"Die ganze Republik ist besoffen von dieser Inszenierung. Die Menschen werden da mit einem riesigen Kater aufwachen." Matthias Strolz verabschiedet sich als NEOS-Chef im APA-Interview mit einem Rundumschlag gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Er warnte davor, dass ÖVP und FPÖ "die Fundamente der parlamentarischen Demokratie aushöhlen".

"Die Art der Ignoranz", die Kurz und sein Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ) an den Tag legten, "ist einzigartig". Sie hätten für eine Abkühlung der Zusammenarbeit im Parlament gesorgt, "die besorgniserregend ist", findet Strolz. Sie verstießen gegen alle Usancen und Spielregeln, das gehe an die Fundamente der parlamentarischen Demokratie. "Wenn das weiter so erodiert, steuern wir auf einen gewaltigen Konflikt zwischen Parlament und Regierung zu. Es kann sein, dass sie das tatsächlich wollen, weil sie das System bewusst unterhöhlen wollen. Aber wir werden mit aller Kraft dagegen halten, und es ist nicht so, dass wir nicht gehört werden", sagte Strolz. Kurz' Inszenierung sei so gut, dass sie blende. "Wenn wir nicht aufwachen in genügender Kraft und Zahl, werden wir aufwachen in der illiberalen Demokratie."

Kurz habe kein Geschichtsbewusstsein

"Kurz hat sich handwerklich grandios, aber brutal an die Macht geputscht. Er hat die alte Dame ÖVP frisiert, alle waren froh, weil die vorherige Frisur nicht mehr auszuhalten war." In der Regel sei es aber so, dass wer durch einen Putsch an die Macht komme, auch durch einen Putsch ende. "Das ist die Gesetzlichkeit der Geschichte. Die Revolution frisst ihre Kinder." Das sei Kurz aber nicht bewusst, weil er kein Geschichtsbewusstsein habe, "weil er einzig seinem Gott, der Optimierung huldigt", bemühte Strolz scharfe Worte. Was Kurz mache, sei vom Talent "einzigartig, aber seelenlos". "Es ist mein großer Schmerz, dass dieser Kerl mit seinen Talenten aus der Generation Erasmus, der der europäischen Integration so viel zu verdanken hat, die Idee der fortlaufenden europäischen Einigung so kaltschnäuzig unterhöhlt." Strolz ortet nach einem halben Jahr Kanzlerschaft bereits erste sichtbare Veränderungen bei Kurz: "Er hat in seinem Auftreten seine bisher vorgetragene, leicht gebückte Haltung abgelegt. Damit deutete er Demut an. Er ist jetzt durchgestreckt und in seiner Mimik blitzt gelegentlich eine Arroganz durch, die einem Sorge macht."

Die liberalen Kräfte organisieren sich jetzt auch auf europäischer Ebene gegen die "plumpen Nationalisten und Populisten, die jederzeit bereit sind, das europäische Miteinander zu zerstören, wenn es ihrer Machtlogik dient". Das werde auch immer mehr Menschen klar, "da kriegen immer mehr Menschen Angst". Angst sei aber in diesem Fall ein guter Ratgeber, "weil wir haben hier viel zu verlieren, nämlich unsere Freiheit, unsere liberale Demokratie".

Rückkehr nicht ausgeschlossen

Wenn er Parteichef geblieben wäre, hätte er sich für weitere sieben Jahre verpflichten müssen, "an vorderster Front weiterzuziehen ohne Pause". "Dann wären meine Kinder komplett in der Phase groß geworden, wo ich Parteichef war. Da ist mir die Vaterrolle zu wichtig", erklärte Strolz weitere Beweggründe für seinen Rückzug. Die NEOS müssen sich jetzt vom Gründer emanzipieren. Das sei ganz wichtig für die Rolle, die die Partei in Österreich und Europa spielen solle. Eine Rückkehr in die Politik sei in einigen Jahren nicht ausgeschlossen. "Ich kann wieder irgendwo dazu stoßen, ohne dass ich hier aktuell einen konkreten Plan verfolge oder ein Kalkül habe. Auch schließe ich in den nächsten Jahren eine exponierte Führungsrolle aus."