Wolfgang Katzian wurde zum neuen ÖGB-Chef gewählt. Und der ÖGB-Kongress hat einen durchaus kämpferischen Leitantrag einstimmig angenommen. Auch die Christgewerkschafter votierten dafür, wenngleich FCG-Chef Norbert Schnedl klar machte, dass man einzelne Forderungen wie jene nach Vermögenssteuern und der gemeinsamen Schule nicht unterstütze.
Der neue ÖGB-Chef Wolfgang Katzian wertete sein Votum als Zeichen "ganz großer Geschlossenheit und als ganz starkes Signal des Miteinander". Jeder wisse, was die Gewerkschaft nun zu tun habe, nämlich, sich für ein gutes Leben für Arbeitnehmer einzusetzen: "An dem werden wir unsere Arbeit orientieren. Wir sind nicht der Stachel gegen Regierung, Wirtschaftskammer oder sonst jemanden."
Die Ankündigung eines Kuschelkurses war das freilich nicht. Denn Katzian machte auch gleich "auf gut Wienerisch" klar: "Wir sind keine Hosenscheißer." Mit Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer will er noch heute telefonieren und möglichst ein Treffen aller Sozialpartner-Chefs vereinbaren. Dem folgte auch eine kleine Drohung. Wenn man die Sozialpartnerschaft nicht im bisherigen Sinn leben wolle, dann werde man sich eben auf Kollektivvertrags- oder Betriebsebene Gehör verschaffen müssen. Ein altes Gewerkschafterzitat anwendend meinte der ÖGB-Chef: "Wir reichen ihnen schon die Hand, aber wenn sie sie nicht annehmen, kann sie schnell zur Faust werden."
Der Leitantrag, der beim Kongress digital noch einige kleinere Änderungen erfahren hatte, enthält auch den Wunsch nach einer Arbeitszeitverkürzung, wobei hier als Option etwa das leichtere Erreichen einer sechsten Urlaubswoche genannt wird. Vorgesehen ist ferner eine Überstunden-Abgabe für Arbeitgeber. Auf die Altersteilzeit soll es einen Rechtsanspruch geben, gleiches soll beim "Papa-Monat" gelten, und das mit vollem Lohnausgleich. Die von der Regierung sistierte "Aktion 20.000" zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer will der ÖGB wieder in Kraft setzen.
Nein zu Aus für Notstandshilfe
Nein sagt der Kongress zur Abschaffung der Notstandshilfe. Eine Senkung der Mittel für die Arbeiterkammer wird ebenfalls klar abgelehnt, was auch Christgewerkschafter Schnedl in seinem Statement deutlich machte. Ein No-Go ist ferner ein Aus für die AUVA. Bei der Mindestsicherung werden Einschränkungen für Flüchtlinge abgelehnt, wie sie sich durch die Regierungspläne indirekt ergeben würden. Eines der meist diskutierten Themen war die geplante Abschaffung der Jugendvertrauensräte, die der Gewerkschaft quasi als Talente-Pool dienen. Auch hierzu sagt der Kongress Nein.
Abgegolten haben will der Gewerkschaftsbund die "kalte Progression". Zumindest die sozialdemokratischen Gewerkschafter wünschen sich auch eine Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögenssteuer, die vor allem zur Pflegefinanzierung herangezogen werden soll. Diverse Forderungen beziehen sich auch darauf, Steuerflucht zu unterbinden - oder, wie es vida-Chef Roman Hebenstreit in der Debatte nannte, statt ständig die Balkan-Route lieber einmal die "Panama-Route" zu schließen.
Lehrstellen für Asylwerber öffnen
Chancenreichen Asylwerbern will der ÖGB den gesamten Lehrstellenmarkt öffnen. Zudem kommt neuerlich die Forderung danach, Asylsuchenden, die ein halbes Jahr im Land sind, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. "Als letztes Mittel" denkt der Bundeskongress Einschränkungen der Freizügigkeit am EU-Arbeitsmarkt an.
Was die Schule angeht, tritt der Kongress für die gemeinsame Schule sowie für die Ganztagsschule ein. Ein zweites Gratis-Kindergartenjahr findet sich ebenso auf der Agenda wie ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr.
Zwischen den Welten
Wer einmal eine Großveranstaltung mit jungen Start-up-Unternehmen besucht hat und das – natürlich unzulässigerweise – mit dem alle fünf Jahre stattfindenden ÖGB-Kongress vergleicht, der wähnt sich in zwei verschiedenen Welten. Obwohl sich der Gewerkschaftsbund im Lichte der Digitalisierung das Thema „Faire Arbeit 4.0“ in dem 124-seitigen Leitantrag auf die Fahnen geheftet hat, sich also intensiv mit der neuen Arbeitswelt und ihren nicht mehr einfach einzuordnenden Arbeitsverhältnissen auseinandersetzen will.
Der Blick über den Tellerrand, noch wirkt er überschaubar: War SPÖ-Chef Christian Kern vor einem Jahr als Kanzler ein begeisterter Fürsprecher der bunten, jungen Unternehmerszene, bediente er nun, befreit von seiner Regierungsverantwortung, vor der Eröffnung des eigentlichen Kongresses vor allem die Bedürfnisse der Klientel nach Klassenkampf-Rhetorik. Geschliffen wohl, gespickt mit feinen Spitzen, auch mit Witz, aber auch hetzend und wiederholend in Lieblingsformulierungen, etwa wie „zukunftsvergessen“ die schwarz-blaue Regierung schlicht sei.
Zukunftsversessen könnte dazu ein Gegenstück sein. Nur, dazu ist im 70er-Jahre-Bau des Austria Centers nicht nur wegen der architektonischen Atmosphäre alles ein wenig zu retro.
Chance zur Profilierung
Gewerkschaftsbewegung, so scheint es hier zumindest, ist etwas für Insider, Eingeschworene, jene, die dazugehören, Rechte überhaupt haben, auf die sie pochen können. Mit „Faire Arbeit 4.0“ einen glatten Gegenentwurf zum Regierungsprogramm hinzulegen, muss der Gewerkschaftsbund das als seine Pflicht verstehen?
Er sieht es offenbar als Chance der harten Profilierung, nicht zuletzt der Mitgliederwerbung, die immer stärker in die Richtung der kleinen Selbstständigen gehen wird. Eine Ursache des tief gewordenen Grabens zur Wirtschaftskammer liegt hier. Denn die Mini-Unternehmer „gehören“ rechtlich der Unternehmervertretung. Eine Gesetzesänderung hätte der ÖGB gerne als Sicherung seiner wirtschaftlichen Basis.
Von Claudia Haase