Wenn man Werner Doralt, Doyen des österreichischen Steuerrechts und emeritierter Professor an der Universität Wien, fragt, was sich im Steuersystem am dringendsten ändern müsste, sagt er: „Ich sage Ihnen einmal, wo sich nichts ändern muss: bei der kalten Progression.“ Das überrascht, sind doch praktisch alle Parteien dafür, dem Staat das Körberlgeld zu streichen, das er dadurch bekommt, dass Arbeitnehmer durch jährliche Gehaltssteigerungen in höhere Steuerklassen vorrücken.
Doralt argumentiert aber, dass eine Regelung, die eine automatische Anpassung der Steuerstufen vorsehen würde, der Politik langfristig die Hände binden würde: „Die Regierungsparteien haben es ohnehin in der Hand, die Tarife jedes Jahr anzupassen und so der kalten Progression gegenzusteuern.“ Die Politik bringe sich durch einen Automatismus nur um Spielraum: Der gerade eingeführte Familienbonus etwa, der steuernzahlende Familien entlastet, mache etwa so viel Geld aus, wie der Finanzminister zuletzt durch die Progression hereinbekommen hat.
Auch bei der Senkung der Körperschaftssteuer ist Doralt skeptisch: Diese bevorzuge Kapitalgesellschaften gegenüber Einzelunternehmern - er rät dazu, zum Ausgleich Abschreibungen von Investitionen zu begünstigen. Außerdem vermisst er bei den kolportierten Regierungsplänen Ideen, um den Druck am Wohnungsmarkt zu lindern: Abhilfe schaffen könnte etwa eine steuerliche Begünstigung des privaten Mietwohnbaus, um diesen als Anlageform gegenüber dem Kauf von Eigentumswohnungen attraktiver zu machen.