humanisierung der Gesellschaft. Religionsunterricht macht Religion öffentlich und ermöglicht Auseinandersetzung mit ihren negativen Seiten und fundamentalistischen Versuchungen. So unterstützt er junge Menschen, damit sie nicht religiösen Verblendern auf den Leim gehen, sondern autonom entscheiden lernen. Zudem leistet der Religionsunterricht einen wichtigen Beitrag, unsere christlich geprägte Gesellschaft mit ihren Wertvorstellungen, ihren Festen, ihrer Kunst und Kultur besser zu verstehen.
Von Hans Neuhold, Religionspädagoge und Psychotherapeut