Zwei Wochen lang durchwanderte Florian Danner Österreich, gestern erreichte er den südlichsten Punkt des Landes bei Eisenkappel. Zum Jahrestag der Wahl am 15. Oktober wollte sich der bekannte Puls-4 Moderator bei den Leuten draußen umhören, was von der aktuellen Regierung zu halten sei. „Ein einziger Aspekt dominierte die Gespräche“, so Danner nach 400 Kilometern Fußmarsch und Hunderten Interviews, „dass die Regierung nicht mehr streitet.“ Anderen Anliegen wie Flüchtlinge, Rauchen, 12-Stundentag rangieren unter ferner liefen.
Bis zur Unerträglichkeit hatten frühere Regierungen ihre internen Konflikte in der Öffentlichkeit zelebriert. Sebastian Kurz, der in der Zeit des großkoalitionären Haders politisch sozialisiert wurde - und da auch eifrig mitgezündelt hatte - schuf instinktsicher die Voraussetzungen, um das abzustellen - nicht den Streit, sondern das Gemetzel auf offener Bühne.
Peter Hajek, der bekannte Meinungsforscher, holt eine verblüffenden Grafik hervor. Erstmals seit 2009 stehen die Österreicher einer Regierung wieder positiv gegenüber. Auch Wolfgang Bachmayer wartet mit einer ungewöhnlichen Statistik auf. Das Vertrauen in die Politik ist innerhalb des letzten Jahres von 12 auf 45 Prozent gestiegen. Früher einmal führten Politiker im Vertrauensindex die Abstiegszone an - vor Gebrauchtwarenhändlern, Callcenter-Mitarbeitern, Maklern.
Franz Sommer, der renommierte Politikberater, zeigt sich überrascht vom „hohen Maß an Stabilität“ der Regierung - im Vergleich zu den Zeiten von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider. „Das ist das eigentlich Verblüffende“ so Sommer, „dass sich die FPÖ so gut halten konnte.“ Laut Umfragen haben die Blauen seit der Wahl nur zwei bis drei Prozentpunkte eingebüßt - trotz unpopulärer Maßnahmen wie Ceta oder 12-Stundentag. „Kurz gibt der FPÖ das Gefühl, sie sind gleichberechtigt. Das war bei Schüssel anders.“ Heute sitzen alle FPÖ-Spitzen in der Regierung, damals zerlegte Haider Schwarzblau von Kärnten aus. Die von Innenminister Herbert Kickl bisweilen martialische Flüchtlings- und Sicherheitspolitik trägt wesentlich dazu bei, dass die blaue Stammklientel bei der Stange bleibt.
Die gute Performance liegt nicht nur an der Konjunktur und der Schwäche der politischen Gegner. Drei der vier oppositionellen Spitzenkandidaten, die sich vor einem Jahr der Wahl gestellt hatten, sind von der politischen Bühne abgetreten. Matthias Strolz (Neos) lud gestern zur Release-Party ins Wiener Szenelokal Flex, Christian Kern (SPÖ) ist Privatmann, Ulrike Lunacek (Grüne) weilt in Lettland - als Wahlbeobachterin. Peter Pilz ist nach einem Intermezzo oilitisch angeschlagen.
Der türkise Erfolg basiert in hohem Ausmaß auf einem System aus strikter Gefolgschaft und unbeugsamer Loyalität. Nichts wird ÖVP-intern dem Zufall überlassen, weder in der Kommunikation mit der Außenwelt (Message Control) noch bei der Themensetzung. Wer ausschert, wird telefonisch diszipliniert. Im Zusammenspiel mit der FPÖ wurden, wie ein Insider schildert, „eine Reihe von Puffer“ eingebaut. Wenn es knirscht, sind Heinz-Christian Strache, Norbert Hofer und Walter Rosenkranz sofort zur Stelle. Inhaltliche Differenzen werden intern ausgetragen. Kurz geht damit ein hohes Risiko ein „Er muss aufpassen, dass seine Anhänger nicht das Gefühl haben, er lässt den Freiheitlichen zu viel durchgehen“, konstatiert Sommer - in Anspielung auf Rauchen, BVT-Affäre, Burschenschaften oder höchst zweifelhafte europapolitische Eskapaden der FPÖ (Fraternisierung mit Orban, den bosnischen Serben, der Krim oder Vilimskys Juncker-Bashing).
Noch ein anderer Aspekt trägt zum Umfragehoch bei. Entgegen dem propagierten Selbstbild ist Kurz alles andere als ein energischer Reformer. Der ÖVP-Chef scheut unpopuläre Maßnahmen, die der breiten Öffentlichkeit wehtun – die große Pensionsreform wurde auf die lange Bank geschoben, Pensions- und Gehaltserhöhungen ernten wenig Widerspruch. Kurz will nicht als Kanzler der sozialen Kälte wahrgenommen werden. Den von Schüssel betriebenen Ranking-Fetischismus lehnt er entschieden ab. Seine eigentliche Agenda ist die steuerliche Entlastung der mittleren und unteren Einkommen, die auf 2020 vorgezogen wurde, die Gegenfinanzierung ist von sekundärer Bedeutung. Beim Umfärben oder beim Umbau des ORF schließt Türkis-Blau nahtlos bei Rot-Schwarz an.
Die Absage an die große Reform kommt dem blauen Koalitionspartner zupass, dessen Klientel ungleich stärker von sozialpolitischen Einschnitten betroffen ist. Bei der in Ausarbeitung befindlichen Reform von AMS, Mindestsicherung und Notstandshilfe wird penibel darauf geachtet, dass die eigenen Anhänger nicht vor den Kopf gestoßen werden. Das Vorziehen der Steuerentlastung ist im Sinn der FPÖ. 2020 wird in Wien und der Steiermark, 2021 in Oberösterreich gewählt. In den drei Ländern hat die FPÖ Rekordergebnisse um die 30 Prozent zu verteidigen. Das zu erwartende Minus sollte möglichst klein ausfallen.