Die Stadt Wien hat angekündigt, die Neuregelung der Mindestsicherung, das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, in ihrer derzeitigen Form nicht umsetzen zu wollen. Die rot-grüne Stadtregierung ist nicht einverstanden mit den Vorgaben, die die türkis-blaue Koalition im Bund den Ländern macht: Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sieht in dem Gesetz „echten Wahnwitz“, Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Grünen, sieht „menschlich Müll“ und ein „Armutsförderungsgesetz“.
Was wären nun die Folgen, wenn Wien das Bundesgesetz ignoriert?
Der ungeliebte Artikel 12
Fangen wir von vorne an: Die Mindestsicherung liegt im Regelungsbereich des Artikels 12 Bundes-Verfassungsgesetz, in dem der Bund nur Grundsatzgesetze erlassen kann, die Länder Ausführungsgesetze beschließen. Den wollte Justiz- und Reformminister Josef Moser eigentlich komplett abschaffen, das stockt aber besonders bei den drei großen Bereichen Krankenanstalten, Elektrizitätswesen und eben Armenwesen, die weder Bund noch Länder aus der Hand geben wollen.
Also bleibt es bis auf weiteres dabei, dass der Bund Grundsätze erlässt, die Länder dann die Details klären und verwalten müssen. Das ist häufig vor allem für den Bund eine Gratwanderung: Er muss den Ländern durchaus Spielraum lassen, sinnvoll eigene Regeln in den Ausführungsgesetzen zu erlassen – er darf also nicht in allen Details vorgeben, wie die Mindestsicherung auszusehen hat, sonst wird der Verfassungsgerichtshof das Gesetz aufheben.
Bund muss zunächst einmal liefern
Jetzt ist jedenfalls noch einmal die Bundesregierung am Zug: Sie kann auf die umfassende Kritik an ihrem Vorschlag reagieren und das Gesetz noch einmal ändern - Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) kann sich durchaus vorstellen einige Änderungen einzuarbeiten; dass sich aber grundsätzlich etwas an der Reform ändert, ist unwahrscheinlich.
Wenn das Grundsatzgesetz also in den kommenden Monaten im Parlament beschlossen, vom Bundespräsidenten wird - hier der vorgeschlagene Wortlaut -, tritt es planmäßig mit 1. April 2019 in Kraft. Ab da haben die Länder sechs Monate Zeit, ihre Ausführungsgesetze zu beschließen.
Der Verfassungsgerichtshof am Zug
Zu erwarten ist, dass ab dem Zeitpunkt, an dem das Gesetz kundgemacht ist, der Verfassungsgerichtshof damit befasst sein wird: Jede Landesregierung - etwa die Wiener - sowie ein Drittel der Nationalrats- oder Bundesratsabgeordneten (das wird sich angesichts des massierten Widerstands gegen das Gesetz wohl finden) kann dort eine Prüfung des Gesetzes beantragen. Mt offenenem Ausgang, weil sowohl die Rechtsprechung, wie eng der Bund die Vorgaben eines Grundsatzgesetzes fassen als auch wie die Mindestsicherung ausgestaltet werden darf, durchaus ihre Fallen bereithält.
Aber gehen wir einmal davon aus, dass der VfGH nichts zu beanstanden hat - oder die Prüfung zumindest länger dauer als die Frist, in der die Länder handeln müssen. Sollte Wien nun seinen angekündigten Protest aufrechthalten, hat es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Es tut einfach nichts und lässt sein bisheriges Mindestsicherungsgesetz weiterlaufen - oder es erlässt ein Ausführungsgesetz, das den (neuen) Grundsätzen des Bundes widerspricht, indem es etwa höhere Mindestsicherungssätze vorsieht, als darin erlaubt sind.
Der Bund kann selbst aktiv werden
Im ersteren Fall - Wien tut nichts - hat der Bund jedenfalls die besseren Karten, erklärt Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk der Kleinen Zeitung: Wird Wien nicht in der vorgegebenen Frist aktiv, "so geht die Zuständigkeit zur Erlassung des Ausführungsgesetzes für dieses Land auf den Bund über, wie es im Artikel 15 Absatz 6 Bundes-Verfassungsgesetz heißt. Sprich: die türkis-blaue Koalition im Bund könnte dann ein Wiener Sozialhilfegesetz beschließen.
Wenn Wien aber ein Ausführungsgesetz beschließt, das gegen die Grundsätze verstößt, die der Bund aufgestellt hat, kommt wieder der Verfassungsgerichtshof ins Spiel: Bei dem kann die Bundesregierung beantragen, das Landesgesetz zu prüfen. Normalerweise sind Bundes- und Landesgesetze zwar gleichrangig - aber in den Fällen des Artikel 12 bedeutet ein Verstoß gegen das Grundsatz-Bundesgesetz, dass ein Landesgesetz verfassungswidrig ist.
Alles nur Säbelrasseln?
Das Risiko dabei: Sollte der VfGH bis dahin wider Erwarten noch nicht geprüft haben, ob das Bundesgesetz verfassungskonform ist, wird er es spätestens zu dem Zeitpunkt tun, an dem die Bundesregierung den Wiener Verstoß geltend macht.
Kurz gesagt: die türkis-blaue Koalition sitzt insgesamt wohl am längeren Ast - aber erst die kommenden Wochen werden zeigen, ob sich im Lichte des derzeitgien Säbelrasselns nicht ohnehin noch ein Kompromiss zwischen Wien und Sozialministerium herauskristallisiert.
Georg Renner