Wichtigstes Thema beim Treffen in Budapest seien die Prioritäten des österreichischen Ratsvorsitzes, vor allem der Kampf gegen illegale Migration, hieß es im Vorfeld der Reise aus dem Bundeskanzleramt: "Im Fokus stehen dabei Bemühungen zum Schutz der Außengrenzen, insbesondere eine Stärkung von Frontex und Maßnahmen gegen illegale Migration entlang der Albanien-Route." Laut der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung ist jüngst wieder eine verstärkte Migrationsbewegung entlang der Albanien-Route zu verzeichnen. Daher sollen auch österreichische Polizisten zur Unterstützung der albanischen Behörden entsandt werden.

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) drohte unlängst in diesem Zusammenhang, "im Fall der Fälle" alle Grenzen Österreichs dicht zu machen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hält die Sorge vor einer neuen Balkanroute oder einer Wiederholung des Flüchtlingsansturms von 2015/2016 dagegen für übertrieben. Zwar gebe es vermehrt Ankünfte in Bosnien-Herzegowina, aber der Großteil von diesen Personen sei schon seit langem auf der Flucht, erklärte die IOM.

Auch albanische Regierungspolitiker wie Ministerpräsident Edi Rama stellten massive Flüchtlingsbewegungen in Abrede. Der ehemalige Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa und Ex-ÖVP-Vizekanzler Erhard Busek sprach vor rund zwei Wochen in seiner Funktion als Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) von "Angstmacherei" .

Das Bundeskanzleramt wiederum betonte vor dem Treffen, dass im Bereich Migration eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Visegrad-Staaten Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen von großer Bedeutung sei, um die EU-Außengrenzen ordentlich zu schützen. Kurz hatte zum Kampf gegen illegale Migration nach Europa in der vergangenen Woche eine "Achse der Willigen" vorgeschlagen, für die er im deutschen Innenminister Horst Seehofer von der bayerischen CSU "einen wichtigen Partner" sieht. Außerdem kommen die neue Regierung in Rom, aber auch die Niederlande, Dänemark und die Visegrad-Staaten als Kooperationspartner in Frage.

Die Visegrad-Länder verfolgen seit dem Höhepunkt der Migrationskrise im Jahr 2015 einen sehr restriktiven Flüchtlingskurs. So lehnten sie die EU-interne Verteilung nach Quoten ab. Orban riegelte die ungarischen Grenzen bereits damals mit einem Zaun ab. Der Chef der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz propagiert auch ein Modell der "illiberalen Demokratie", das er in Ungarn gerade umsetzen will. Er liegt mit der EU wegen seiner restriktiven Asylpolitik, der Einschränkung demokratischer Rechte und des mutmaßlichen Missbrauchs von EU-Geldern im Streit.

"Stop-Soros-Gesetz"

Am heutigen Mittwoch sollte das Parlament in Budapest über ein Gesetz abstimmen, das Flüchtlingshelfer von Nichtregierungsorganisationen mit Gefängnisstrafen bedroht. Es wird unter Anspielung auf den ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros auch als "Stop-Soros-Gesetz" bezeichnet. Das ungarische Helsinki-Komitee warnte zuletzt angesichts einer von der Regierung im derzeitigen Visegrad-Vorsitzland Ungarn verschärften Kampagne gegen Flüchtlingshelfer von einer "Ära der Angst, wie es sie seit dem Ende der kommunistischen Diktatur nicht mehr gab". Die Medien- und Meinungsfreiheit werde beschnitten und gegen NGOs zunehmend repressiver vorgegangen.

Angesichts dessen werfen Kritiker - etwa aus der Opposition - Kurz eine unkritische Nähe zum als EU-skeptisch bis -feindlich geltenden Orban vor. So sprach der scheidende NEOS-Chef Matthias Strolz in einem Gastbeitrag für "Zeit Online" von einer neuen "Achse der Prinzipienlosen". Eine Gruppe nationalkonservativer Populisten um Kurz und Orban versuche "professionell und kaltschnäuzig, eloquent und hemmungslos" Europa umzubauen. "Sie haben keine Vision für Europa, aber sie haben Lust auf Macht", so Strolz in der Online-Ausgabe der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" und er warnte: "Unter der Führung nationalkonservativer Populisten würde die Europäische Union in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit taumeln. Und die Machtblöcke im Westen und Osten schauen amüsiert zu. Sie wittern fette Beute."

Der 31-jährige ÖVP-Chef Sebastian Kurz wiederum ist der Meinung, "Schubladisierungen" würden die EU spalten und zerstören, wie er etwa in der Vorwoche dem "Standard" (Samstag-Ausgabe) sagte. Man solle nicht auf jene "herabschauen", die eine andere Meinung vertreten. "Wenn man in Osteuropa den Eindruck hat, ein EU-Mitglied zweiter Klasse zu sein, dann ist das alles andere als positiv", so Kurz. Eine Trennung in konstruktive und dekonstruktive Kräfte innerhalb der EU lehnt der Kanzler ab.

Zwar dürfe es keine Kompromisse bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geben, erklärte Kurz dem "Standard", ansonsten sei er aber für das Geltenlassen unterschiedlicher Standpunkte. Das "ständige Erziehen" aller müsse aufhören. Daher hält der Bundeskanzler auch einen Dialog mit Budapest für wichtig. Ein Treffen mit Griechenlands linkspopulistischem Premier Alexis Tsipras scheint allerdings in näherer Zukunft nicht geplant zu sein.

Dafür kommt am Freitag Ratspräsident Donald Tusk zu einer Begegnung mit Kurz nach Wien, um laut Bundeskanzleramt die Migrationskrise und den Schutz der Außengrenzen zu besprechen. Demnach steht auch ein mögliches Treffen mit Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Regierungschefs anderer betroffener Staaten im Vorfeld des EU-Gipfels Ende der kommenden Woche (28./29.6.) im Raum. Der Kampf gegen illegale Migration wird auch Thema eines bilateralen Treffens mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Rande des Europäischen Rates in Brüssel sein, hieß es aus dem Kurz-Büro.

Von dort verlautete außerdem: "Weitere Themen des Gesprächs mit den Visegrad-Regierungschefs sind die Verbesserung der Beziehungen EU-Israel, die Unterstützung der Westbalkanstaaten bei der Annäherung an die EU, die Indexierung der Familienbeihilfe sowie die Bekräftigung der ablehnenden Haltung Österreichs zur Nutzung von Atomenergie."