Natürlich ist es nicht besonders charmant, einer Dame im Herbst ihres Lebens zu sagen, sie sei ein Fall für das Museum. Selbst für den morbiden Wiener Schmäh wäre das eine Spur zu derb. Doch für Monika Salzer ist die Anfrage aus dem Haus der Geschichte Österreichs gleichermaßen amüsant und anerkennend. Wenn die Ausstellung hinter dem Balkon der Hofburg am Heldenplatz am 11. November zum 100. Jahrestag der Republikgründung öffnet, dann wird ihre Bewegung „Omas gegen rechts“ gerade zwölf Monate alt sein. Und für ihr Symbol - die roten Strickhauben mit weißem Button - könnte es keinen besseren Platz geben als der Ort, an dem die Republik sich ein neues Geschichtsverständnis erarbeiten will. Und, ja auch, an dem Hitler 1938 den Anschluss Österreichs an Nazideutschland ausrief.
Damit die Geschichte nicht noch einmal eine fatale Wendung bekommt, geht Monika Salzer streitlustig mit ihren Mit-Omas auf die Straße. Mit auffälliger Symbolik will die 70-Jährige gemeinsam mit anderen älteren Frauen ihre Stimme gegen die politische und gesellschaftliche Entwicklung erheben. Sie verstehen sich als überparteiliche Initiative, aber dennoch sehen sie in der neuen Bundesregierung eine Gefahr für den Zusammenhalt. Deshalb sind sie als kleine Gruppe bei den ersten beiden Großdemonstrationen gegen Türkis-Blau Mitte Dezember und Mitte Jänner auf die Straße gegangen.
Zu acht haben sie begonnen
Zu acht waren sie auf dem Heldenplatz mit ihren roten Hauben und haben ihr „Omas gegen rechts“-Lied gesungen. „Das ist gut angekommen“, erzählt Monika Salzer im großmütterlichen Ton. „,Ihr seid cool', haben die Jungen zu uns gesagt“, sagt sie amüsiert. „Es war einfach eine Neuheit.“
In nahezu jedem Zeitungsbericht über den Protest wurden sie erwähnt. Selbst die BBC berichtet über die „grannies“. Die Gruppe wuchs rasch an. Und dieser enorme Zulauf überrascht Salzer doch ein wenig. „Ich habe die Bewegung am 16. November 2017 als geschlossene Facebook-Gruppe gegründet“, erzählt sie, „und dachte nicht, dass sie solch einen Zuspruch bekommen wird. Mir war aber klar, dass es Interesse geben könnte.“
Die Gruppe ist immer noch geschlossen und Administratorinnen entscheiden, ob jemand hinzukommen darf. Aber inzwischen kündigt die Gruppe Proteste und Veranstaltungen auf ihrer Homepage an. Beim Gedenkmarsch für die verstorbene Menschenrechtsaktivistin Ute Bock Anfang Februar waren sie bereits 200 Rothauben. Mittlerweile hat die Gruppe Kultstatus und mehr als 3200 Mitglieder. Es gibt Ableger in fast jedem Bundesland und sogar Untergruppen in Deutschland.
Dass sie sich selbst „Omas“ nennen und dies plakativ demonstrieren, ist ein Teil der öffentlichen Wirksamkeit. Despektierlich sehen sie das nicht. „Das ist doch ein Ehrentitel“, sagt Salzer. „Außerdem sind wir doch auch lieb.“ Wenn die Damenriege auftaucht und Haltung zeigt, erwartet man Wut vergebens. Die evangelische Pfarrerin im Ruhestand ist selbst mehrfache Großmutter. Es geht ihnen um den Wandel des Begriffs „Oma“ und um einen sinnvollen Einsatz ihrer Zeit. „Die jungen Menschen sind stark eingespannt“, sagt Salzer. „Wir sehen uns als Vertreter dieser Generation.“ Die 70-Jährige hält inne. „Wir wollen für unsere Enkelkinder etwas Gutes machen, haben keine kleinen Kinder mehr, sind nicht mehr im Job so eingespannt und haben Zeit.“ Alte Menschen sollten doch Aufgaben für sich finden. „Der Satz ,Die sollen es sich gut gehen lassen' ist doch Blödsinn.“ Niemandem gehe es gut, wenn er oder sie nichts zu tun habe, sagt die Psychotherapeutin und Seelsorgerin.
Medienprofis sind sie schon
Das klingt ein wenig nach netter, unbedarfter Oma von nebenan mit 20 Jahren Krankenhaus-Erfahrung. Salzer ist allerdings Medienprofi. Popularität erlangte die Wienerin durch eine Kolumne in der „Krone“ und ihren Auftritt in der ORF-Sendung „Dancing Stars“. Gemeinsam mit der Journalistin Susanne Scholl organisiert Salzer die Omas und die Lust an der Rebellion spielt dabei eine große Rolle. Es gehe ihnen darum, junge Menschen wieder zu politisieren. So wie sie es waren in den 60er- und 70er-Jahren. Gegen Rassismus, Sozialabbau, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit. Innerhalb ihrer Plattform wird über die „bedrohliche Entwicklung“ ausgiebig diskutiert. Dass sie dafür aus dem Lager der Freiheitlichen angefeindet werden, amüsiert die Organisatorinnen sogar etwas. „Uns älteren Frauen wird die Nützlichkeit abgesprochen“, sagt Salzer und zitiert einen Twitter-Kommentar eines Salzburger Identitären-Chefs: „Wenn man länger lebt, als man nützlich ist, und vor lauter Feminismus nie Stricken lernte. Meine Oma schämt sich für euch.“ Dabei hätten sie doch alle längst geleistet und müssten nichts mehr schaffen.
Dieser Ton passe aber zum roten Faden der Regierung. Man bekomme mit, wie plötzlich Grenzen in der Gesellschaft überschritten würden, die viele Jahrzehnte in Stein gemeißelt schienen, betonten die Organisatorinnen. Deshalb sei in der Gruppe auch eine wichtige Fragestellung, wie man das bürgerliche Publikum erreichen könne, erklärt Salzer. Es gehe nicht darum, ein kritisches Bild zu entwerfen, sondern für die Probleme zu sensibilisieren.
Hofburg-Wahl hat sie ermutigt
Ermutigt habe sie der Kampf um die Hofburg, bei dem sie noch ohne Oma-Status auf die Straße ging: „Der Wahlkampf für Alexander Van der Bellen gegen Norbert Hofer ist von der Zivilgesellschaft getragen worden.“
„Immer nur Sündenbock-Mechanismus ist nicht genug für die Politik.“ Dass die Mitte wegbricht, habe man in Österreich schon einmal erlebt. Es sei an der Zeit, dass die Gutmeinenden in der ÖVP etwas sagen. Sie sei keine Anti-ÖVPlerin, betont Salzer. „Ich schätze die Volkspartei, weil sie nach dem Krieg das Land mit aufgebaut hat.“ Doch wenn Kanzler Sebastian Kurz nun mit den Deutschnationalen in der FPÖ, die nicht recht an dieses Land glauben, zusammenarbeite, sei die ÖVP eben auch rechts, findet Salzer. Unter Kurz sei sie zur „FPÖ 2.0“ verkommen. Aber auch die SPÖ sei stark nach rechts gerückt. Deshalb habe man Ex-Kanzler Christian Kern gleich zum zweiten Jour fixe eingeladen.
Diese kleinen Veranstaltungen wolle man ausbauen und tourt daher seit Wochen durch Österreich. Am 26. Mai aber wird es wieder einen großen Protest geben. Dann soll sich in Wien eine Menschenkette für die Wahrung von Frauenrechten bilden. 20.000 Menschen erhoffen sich die Organisatoren. Und mittendrin singen wieder die „Omas gegen rechts“.
Ingo Hasewend