1 Wer will das Rücktrittsrecht neu regeln und warum?
Die Initiative geht von ÖVP und FPÖ aus, nachdem die Versicherungen lange Druck gemacht haben. Der Hintergrund ist: Nach Höchsturteilen haben Inhaber von Lebensversicherungen ein unbegrenztes Rücktrittsrecht, wenn sie vor Abschluss mangelhaft über ihr Rücktrittsrecht belehrt wurden. Dies und das anhaltende Zinstief rief Anwälte und Prozessfinanzierer auf den Plan, Rücktrittswillige dabei zu unterstützen, Prämien samt Zinsen von der Versicherung zurückzuholen. Das Problem: Die Höchsturteile bezogen sich auf Einzelfälle und nachfolgende Gerichtsentscheidungen fielen ganz unterschiedlich aus. Es herrscht Verunsicherung.
2 Wieviele Verträge betrifft das Höchsturteil und was bedeutet es im Detail?
Nach Schätzungen geht es in Österreich um rund fünf Millionen Verträge, die vor dem Spruch des Europäischen Gerichtshofes 2013 abgeschlossen wurden. Demnach, so erklärt Anwalt Florian Müller aus Innsbruck, sind die Versicherungsnehmer so zu stellen, als hätten sie den Vertrag nie geschlossen. Sämtliche Beträge seien zurückzuzahlen.
3 Es heißt, die zurückbezahlten Prämien müssen mit vier Prozent verzinst werden. Stimmt das?
Dieser Zinssatz steht in keinem der höchstgerichtlichen Urteile, jedoch im Gesetz, und zwar im ABGB. Hineingeschrieben zu einer Zeit, als vier Prozent Zinsen nicht viel waren – im Gegensatz zu heute. In der Praxis nehmen Versicherungen Rücktritte nicht einfach hin. Es kommt zu Klagen und, so Anwalt Müller, sehr häufig zu Vergleichen.
4 Mit welchen Argumenten forderten die Versicherungen ein neues Rücktrittsrecht?
Die Branche will zum einen ein einheitliches Rücktrittsrecht und zum anderen Rechtssicherheit für die Konsumenten und sich selbst schaffen. Die derzeitige Lage stellt für sie ein finanzielles Risiko dar. Der Rücktritt von der Lebensversicherung ist nämlich auch zu einem Geschäftsmodell geworden, wie der Grazer Anwalt Harald Christandl aus seiner Praxis berichtet. „Die höchstgerichtlichen Entscheidungen werden teilweise missbräuchlich ausgelegt.“ Prozessfinanzierer vor allem aus dem deutschen Raum lassen sich in großem Stil Versicherungsverträge abtreten, um sie danach einzuklagen. Ihre Erfolgsbeteiligung betrage laut Christandl bis zu 30 Prozent. Er hält diese Geschäftspraktiken für unlauter. „Massenhafte Rücktritte gehen letztlich zu Lasten der Konsumenten.“
5 Wie sieht die neue Regelung aus und ab wann gilt sie?
Im Fall einer mangelhaften Belehrung gilt ab 2019: Bei einem Rücktritt im ersten Jahr soll die gesamte Prämie einschließlich Abschlusskosten rückerstattet werden, jedoch ohne Zinsen. Ab dem zweiten bis zum Ende des fünften Jahres wird der Rückkaufswert ohne Abschlusskosten und ohne Stornogebühren ausbezahlt. Ab dem sechsten Jahr soll nur noch der Rückkaufswert abzüglich Stornogebühren erstattet werden.
6 Wie bewerten Konsumentenschützer das neue Gesetz?
Gabriele Zgubic von der Arbeiterkammer wertet es als Verschlechterung für Konsumenten, da für sie ein Rücktritt künftig weniger Geld bedeute. Experten sind sich uneinig darüber, ob die neue Regelung europarechtskonform ist. Der Linzer Anwalt Michael Poduschka kündigte die Anfechtung vor dem Höchstgericht an.
7 Was gilt bei einem Rücktritt, der noch 2018 ausgesprochen wird?
„Nach meinem Verständnis sind Rücktritte, die 2018 erklärt werden, nach derzeitiger Rechtslage abzuhandeln“, sagt Rechtsanwalt Müller. Danach habe man drei Jahre Zeit, Ansprüche einzuklagen.
8 Wie gefragt sind Lebensversicherungen überhaupt noch?
Dass der höchst zulässige Garantiezins für neue Verträge 2016 auf 1,0 Prozent und 2017 auf 0,5 Prozent sank, sagt viel aus. Klaus Scheitegel, Chef der Grazer Wechselseitigen, meint aber: „Die Lebensversicherung ist für die langfristige Versorgung nach wie vor sehr wichtig.“