Christian Kern ist wieder da. Er steht in derselben Messehalle in Wels, in der er Anfang 2017 seinen „Plan A“ fürs Land präsentierte. Was für ein Unterschied! Kaum wiedererkannt habe er die Halle, sagt der Mann, der seinen letzten Tag als SP-Chef nach eigenem Bekunden „ein bisschen wie eine Berg-und-Tal-Fahrt“ erlebt.
Kern war Kurzzeitkanzler und Kurzzeitvorsitzender, nun outet er sich als „verdammter Gutmensch“. Er steht allein auf der riesigen Bühne und zieht ein letztes Mal alle Register seines Könnens. Die Halle sei „ein Wembley der Sozialdemokratie“, also ein heiliger Ort.
Der Scheidende nimmt Anleihe bei der Muppet Show: Er werde künftig keine Ratschläge aus der Seitenloge geben, „denn die Rollen Waldorf & Statler sind in unserer Partei stabil besetzt“. Und dann sagt Kern leichthin einen Satz, der symbolhaft stehen könnte für sein ganzes politisches Wirken: „Ich habe den Anfang gut einstudiert gehabt – den Rest dann nimmer.“
Nächste Bundeskanzlerin?
Am Ende bekommt er stehenden Beifall, es ist wohl auch der Applaus der Erleichterung. Denn fast hätte Kern noch im Abgang das Fest der Nachfolgerin verdorben. Er ist rhetorisch brillant, überzieht die Redezeit ums Vierfache, jedes weitere Wort wäre zu viel gewesen.
Dabei geht es ja eigentlich um sie: Pamela Rendi-Wagner, aufgewachsen im Gemeindebau, seit zwei Jahren erst SPÖ-Mitglied, jetzt nach 130 Jahren die erste Frau an der SPÖ-Spitze und künftig erste Bundeskanzlerin der Republik – das wäre zumindest der erklärte Plan dieser Versammlung.
Ein historischer Tag also, „ein Gänsehaut-Moment“, wie Parteigeschäftsführer Thomas Drozda sagt. Rendi-Wagner wird ausgestellt als Sinnbild sozialdemokratischen Aufstiegsstrebens, sie selbst beschreibt sich als Kind der Kreisky-Ära und empfiehlt unbescheiden, man möge „meine Biografie als Beispiel nehmen“.
Ihre 65-minütige Rede gerät rhetorisch phasenweise holprig, die später von Kern bewiesene Brillanz sucht man vergeblich. Aber es ist ein solider, brauchbarer Auftritt und zudem gekonnt orchestriert: Am Beginn zeigt ein Film die alltäglichen kleinen Probleme einer Durchschnittsfamilie mit zwei Töchtern. Rendi-Wagner nimmt darauf Bezug und entwickelt daraus ihr Credo: Die SPÖ müsse solchen Leuten wieder zuhören, sie müsse das Leben der Menschen leichter, gerechter und besser machen.
„feige, selbstverliebt, arrogant und armselig“
Über die Runden kommen ist nicht genug“, sagt die Wienerin: „Wir kämpfen um mehr als nur ein erträgliches Leben.“ Bildung, Gesundheit, Sozialpolitik stehen im Mittelpunkt. Die Mieten etwa sollten künftig durch Entfall der Umsatzsteuer um ein Zehntel sinken, so lautet ein Vorschlag.
Für die Bundesregierung hat Rendi-Wagner nur Verachtung übrig: Diese sei „feige, selbstverliebt, arrogant und armselig“, wie die neue SPÖ-Chefin mehrfach betont. Beim Thema Migration spricht sie den Kanzler direkt an, der ja schon seit sieben Jahren der Regierung angehöre: „Lieber Sebastian, was genau hast du in all diesen Jahren eigentlich gemacht, um zu versuchen, die Probleme zu lösen?“ Die Antwort laute „nichts“. Für die SPÖ propagiert sie ziemlich diffus „Humanität und Ordnung“ als migrationspolitisches Rezept.
Zwölf-Stunden-Tag, Zerschlagung der Krankenkassen, Angriffe auf Demokratie und Sozialstaat: Das alles wird in den Zeugenstand gerufen, um die finsteren Taten der Regierung zu geißeln. Zum Schluss formuliert Rendi-Wagner ihre Mission: Die SPÖ müsse wieder stärkste politische Kraft werden und sie selbst die erste Kanzlerin. Dafür werde sie „schuften und rackern und rennen“.
Die Delegierten belohnen das mit dem sehr guten Votum von 97,8 Prozent. Ihre 17 Parteichef-Stellvertreter kommen fast alle auf weit über 90 Prozent, Ausreißer nach unten ist Burgenlands Hans-Peter Doskozil mit 82,3 Prozent. Heute geht’s mit der Programmdebatte und der EU-Kandidatenliste weiter.