Die ÖVP hat am Samstag den ersten Jahrestag der Nationalratswahl zelebriert, bei der sie am 15. Oktober 2017 das Kanzleramt zurückerobert hat. Heute sei die "Reiseflughöhe" erreicht, man sei mit vollem Tempo unterwegs, das Regierungsprogramm umzusetzen, lautete die Durchsage von Parteichef Sebastian Kurz in seiner rund halbstündigen Rede.

Er kündigte aber u. a. auch an, dass es zu einer Reform des Arbeitsmarktservice (AMS) kommen werde. Die "politischen Ziele für das AMS sind in die Jahre gekommen", so Kurz. "Es wird in der Politik ständig nur darüber gesprochen wie viel Geld das AMS erhält, aber nie darüber, ob der Output des AMS noch stimmt." Man wolle sicherstellen, "dass die  Vermittlung durch das AMS wieder besser wird", bekräftigte er einmal mehr die Notwendigkeit einer AMS-Reform.

Pflegekonzept bis Jahresende

Zudem stellte er ein neues Pflegekonzept in Aussicht. "Wir zählen mittlerweile über 400.000 pflegebedürftige Menschen in Österreich", so Kurz. In Anbetracht der demografischen Entwicklung werde diese Zahl noch ansteigen. "Dies stellt uns vor eine große Herausforderung und eine Verantwortung, auf die wir bisher noch keine befriedigende Antwort gefunden haben."  "Wir werden diese Lücke schließen", kündigte Kurz an. Man sei es der älteren Generation schuldig, die teils unwürdigen Finanzdebatten zu beenden. Er habe die  Regierungskoordinatoren daher beauftragt "hier bis Jahresende ein Lösungskonzept zu erarbeiten". Kurz nannte dreit Ziele. "Wenn immer möglich, muss die Pflege zu Hause stattfinden können. Pflegekräfte und pflegende Angehörige müssen künftig besser unterstützt werden als heute. Und drittens, eine nachhaltige Finanzierung der Pflege muss sichergestellt werden."

Sebastian Kurz (L), Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (M) und Landeshauptmann Wilfried Haslauer
Sebastian Kurz (L), Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (M) und Landeshauptmann Wilfried Haslauer © APA/Herbert Neubauer

Nach dem zuletzt häufigen Vorwurf, die ÖVP-FPÖ-Regierung agiere mit sozialer Kälte, widmete Kurz einen eigenen Teil seiner Ansprache dem "sozialen Netz". "Jeder von uns wird älter, jeder kann in eine Notsituation kommen und jeder, auch wenn er noch so stark ist, ist irgendwann auf Hilfe und Unterstützung angewiesen", meinte Kurz. Das soziale Netz sei eine der größten Errungenschaften Österreichs und sei "unsere christlich-soziale Verantwortung", unterstrich er. Die Stärke jeder Gesellschaft zeige sich darin, wie man mit den Schwächsten umgehe.

Er habe in seiner eigenen Familie erlebt, wie es sich anfühle, wenn ein Mensch, der immer alles für alle gemacht habe, "schlagartig selbst auf Hilfe angewiesen ist", erzählte Kurz von seiner pflegebedürftigen Großmutter. "Ich bin heilfroh, dass meine Oma gut versorgt ist", aber er wisse auch, dass nicht alle dieses Glück hätten.

Symbolisch 365 Unterstützer eingeladen

Abgesehen von diesen Ankündigungen bot die Veranstaltung im Wiener Uniqa Tower keine großen Neuigkeiten, dafür die für die türkise ÖVP übliche, perfekt orchestrierte Inszenierung. Unter dem Motto "Die Veränderung hat begonnen" klopfte sich die Partei ausführlich selbst auf die Schulter: So zählte Klubchef August Wöginger fröhlich die Projekte der Regierung auf, die man bereits umgesetzt habe, und zwar "ohne Streit". Promis wie Vera Russwurm durften den Parteichef als "gutaussenden, jungen Politiker" preisen, der sich "charmant" auch am internationalen Parkett bewege. Über 500 Gäste, darunter Minister und Landeshauptleute sowie 365 Unterstützer, die man symbolisch für die Tage seit der Wahl eingeladen hatte, lauschten der gut halbstündigen Rede des Kanzlers.

"Ich war fix und fertig"

Zu Beginn seiner Ansprache ließ Kurz den Wahlkampf und den Urnengang Revue passieren. "Es ist schön zu sehen, dass alle so entspannt dreinschauen", spielte Kurz gleich zur Begrüßung auf den nervenaufreibenden Intensivwahlkampf vor einem Jahr an. Ihm selbst sei es damals "furchtbar gegangen, ich war fix und fertig" vor Anspannung, plauderte er aus dem Nähkästchen. Bei der Wahl wurde die ÖVP mit gut 31,5 Prozent stimmenstärkste Partei, im Dezember bildete man schließlich mit der FPÖ eine Koalition.

© (c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)

"Es fühlt sich an wie bei einem Flug", meinte der nunmehrige Kanzler. "Wir haben die Wolkendecke durchbrochen, wir haben die Reiseflughöhe erreicht und wir sind mit voller Geschwindigkeit unterwegs, um unser Regierungsprogramm auch wirklich umzusetzen", wandte sich der "Kapitän", wie Wöginger Kurz zuvor betitelt hatte, an seine Unterstützer. Viele sagten ihm, "gut, dass da was weitergeht", aber manche seien auch besorgt, dass man vielleicht etwas zu schnell unterwegs sei - auch das müsse man ernst nehmen. Von "Reibung", die durch die Veränderungen entstehe, werde man sich dagegen nicht aus dem Konzept bringen lassen, konterte Kurz seinen Kritikern. "Wir tun in Summe genau das, was wir im Wahlkampf versprochen haben."

3000 neue Ausbildungsplätze für Programmierer

Man wolle allen die Möglichkeit geben, in Sicherheit zu leben und die Freiheit zu haben, "sich selbst zu entfalten". Dazu gehöre auch, "dass Demokratie und Rechtsstaat hochgehalten werden", betonte Kurz. Wohl auch im Lichte der im Mai bevorstehenden EU-Wahl merkte Kurz an, wenn hier in einigen europäischen Ländern andere Wege verfolgt würden, sage er klar: "Wir sind die Partei des liberalen Rechtsstaates und wir werden ihn überall, wo es notwendig ist, in aller Entschlossenheit verteidigen."

Innenpolitisch nannte kündigte Kurz in Sachen Bildung und Digitalisierung an, dass man rasch 3000 neue Ausbildungsplätze für Programmierer schaffen wolle.

Kritik von Gewerkschaft und SPÖ

Kritik an der Rede von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kommt aus der SPÖ. "Messias Kurz predigt vor seinen Anhängern und lässt sich für sein Zerstörungswerk lobpreisen", sagte FSG-Chef Rainer Wimmer mit Verweis auf die Inszenierung der ÖVP. Das erste Jahr der Regierung Kurz sei geprägt gewesen von Verschlechterungen für die Arbeitnehmer.

Ähnlich SP-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda: "Die Bilanz ein Jahr nach der Wahl spricht eine deutliche Sprache: Ein Teil der Regierung kümmert sich um Angriffe auf die liberale Demokratie und ihre Werte, der andere Teil der Regierung versorgt währenddessen seine Wahlkampfsponsoren mit teuren Geschenken."