Fast hätte Sebastian Kurz seine Reise nach Brüssel abblasen müssen. Eine hartnäckige Grippe hatte ihn seit Wochenbeginn ans Bett gekettet. Nach tagelanger Absenz von der Öffentlichkeit gab er via Twitter ein erstes Lebenszeichen von sich. „Ich bin nach einigen Tagen mit Grippe zu Hause wieder eingestiegen“, meldete er sich in einem Video vor dem Boarding in Schwechat zu Wort. Knapp nach neun Uhr früh bestieg der Kanzler die Maschine, die Folgen der hartnäckigen Grippe waren dem
31-jährigen Spitzenpolitiker nicht mehr anzumerken.


In der EU-Metropole feierte Kurz eine Premiere: seinen ersten Auftritt bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs. Italiens Premierminister Paolo Gentiloni begrüßte seinen langjährigen Amtskollegen (als Außenminister) mit einem „high five“, auch Angela Merkel ging schnurstracks auf Kurz zu, als sie ihn im komplett rauchfreien Ratsgebäude erblickte. Besonders herzlich fiel der Empfang durch EU-Präsident Donald Tusk aus. Die meisten Gipfelchefs kennt Kurz von anderen Veranstaltungen. Am Kabinettstisch nahm er neben Litauens Präsidentin Dalia Grybauskait(e) Platz.


Ehe das Feilschen um die EU-Milliarden begann, wollten die mitreisenden Journalisten vom Kanzler noch schnell wissen, wie es mit dem Rauchverbot weitergeht, seit einer Woche hatte sich Kurz dazu nicht geäußert. „Ich habe großes Verständnis, dass sich die Mehrheit für ein absolutes Rauchverbot einsetzt“, erklärte er nach der Landung im Brüssel. „Ich bin selbst Nichtraucher.“ Allerdings sei die „Beibehaltung der aktuellen Regelung eine Koalitionsbedingung der FPÖ“ gewesen. „Wir werden die aktuelle Regelung am 1. Mai verlängern.“ Ähnlich äußerten sich im Laufe des Tages auch die meisten ÖVP-Landeshauptleute.
Anders als FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache schloss Kurz ein Abgehen von der bisherigen Regelung, die keine Änderung vor 2021 vorsieht, nicht mehr aus. „Ich bin dafür, dass wir das Endergebnis des Volksbegehrens einmal abwarten und dann in der Regierung und im Parlament behandeln.“ Mehr war dem Kanzler nicht zu entlocken, vor allem wollte er nicht über mögliche Szenarien spekulieren, etwa darüber, wie viele Unterschriften vorliegen müssten, um die Regierung zu einem Umdenken zu bewegen. Ähnlich hatte am Vortag Innenminister Herbert Kickl getönt.
Beim gestrigen EU-Gipfel fiel der Startschuss fürs Feilschen über die künftige Finanzarchitektur der bald nur noch aus 27 Ländern bestehenden Union. Österreich bildet gemeinsam mit den Niederländern, den Schweden, Dänen, Finnen und Belgiern eine Front gegen eine Ausweitung des EU-Budgets. „Wir haben eine klare Position“, so Kurz.

„Wir wollen eine starke EU, etwa im Bereich der Sicherheitspolitik, aber auch, dass die EU sparsam mit dem Geld der Steuerzahler umgeht. Was wir nicht wollen, ist eine ständige stärkere Belastung der Nettozahler.“ In jedem Fall sollte die Union die Bereitschaft entwickeln, „alles, was in Europa im Laufe der Jahrzehnte gewachsen ist, zu überdenken.“ Gerade die bisherige Form der europäischen Budget- und Finanzpolitik sei nicht mehr zeitgemäß.


Für heftige Debatten sorgte die Forderung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, EU-Gelder künftig an die Flüchtlingsaufnahme zu knüpfen. Vor allem Polen, aber auch die anderen Osteuropäer, Slowaken, Ungarn oder Litauer meldeten Vorbehalte gegen den Vorschlag an. Auch Kurz hält wenig von einer Verknüpfung der EU-Mittel mit der Einhaltung von EU-Flüchtlingsquoten. „Ich halte relativ wenig von der Quotendebatte in der EU. Mit dieser Debatte werden wir die Migrationskrise in Europa nicht lösen.“


Unterdessen wollen die Staats- und Regierungschefs nicht die Forderung des EU-Parlaments erfüllen, dass der Spitzenkandidat der siegreichen Partei bei den nächsten Europawahlen im Mai 2019 automatisch Nachfolger von Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionschef wird. Es soll hier keinen Automatismus bei Spitzenkandidaten geben. Auf totale Ablehnung stößt die Idee von europaweiten Listen bzw. das Konzept einer Zusammenlegung von Kommissions- und Ratspräsident. Letzteres hatte Juncker mit dem Argument, Europa solle mit „einer Stimme“ sprechen bzw. benötige „einen Steuermann“, wieder einmal ins Spiel gebracht.


Nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU erhält Österreich einen zusätzlichen Sitz im EU-Parlament.