Auf die Krankenkassen und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt kommen mit der von der Regierung geplanten Sozialversicherungsreform von 2019 bis 2023 finanzielle Mehrbelastungen von über 1 Milliarde Euro zu. Darüber hinaus dürften mindestens 500 weitere Millionen an Fusionskosten für die Zusammenführung der Sozialversicherungen und Krankenkassen anfallen, die bisher nicht angesetzt wurden.
Bewertung durch Experten
Dies geht aus ersten rechnerischen Bewertungen der türkis-blauen Gesetzesvorschläge durch Sozialversicherungsexperten hervor. Demnach werden den neun Gebietskrankenkassen, die zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) fusioniert werden, im Zeitraum 2019 bis 2023 zusätzliche finanzielle Belastungen von 483 Mio. Euro aufgebürdet. Diese Zahl setzt sich zum einen aus von der Regierung angeordneten höheren Zahlungen in den Fonds der Privatkrankenanstalten (PRIKRAF) zusammen, in den die Krankenkassen zuletzt 121,5 Mio. Euro einzahlten. Ab 2019 erhöht sich dieser Betrag um rund 10 Mio. und steigt bis 2023 auf über 11 Mio. Ergibt in Summe zusätzliche Kosten von 53 Mio. Euro. Dazu kommen weitere 3 Mio. an höheren Pflegekostenzuschüssen im Zusammenhang mit den privaten Krankenanstalten.
Durch die Einsparungen bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA), die unter der Bezeichnung "Besonderer Pauschbetrag §319a" laufen, entstehen den Krankenkassen Mehrbelastungen von 294 Millionen Euro, errechneten die Sozialversicherungsexperten. Weitere 133 Mio. ergeben sich durch die Umgestaltung und Änderungen bei den Zahlungsmodalitäten rund um den bisherigen Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen, der zum "Innovationsfonds" wird. Das Finanzministerium reduziert hier im Zuge der Reform seine Dotierung.
Bei der AUVA ergeben sich laut den Berechnungen durch die Regierungspläne von 2019 bis 2023 in Summe Mehrbelastungen von 603 Mio. Diese Summe resultiert aus der im aktuellen Gesetzespaket enthaltenen Senkung der Unfallversicherungsbeiträge für Unternehmen (629 Mio.), einer weiteren laut Regierungsprogramm ankündigten Senkung der Unfallversicherungsbeiträge zu einem späteren Zeitpunkt (268 Mio.) und der Übernahme von 294 Mio. ("Besonderer Pauschbetrag §319a) durch die Krankenkassen, die künftig nicht mehr bei der AUVA anfallen.
Bei den Fusionskosten für die Zusammenlegung der Sozialversicherungen und Krankenkassen gehen die Experten von mindestens 500 Mio. Euro aus. Dies Berechnungen fußen einerseits auf den Erfahrungen der Zusammenlegung der Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und Angestellten zur PVA, die laut Rechnungshof 200 Mio. Euro gekostet hat. Zudem liegen seit dem Vorjahr Schätzungen für die Zusammenlegung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) und die Sozialversicherung der Bauern (SVB) vor, die zur Sozialversicherung der Selbständigen fusioniert werden. Die Kosten dafür sollen rund 90 Mio. betragen. Um die 100 Mio. an Kosten werden für die Zusammenlegung der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter und jener für Eisenbahn und Bergbau erwartet. Deutlich jenseits der 200 Mio. dürften die Kosten für die Fusion der 9 Gebietskrankenkassen liegen, so die Sozialversicherungsexperten.
Keine Kompensation
Mit der von der Regierung angekündigten Einsparung von Funktionären werden sich die Mehrbelastungen nicht kompensieren lassen. Die Aufwendungen für die Selbstverwaltung, dazu zählen Sitzungsgelder für Funktionäre und die Zahlungen für die Obleute und Direktoren sowie Fahrtkosten, betrugen 2017 rund 5,3 Mio. Euro.
Kritiker der Regierungspläne monieren, dass den Versicherten und dem Gesundheitssystem durch die Maßnahmen mehr als 1 Milliarde Euro entzogen wird. Es könne also keine Rede davon sein, dass aus einer "Funktionärsmilliarde" eine "Patientenmilliarde" werde, vielmehr handle es sich um eine "Belastungsmilliarde". Nutznießer seien vor allem Wirtschaft und Industrie, die künftig geringere Versicherungsbeiträge zahlen. Die fehlenden Mittel würden für die Versicherten und Patienten Leistungskürzungen mit sich bringen, zu höheren Beiträgen oder zur Einführung von Selbstbehalten führen, so der Vorwurf.
Von Regierungsseite weist man dies zurück. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein betonte erst diese Woche wieder, dass Versicherte und Patienten im Mittelpunkt der Sozialversicherungsreform stünden. Es werde keine Beitragserhöhungen geben, "weil wir im System sparen". Das Einsparungspotenzial der österreichischen Sozialversicherungen durch schlankere Strukturen bezifferte Hartinger-Klein unter Berufung auf Experten auf 200 bis 300 Mio. Euro pro Jahr. Bei der Präsentation des Reformvorhabens war von 1 Mrd. bis 2023 die Rede. Im Begutachtungsentwurf zum Sozialversicherungs-Organisationsgesetz gab die Regierung 33 Mio. bis 2023 und 350 bis 2026 an. Die Begutachtung für das Gesetzespaket zur Reform der Sozialversicherungen und Krankenkassen läuft noch bis Freitag, 19. Oktober. Bereits in der Woche danach könnte die Regierung die Reform in der Ministerratssitzung am 24. Oktober bereits beschließen und ans Parlament weiterleiten.