Außenministerin Karin Kneissl hat vor einigen Tagen argumentiert, die EU-Erweiterung um die Westbalkanstaaten aus geopolitischen Überlegungen heraus schneller voranzutreiben, weil der Einfluss Chinas und der Türkei dort wachse. Lässt sich die EU hier nicht zu sehr von der Angst treiben?
Johannes Hahn: Angst ist kein guter Berater. Es ist klar, dass diese Länder eine europäische Perspektive haben, das ist ein enormer Hebel. Aber was zählt, ist die Qualität in der Vorbereitung, nicht die Geschwindigkeit. Das heißt Rechtsstaatsentwicklung, wirtschaftliche Entwicklung. Wir werden die Akzeptanz unserer Bürger nur finden, wenn sie das Gefühl haben, ein neues Mitglied ist eine Bereicherung, nicht eine Belastung.
Wolfgang Sobotka: Geopolitisch gab es in Europa Jahrhunderte hindurch zwei Konfliktfelder: Deutschland und Frankreich, was mit Adenauer und de Gaulle langfristig beseitigt werden konnte. Und die Balkanregion, die besonders volatil ist. Den europäischen Gedanken am Balkan zu festigen, wird schon Grundvoraussetzung für ein stabiles Europa sein. Wir wollen deshalb in parlamentarischen Fragen ein Partner für diese Region sein, um einen Beitrag zur Stärkung der jungen Demokratien zu leisten.
Besteht nicht die Gefahr, dass man solche historischen Konflikte in die EU importiert?
Sobotka: Unterschiedliche Interessenslagen zwischen Staaten haben wir jetzt auch schon; die Frage ist doch, wie geht man damit um? Treibt ein Konflikt Staaten in die Isolation und aufgrund einer fehlenden Gesprächsbasis in militärische Konfrontation oder kann man Themen und Standpunkte benennen und parlamentarisch lösen? Natürlich wird es historische Konfliktlinien noch lange geben – die gab es auch in der österreichischen Geschichte. Nur: In Europa werden Konflikte demokratisch ausgetragen.
Natürlich gibt es immer Konflikte. Aber das sind Nationen, die teilweise noch vor wenigen Jahren miteinander Krieg geführt haben.
Hahn: Gerade in der Union lassen sich viele dieser Probleme besser überwinden als außerhalb. Ein Beispiel ist die irische Grenze, wo das Friedensabkommen deswegen so gut funktioniert hat. Viele der Probleme um diese Grenze haben sich durch die Einbindung in ein größeres Ganzes, in die EU mit ihren Werten und Regeln, einfach aufgelöst. In der neuen Balkanstrategie haben wir festgelegt, dass wir nur bereit sind, ein neues Mitglied aufzunehmen, wenn es all seine bilateralen Konflikte mit Nachbarstaaten beigelegt hat. Das hat schon Dynamik ausgelöst, wie man an der Klärung im Namensstreit zwischen der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien („the former Yugoslav Republic of Macedonia“, FYROM) und Griechenland sehen kann. Entweder wir exportieren Stabilität oder wir importieren Instabilität.
Wobei die Lösung zwischen Griechenland und Mazedonien noch nicht endgültig geklärt ist.
Hahn: Wir haben Ende September das Referendum in FYROM. Das unterstützen wir auch und wir hoffen, dass das positiv ausgeht. Danach müssen die Griechen entscheiden.
Und was, wenn sie Nein sagen?
Die Menschen in FYROM merken, welche positiven Folgen diese Einigung hat – die Beitrittsverhandlungen mit der Nato, den Start der Vorbereitungen für die EU-Verhandlungen, Investitionen etc. Ich glaube, die Griechen werden die Vorteile auch sehen. Es kann nicht in ihrem Interesse sein, geographisch isoliert zu sein.
Dass die Griechen „die Vorteile sehen“ , hat man auch vor der Abstimmung über die Sparmaßnahmen Eurokrise 2015 gehofft – und sie ist mit Nein ausgegangen.
Hahn: Aber im Endeffekt wurden die Dinge durchgezogen und dieser Tage erleben wir die Beendigung des Rettungsprogramms.
Sobotka: Es wird auch ein gerüttelt Maß an europäischer Geschicklichkeit bedürfen, diese gemeinsame Interessenlage durchzusetzen. Ich möchte daher eine Kooperation auf parlamentarischer Ebene etablieren, um die Möglichkeit zu geben, unseren Parlamentarismus kennenzulernen.
Ist der österreichische Parlamentarismus wirklich so ein Best- Practice-Beispiel, dass man ihn exportieren möchte – wenn man etwa an den hohen Anteil der Gesetze denkt, die eigentlich von der Regierung kommen?
Sobotka: Ich denke, unser Parlament ist in vielerlei Hinsicht ein gutes Beispiel, auch wenn immer Luft nach oben ist. Wird im Nationalrat lange diskutiert, heißt es, die Politik ist zögerlich. Werden Vorlagen zügig beschlossen, kommt der Vorwurf des Durchwinkens. Regierung und Opposition werden das vom jeweiligen Standpunkt immer unterschiedlich sehen.
Hahn: Es gibt zwei Punkte, bei denen der österreichische Parlamentarismus als Beispiel dienen kann: Es kommt in den Balkanstaaten vor, dass sie über 50 Prozent der Gesetze im Fast-track-Verfahren beschließen, ohne Einbindung der Zivilgesellschaft, ohne Begutachtung. Es gibt auch in Österreich immer wieder Diskussionen darüber, aber grundsätzlich haben wir ein anderes Verständnis, was Einbindung angeht. Außerdem gibt es am Balkan ein Schwarz-Weiß-Denken: Entweder du bist der Gewinner oder du bist Verlierer. Aber Demokratie besteht aus Kompromiss.
In der österreichischen Bevölkerung gibt es in Umfragen eine klare Mehrheit gegen den Beitritt jedes dieser sechs Staaten.
Hahn: Wir müssen unseren Bürgern erklären, warum der Beitritt sinnvoll ist. Das geht am besten, wenn diese Länder Fortschritte zeigen. Wir müssen aber auch an internen Schrauben drehen: Die Art, wie wir in der EU derzeit zu Entscheidungen kommen, behindert uns in unserer Arbeit als Block, zu sein, was Präsident Juncker unlängst „weltpolitikfähig“ nannte. Wenn ich immer Einstimmigkeit brauche, bin ich mehr in der Reaktion als in der Aktion. Aber natürlich muss die Einstimmigkeit bei der Letztentscheidung über den Beitritt eines neuen Mitglieds erhalten bleiben.
Die EU hat die Bürger zum Thema Sommerzeit befragt. Warum nicht zu entscheidenden Fragen, wie etwa: Wollt ihr eine Erweiterung zum Westbalkan?
Hahn: Politik hat auch die Aufgabe, zu gestalten und voranzugehen. Das ist die Kunst der Politik, dass man die eigenen Bürger nicht aus den Augen verliert und bei den Entscheidungen miteinbezieht, was ihre Einschätzung ist.
Sobotka: Die komplexen Zusammenhänge im Hintergrund verantwortungsvoll aufzubereiten und greifbar zu machen, bedarf massiver Aufklärungsarbeit – egal, ob Gegner oder Befürworter. Als Nationalratspräsident wird es Sie zudem wenig überraschen, dass ich ein Verfechter der repräsentativen Demokratie bin. Die Schweiz lebt das anders, hat aber Jahrhunderte an Erfahrung mit Volksentscheiden vorzuweisen. Solange die Beteiligung bei Wahlen um ein Vielfaches höher ist als bei Volksabstimmungen, bin ich immer skeptisch, dass man über Volksentscheide zu Ergebnissen kommt, die die Bürger wirklich wünschen. Die Brexit-Entscheidung war hier sicher auch ein Warnsignal: Ich war gerade in England und kam mit unterschiedlichsten Menschen aus allen Gesellschaftsschichten ins Gespräch. Von der Kassiererin bis zum National-Trust-Mitarbeiter, niemand konnte oder wollte mir sagen, dass er für den Brexit gestimmt hat.
Das will niemand mehr zugeben.
Sobotka: Das ist am Ende nicht ungefährlich. Ich war in Wales und habe ganz England bereist. Die Bedrückung war allerorts spürbar,, das hat auch mich verunsichert. Ich denke, ein Plebiszit hat in der Gemeinde eine ganz wesentliche Funktion, aber je entfernter Entscheidungen zu treffen sind, desto besser müssen sie aufbereitet werden, in einer langfristigen Diskussion des „Für“ und „Wider“. Man muss für ein ausgewogenes Ergebnis immer auch jene motivieren, die für etwas sind. Gegner werden sich tendenziell immer rasch mobilisieren lassen. Da braucht es schon Fairness in der Frage der Argumentation. Wir sollten die repräsentative Demokratie nicht schlechtreden und unterschätzen. Abgeordnete sind als Volksvertreter schließlich gewählt, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.
Trotzdem steht im Regierungsprogramm, dass ab 900.000 Unterschriften eine Volksabstimmung erzwungen werden kann.
Sobotka: Die Parteien werden sich sicher noch intensiv damit auseinandersetzen müssen, wie sie das in eine Beschlussfassung bringen.
Hahn: Die Einbindung der direkten Demokratie hat zu diesem Zeitpunkt noch etwas sehr Visionäres. Die Konsultation der EU-Kommission zur Sommerzeit ist etwas relativ Einfaches, da hat jeder eine Meinung dazu, aber wie immer das ausgeht, es wird nicht umwälzend sein. sein. Aber der Ansatz ist interessant, Dinge, die Europa betreffen, europaweit abzustimmen. Dann habe ich eher die Gewähr, dass das Thema europaweit analysiert wird. Wir haben schon sehr oft die Situation gehabt, dass innenpolitische Fragen die europäische Fragestellung überlagert haben. Denken Sie etwa an die Abstimmungen über den Nizza-Vertrag.
Ich hätte nur gerne eine konkrete Antwort dazu. Soll Österreich oder soll Europa über den Beitritt jedes der Westbalkanstaaten abstimmen?
Hahn: In manchen Ländern ist es heute schon vorgesehen.
Aber in Österreich?
Hahn: Ich habe ein unkompliziertes Verhältnis zur repräsentativen Demokratie.
Das heißt „nein“.
Hahn: Das heißt, dass die Parlamentarier gewählt wurden, um Entscheidungen zu treffen und Volksabstimmungen sind Dinge, die von Fall zu Fall im Parlament zu diskutieren sind.
Soll es am Ende eine Volksabstimmung geben oder nicht?
Hahn: Ob es im Bereich des EU-Beitritts noch zusätzlich eine Abstimmung geben soll oder nicht, das muss man dann diskutieren, wenn es soweit ist.
Herr Präsident, wie sehen Sie das?
Sobotka: So wie es jetzt vorgesehen ist. Das Parlament muss und wird sich damit auseinandersetzen.
Keine Volksabstimmung?
Sobotka: Der derzeitige Weg ist, dass sich das Parlament damit auseinandersetzen soll. Die Parlamentarier haben ein sehr gutes Gespür und eine sehr gute Verbindung zur Bevölkerung. Das ist meiner Ansicht nach eine wesentliche Stärke der Österreichischen Demokratie, dass Abgeordnete fest in ihrem Wahlkreis verwurzelt und diesem auch verpflichtet sind,. Aber bei der Skepsis gegenüber dieser Region muss man auch sehen, dass es hier einen epigenetischen Hintergrund gibt. Manche Politiker bezeichnen das das Gebiet nicht umsonst lieber als „Südosteuropa“. Balkan hat immer etwas …
...Anrüchiges?
Sobotka: Etwas, das man mit Krisen und mangelnder Rechtsstaatlichkeit verbindet. Die Frage im Volksmund, wo der Balkan beginnt, kennt man ja.
Am Rennweg.
Sobotka: Andere gehen bei dieser Einschätzung noch weiter nach Westen. Da schwingt etwas mit. Das sollte man nicht unterschätzen. Ein emotionales Vorurteil muss man immer wieder mitkalkulieren. Da gibt es nur Bildung, Aufklärung und Information, um die Bevölkerung zu überzeugen und mitzunehmen.
Aber wir trauen unserer Bildung nicht genug zu, um am Ende das Volk abstimmen zu lassen?
Hahn: Noch einmal. Repräsentative Demokratie heißt, ich beauftrage mit meiner Stimme, Leute für mich in einem bestimmten Bereich zu agieren und zu entscheiden. Das brauche ich nicht, wenn ich alles einer Volksabstimmung unterziehe. Das parlamentarische System in Österreich – wie auch in den meisten anderen EU- Ländern – beruht auf der repräsentativen Demokratie, die gewährleistet, dass sich von Bürgern und Bürgerinnen gewählte Abgeordnete mit der Materie auseinandersetzen und eine kompetente Entscheidung, im Interesse der Bürger treffen.
Sobotka: Wenn ich sehen würde, dass die Volksabstimmungen oder die Plebiszite alle eine größere Beteiligung haben als allgemeine Wahlen, dann würde ich mir das überlegen. Solange es einen deutlichen Unterschied in der Beteiligung gibt, muss ich mir überlegen, was unterwerfe ich dem Plebiszit? Man muss das Instrument sehr verantwortungsvoll einsetzen. Wir beklagen uns einerseits, wenn jemand verkürzt und populistisch Politik macht. Dann muss man sich aber auch sehr genau überlegen, wie weit man so etwas befördert, wenn man in jeder Frage Volksabstimmungen ansetzt, die man dann nicht rückgängig machen kann.
Gerade in Ihrer Parteienfamilie, der EVP, gibt es immer wieder Politiker, die das christlich-jüdische Erbe Europas beschwören; mit Albanien käme zum ersten Mal ein mehrheitlich muslimisch geprägtes Land in die EU. Geht das zusammen?
Hahn: Der zentrale Slogan der Union ist „vereint in Vielfalt“. Und dass das christlich-jüdische Erbe das determinierende ist, steht ja außer Frage. Aber es geht darum, dass es eine ordentliche Trennung zwischen Staat und Religion gibt, das ist auch unser aufklärerisches Erbe. Insofern sehe ich hier bei den Ländern am Balkan, zum Beispiel in Albanien, kein Problem.
In der österreichischen Bevölkerung gibt es in Umfragen eine klare Mehrheit gegen den Beitritt jedes dieser sechs Staaten.
Hahn: Wir müssen unseren Bürgern und Bürgerinnen erklären, warum der Beitritt sinnvoll ist. Das geht am besten, wenn diese Länder Fortschritte zeigen. Wir müssen aber auch an internen Schrauben drehen: Die Art, wie wir in der EU derzeit zu Entscheidungen kommen, ob wir jetzt 28, 27 oder 32 Staaten sind, behindert uns in unserer Arbeit als Block, darin zu sein, was Präsident Junker unlängst „weltpolitikfähig“ genannt hat. Ich kann nur weltpolitikfähig sein, wenn ich agiere, nicht reagiere. Und ich kann nur agieren, wenn ich relativ schnell zu Beschlüssen komme. Aber wenn ich immer Einstimmigkeit brauche, brauche ich kein Politikwissenschaftler sein, um zu sehen, dass ich weniger in der Aktion bin als in der Reaktion.
Von der Einstimmigkeit noch weiter abzugehen ginge auf Kosten der „Macht“ der einzelnen Staaten und des einzelnen EU-Bürgers in kleineren Staaten.
Hahn: Demokraten werden akzeptieren, wenn es Mehrheitsentscheidungen gibt, wenn das auf Basis von Diskussionen passiert und nicht der Eindruck entsteht, dass es Blockbildung gibt. Wir müssen aber auch unsere Effizienz erhöhen, um von einem global payer zu einem global player zu werden. Die Kommission wird im Herbst einen Vorschlag unterbreiten für mehr als 40 Bereiche, wo wir von der Einstimmigkeit abgehen könnten, ohne dass das die Qualität unserer Arbeit leidet. . Ein Beispiel: Im Beitrittsverfahren brauche ich aktuell zu jedem noch so kleinen Schritt Einstimmigkeit. Bis ein Land Mitglied wird, brauche ich an die 200 einstimmige Beschlüsse. Dass die finale Beitrittsentscheidung einstimmig gefasst werden muss, ist klar, aber der Weg dahin muss nicht mit Einstimmigkeitsentscheidungen gepflastert sein. Ich verbringe mit meinen Leuten ein Drittel meiner Zeit damit, ein oder zwei Mitgliedstaaten zu überzeugen.
Aber das ist doch nichts anderes als die vertragsmäßige Sicherung der Interessen kleinerer Staaten.
Hahn: Im Lissabon-Vertag gibt es ja die Passerelle-Clause: Wenn die Mitgliedstaaten einstimmig entscheiden, von der Einstimmigkeit abzugehen, geht das auch.
Sobotka: Wenn sie eine Umfrage machen, ob Europa gegenüber China oder Amerika handlungsfähig sein soll, werden sie eine große Mehrheit dafür finden. Woher kommt die Skepsis, der EU mehr Entscheidungsfreiheit einzuäumen: Daher, dass sich die Union mehr um die Dinge kümmern sollte, die sie gut kann. Manches sollte sie dagegen an die Nationalstaaten zurückdelegieren.
Welche fallen Ihnen da ein?
Sobotka: Ich denke an Reglementierungen im Bereich Landwirtschaft, Energie und Lebensmittelzulassungen. Man sollte wieder mehr Autonomie zulassen. Wenn die EU eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sicherstellt, eine gemeinsame Grenzsicherung, dann kann sie Vertrauen zurückgewinnen, das sie im Zuge der Migrationskrise verloren hat. Und es bedarf eines Agierens auf allen Feldern, um den Wert dieses Wirtschaftsraumes wieder darzulegen.
Aber das ist doch ein Widerspruch: Sie sagen, es soll den gemeinsamen Wirtschaftsraum geben, aber andererseits sollen gemeinsame Normen zurückgefahren werden. Die ermöglichen doch erst, in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum miteinander zu handeln.
Sobotka: Es kommt immer drauf an, welche.
Hahn: Ein Ansatz könnte sein, dass man sich auf europäischer Ebene verständigt, welche Ziele zu erreichen sind – aber nicht im Detail festlegt, welche Regeln zu diesem Ziel führen sollen. Man sagt, liebe Mitgliedstaaten, das ist unser Ziel, dieses Ziel müsst ihr erreichen, aber in der Wahl der Mittel gibt es gewisse Freiheiten. Ein anderer Punkt, der mir ein großes Anliegen ist, ist, dass man alle Gesetze, wo immer sie geschlossen werden, mit einer „Sunset-Klausel“ (das heißt, das jedes Gesetz mit einem prinzipiellen Ablaufdatum versehen sein sollte, Anm.) versieht.
Sobotka: Absolut. Außer die Verfassung, natürlich.
Aber was hält Sie denn davon ab? Vergangene Woche ist das Arbeitszeitgesetz kundgemacht worden, beschlossen von Ihrer Koalition, ohne „Sunset-Klausel“; Wenn Sie sagen, selbstverständlich, warum machen Sie das dann nicht?
Sobotka: Absolut richtig. Auch das Bewusstsein in den eigenen Bereichen ist noch nicht so weit fortgeschritten, dass man genau weiß, wo machen diese Sunset-Klauseln einen Sinn, wo nicht.
Also doch nicht bei allen Gesetzen.
Sobotka: Sie werden nicht überall sinnvoll sein, nein. Bei Grundgesetzen oder langfristigen Vorhaben zum Beispiel. Bei Pensionsgesetzen wäre das des Vertrauensschutzes wegen ganz schwierig. Aber bei Vorschriften, bei Limitierungen oder bei technischen Vorgabenwäre eine Sunset-Klausel auf jeden Fall von Vorteil.
Herr Kommissar, wenn Sie sagen, gescheit wäre es, die EU würde in manchen Gebieten nur Ziele festzusetzen und den Weg dazu den einzelnen Staaten überlassen. Welche Themen schweben Ihnen da konkret vor?
Hahn: Es gibt in den verschiedensten Bereichen Möglichkeiten, zum Beispiel diskutieren wir jetzt Klimaziele. Da muss wahrscheinlich jedes Land seine individuellen Möglichkeiten suchen und dann mit nationaler Gesetzgebung arbeiten, denn in dem einen Land werden die Schwerpunkte da liegen und in dem anderen dort. Das Entscheidende ist, dass ich das übergeordnete Ziel erreiche.
Das ist doch jetzt schon so. Wir haben ein nationales Klimaschutzgesetz.
Hahn: Aber es gibt sehr oft Tendenzen, dass es eine europäische Gesetzgebung gibt. Da muss man fairerweise sagen, sehr oft haben die Mitgliedsländer ein Interesse, dass Dinge auf EU-Ebene geregelt werden, weil …
Sobotka: Weil man sich damit nicht selbst auseinandersetzen möchte.
Hahn: Danke, dass du das so offen ansprichst.
Sobotka: Das ist überhaupt keine Frage.
Hahn: Diese komplexe Glyphosat-Diskussion ist eines dieser Beispiele, wo am Ende des Tages die Mitgliedsstaaten bewusst keine Entscheidung treffen wollten, damit wir auf europäischer Ebene entscheiden. Wir haben uns dann auf eine wissenschaftliche Expertise berufen.
Aber das ist genau das Umgekehrte von dem, was Sie sagen, wenn sie wollen, dass die Mitgliedstaaten wieder mehr Kompetenzen bekommen.
Hahn: Da müssen alle daran zusammenwirken. Das ist keine rein legistische Frage, sondern das Ergebnis eines Gesetzesbeschlusses ist immer ein bestimmtes Bewusstsein, eine bestimmte Überzeugung und Auffassung, die man dann letztlich in einen Gesetzesakt gießt.
Aber ein konkretes Beispiel was auf die nationale Ebene zurückgeführt werden soll, bekomme ich jetzt nicht von Ihnen.
Sobotka: Im ganzen Lebensmittelbereich, wo die Lebensmittel regional und saisonal hergestellt werden, ist die Frage, wie definiert man das, welche Möglichkeiten hat man, nationale Spielräume auszunützen. Dort sehe ich ganz einfach einen Handlungsspielraum mit Zulassungsnormen, der für kleine Hersteller finanziell nicht stemmbar ist, weil Verfahren zu komplex sind. In der ganzen Subsidiaritätsfrage gibt es noch immer zu wenig Bewegung, man nimmt diese Themen auf, man diskutiert sie und dann werden sie wieder ad acta gelegt. Das fängt ja bei der Gemeinde an. Was der Gemeinde unliebsam ist, schiebt man aufs Land, was in der Land-, Raum- und Bodenordnung unliebsam ist, schiebt man auf den Bund und dann geht es weiter bis zur Europäische Union.
Hahn: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Europa ist von Energieimporten abhängig. Eine der Möglichkeiten, das anzugehen, ist Energieeffizienz. Eine der von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen dazu war, dass Staubsauger nicht mehr als 1500 Watt haben sollen.. Da sind wir geprügelt worden, weil wir uns damit überhaupt beschäftigen. Jetzt könnte ich Ihnen locker irgendwelche Rechnungen darstellen, welches Einsparungspotenzial das tatsächlich hat. Das ist kommunikativ nicht darstellbar. Daher haben wir beschlossen, von solchen Dingen Abstand zu nehmen. Das ändert aber nichts daran, dass wir eigentlich ein veritables Interesse haben müssten, möglichst wenig Energie zu verbrauchen.
Und da wäre die Lösung, statt solcher Beschränkungen Ziele zu beschießen, wie viel weniger ein Land an Energie verbrauchen soll?
Hahn: Es wäre ein Ansatz zu sagen, jedes Land hat diesen und jenen Beitrag zu leisten. Wir hatten einmal eine Vorgabe für die Forschungsquote, die hat gelautet drei Prozent. Das hat aber niemanden gekratzt. Warum? Nur wenige, wie die Schweden, waren über drei Prozent und sehr viele waren weit weg von den drei Prozent. Es war die Österreichische Präsidentschaft unter Wolfgang Schüssel, die dann gesagt hat, jedes Land soll für sich eine Zielquote definieren. Das war ein „Breakthrough“: Wenn die Rumänen 0,6 haben und das Ziel ist drei Prozent, ist das unrealistisch. Aber wenn man zu Rumänien sagt, schaut, dass ihr 1,2 zusammenkriegt, dann ist das machbar.
Sobotka: Das hat mit dem Westbalkan insofern zu tun, als wir vor einer ganz großen Herausforderung stehen. Diese Länder sind gesellschaftlich anders strukturiert. Dort ist der Familienverband etwas ganz anderes, als im west- oder mitteleuropäischen Kontext. Dort ist das Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit noch ein sehr sensibles. Da stehen wir vor der Herausforderung, uns genau zu überlegen zu müssen, was ist wirklich unabdingbar, um den europäischen Wertekanon nicht zu verletzen.
Eine letzte Frage: Wie hat man in der EU-Kommission den Besuch von Wladimir Putin bei der Hochzeit unserer Außenministerin aufgenommen?
Hahn: Das haben wir noch nicht diskutiert. Das war als privates Ereignis geplant, so hatte ich es zumindest angenommen. Die tatsächliche Veranstaltung hat dann etwas Surreales gehabt, wo privat und Politik nicht eindeutig getrennt waren. Aber wir haben nächste Woche einen informellen Außenministerrat in Wien, wo die Außenministerin quasi auch die Gastgeberin ist und dann werden wir mehr wissen.
Georg Renner