Frau Minister, Sie haben Ihr erstes Jahr in der Regierung hinter sich. Ist Österreich in diesem Jahr gerechter geworden?

Hartinger-Klein: Da ist viel weitergegangen: etwa die Sozialversicherungsreform, die die Träger von 21 auf fünf zusammenlegt und das Prinzip gleiche Beiträge für gleiche Leistung für Gebietskrankenkassenversicherte bringt. Das ist gerechter und fairer.

Wenn gleiche Beiträge und gleiche Leistung fairer sind, warum bleiben dann fünf Sozialversicherungsanstalten über statt einer? (Anm: Neben Unfall- und Pensionsversicherung bleiben auch eigene Kassen für Bauern und Selbständige sowie für Beamte und Eisenbahner bestehen.)

Die Zusammenlegung ist der erste Schritt. In der nächsten Legislaturperiode kann sein, dass wir nur mehr eine Krankenversicherung für alle haben. Aber richtig war, den Prozess erst einmal zu starten.

Warum ist man den Schritt nicht gleich mitgegangen? Die Leistung eines Beamten, eines Bauern, eines Eisenbahners ist ja nicht so verschieden von der eines normalen Angestellten.

Derzeit haben die Gruppen Selbstbehalte, die die Gebietskrankenkassenversicherten nicht haben. Das sind ganz andere Versicherungsstrukturen, auch andere Lebensphasen.

Welche anderen Lebensphasen hat denn ein Beamter?

Ein Beamter hat einen fixen Job, ein Selbständiger muss sehr flexibel sein, ein Angestellter hat doch ein bisschen mehr Schutz.

Aber krank werden alle gleich.

Ja, aber der Schutz ist ein anderer und der Selbstbehalt ist auch ein anderer.

Die Selbstbehalte hätte man ja auch abschaffen können.

Das ist nicht die Frage. Ein so großes System, das jahrzehntelang bestanden hat, kann man nicht auf einmal ändern. Jeder, der Change-Prozesse kennt, wird Ihnen sagen, dass man das Schritt für Schritt machen soll.

Von einem weiteren Schritt ist jetzt nichts zu sehen.

Wir sind froh, wenn wir die Dinge umsetzen können. Das ist eine der größten Reformen der Zweiten Republik.

Ja, aber warum ist man nicht weiter gegangen? Mit den Neos hätte es die Chance auf eine Verfassungsmehrheit gegeben.

Es hätte keine Verfassungsmehrheit gegeben, weil die Neos nicht zugestimmt hätten; die wollten die Krankenfürsorgeanstalten (Anm.: 14 Sonderkrankenkassen mit besseren Leistungen für bestimmte öffentlich Bedienstete) - und die sind ein völlig anderes Thema.

Inwiefern?

Weil die Bundesländer dafür zuständig sind.

Das hätte man mit einer Verfassungsmehrheit theoretisch ändern können.

Gut, warum sitzen Sie nicht in der Politik?

Ich frage nur. A propos Bundesländer: Warum behält man denn die Länder-Gremien bei, die mit den Ärztekammern Aufschläge auf den einheitlichen Honorarkatalog verhandeln können?

Um Anreize zu schaffen, dass Ärzte in ländliche Regionen gehen, die weiter weg von den Ballungszentren sind.

Hätte man das nicht von Wien aus machen können?

Österreich ist regional unterschiedlich, die Obersteiermark anders als die Südsteiermark. Das macht unser Land aus. Solche Dinge sind besser in den Ländern zu machen, die wissen, wo die Herausforderungen sind.

Zur geplanten Reform der Mindestsicherung: Wird das Modell, das Sie jetzt in den parlamentarischen Prozess gesandt haben, gerechter sein als das heutige?

Ja. Weil wir keine soziale Hängematte haben wollen, sondern ein Sprungbrett, wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen - und für jene, die nicht Deutsch können, soll es ein Anreiz sein: Deutsch ist nun einmal die Grundvoraussetzung, wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen.

Ist es denn sinnvoll, Leuten, die schon fleißig Deutsch lernen, weniger zu geben und erst die volle Summe auszuzahlen, wenn der Lernerfolg da ist?

Die bekommen nicht weniger, sie bekommen nur eine Sachleistung in Form eines Gutscheins von 300 Euro für einen Deutschkurs, damit sie einen Anreiz haben, wieder in den Arbeitsprozess kommen zu können.

Unterm Strich bleibt dem Mindestsicherungsbezieher doch weniger auf dem Konto: Er hat bisher den Kurs bezahlt bekommen und die volle Mindestsicherung - in Zukunft bekommt er 300 Euro weniger, mit denen ein Kurs finanziert wird.

Noch einmal: Er braucht einen Anreiz, damit er Deutsch lernt. Bisherige Deutschkurse haben nicht mit einer entsprechenden Prüfung abgeschlossen.

Eines Ihrer Argumente für die Reform war, dass, „wer arbeitet, nicht der Dumme sein“ dürfe. Jetzt ist es in vielen Rechenbeispielen zu der Reform so, dass Mindestsicherungsbezieher maximal sogar noch mehr bekommen könnten, als sie bisher etwa in Wien oder der Steiermark beziehen. Ist man da am eigenen Anspruch gescheitert?

Wieso gescheitert? Es geht darum, dass Alleinerzieher mehr bekommen, dass Menschen mit Behinderung mehr bekommen.

Manche Familien könnten mehr bekommen als bisher.

Ja, ist so.

Was ist dann mit diesem Punkt der Gerechtigkeit zwischen Leuten, die arbeiten, und jenen, die Mindestsicherung beziehen?

Wir haben darauf geschaut, dass es mehr Treffsicherheit gibt.

Was sind denn die nächsten Themen für Ihr zweites Jahr im Ministerium?

Das erste wird Pflege sein, wozu wir schon einen Masterplan vorgelegt haben. Das zweite wird die Reform des Arbeitslosengeldes. Das dritte wird die AMS-Reform sein.

Im Europavergleich steht Österreich bei den Arbeitslosenzahlen nicht schlecht da. Was soll sich beim AMS ändern?

Die Organisation ist noch nicht effizient genug. Da herrscht zu starker Föderalismus. Ziel soll es sein, die personalisierte Arbeitsplatzvermittlung zu stärken, dazu wird es eine Organisationsreform brauchen.

Wenn Sie noch einmal auf Ihr erstes Jahr zurückblicken: Was ist denn nicht so gut gelaufen?

Mir würde da im Prinzip nicht so viel einfallen. Vielleicht die Kommunikation. Inhaltlich ist alles perfekt gelaufen.