Was ist in da in der SPÖ in den vergangenen Tagen eigentlich passiert? Die Kleine Zeitung hat den Hergang von Christian Kerns chaotischer Ankündigung in zahlreichen Gesprächen mit seinem Team und Parteifreunden rekonstruiert:

Die Idee

Kern ging schon länger mit der Idee schwanger, bei der Europawahl zu kandidieren und dafür den Parteivorsitz aufzugeben. Einerseits aus strategischen Überlegungen, aber vor allem aus persönlichen Motiven.

Eines davon war, dass er sich nie wirklich mit der Funktion als Oppositionschef anfreunden konnte: Am Mittwoch erklärte er nach Monaten, in denen er genau das abgestritten hatte, ein wenig kokett: „Es ist Ihnen vielleicht nicht entgangen, dass ich von meinem persönlichen Profil nicht der ideale Oppositionsführer bin.“

Außerdem soll es aus seinem privaten Umfeld Druck gegeben haben: der SPÖ-Vorsitz belaste Beziehung und Geschäfte seiner Nächsten.

Der Entschluss

Nachdem vor allem diese persönlichen Motive an diesem Wochenende noch einmal dringend schlagender geworden waren, fasste Kern den Entschluss, seinen Abschied gen Brüssel einzuleiten. Lose besprochen hatte er den Plan in den Tagen zuvor schon mit genau vier mächtigen Parteigenossen, Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, ÖGB-Chef Wolfgang Katzian, der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig.

Allerdings erklärte Kern die Idee mit ihnen nur als ebensolche: Kaiser etwa zeigte sich gegenüber der Kleinen Zeitung völlig überrascht davon, wie schnell sich dann alles entwickelte.

Das Leak und der chaotische Dienstag

Am Dienstag wollte Kern bei einer von ihm neu eingeführten Gesprächsrunde mit SPÖ-Landesobleuten und Gewerkschaftern seinen Entschluss mitteilen. Gestern, Mittwoch, hätte er dann in aller Ruhe mit den anderen Sozialdemokraten Europas über seine Spitzenkandidatur verhandelt, um gegen Wochenende - idealerweise auf internationale Bitten hin - öffentlich kundzumachen, dass er an der Spitze der europäischen Sozialdemokratie in die Wahl ziehen werde.

So weit der Plan.

Es kam allerdings anders: Jemand aus dem Umfeld der vier vorab eingeweihten spielte die Information vorab an Medien aus - und das nur selektiv: Statt „Kern wird EU-Spitzenkandidat und legt dafür den SPÖ-Vorsitz nieder“ ging nur „Kern tritt zurück“ hinaus.

Ob dieser „Leak“ aus parteimörderischem Kalkül oder bloßer Geltungssucht erfolgte - und ob er sogar über die Kommunikationsabteilung von Bundeskanzler Sebastian Kurz gelaufen sein soll -, war am Mittwoch noch Gegenstand wilder Spekulation. Was bekannt ist, waren die Folgen: Der Dienstag wurde zum Chaostag, nach stundenlangem Schweigen wandte sich Kern zuerst an die Medien, bevor er zu dem Abendtermin fuhr und seine Genossen von dem Plan in Kenntnis setzte. Der Plan, erst die Partei, dann die EU-Genossen und zuletzt koordiniert die Öffentlichkeit einzuweihen, war an dem Leak gescheitert.

Mittwoch: Gremien und Verdächtigungen

Gestern, Mittwoch, passierten dann mehrere Dinge gleichzeitig. Erstens offene Kritik von Parteifreunden.

Zweitens: wilde interne Beschuldigungen, wer der Partei den Kommunikations-Schlamassel eingebrockt hatte, inklusive eines Rückfalls in alte Fronten („Faymann-Truppe“, „Burgenland-Achse“ usw.).

Drittens tagten SPÖ-Präsidium und -Vorstand. Auch dort stand Kern, der seine privaten Probleme vor versammelter Runde erörtern musste, unter Beschuss, bekam aber am Ende - mit Gegenstimmen - Unterstützung für die EU-Kandidatur zugesagt. Allerdings muss Kern selbst die Suche nach einem Nachfolger leiten.

Was jetzt kommt

Genau das, einen Nachfolger zu finden, dürfte aber alles andere als einfach werden: Am Mittwoch sagten nicht nur noch einmal Kaiser und Burgenlands designierter Landeshauptmann-Nachfolger Hans Peter Doskozil ab, auch Bures erklärte, nicht zur Verfügung zu stehen. Was die Suche nicht einfacher machen dürfte, sind die Kriterien, die Wiens Michael Ludwig in den Raum stellt: Jemand mit Erfahrung in der Politik sollte es sein, der in der Lage sei, die unterschiedlichen Interessen in der Partei auszugleichen - was die von vielen rund um Kern favorisierte Ex-Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner ausschließen würde, die sich eine Bewerbung am Mittwoch offengelassen hatte.

Kern selbst hat es seinem Nachfolger wohl ebenfalls nicht leicht gemacht, indem er erklärte, es sei „nicht meine Sache, mit dem Bihänder auf Leute einzudreschen“ - was aber zu dem Geschäft eines Oppositionsführers gehöre.

Gewählt werden soll der neue Parteichef an einem - verlegten - Parteitag am 24. und 25. November. Auch Kern wird dort wieder zur Wahl stehen -denn auch die Liste für die EU-Wahl steht dann zur Abstimmung. Bewerbungen müssen bis Mitte Oktober einlangen.