Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz verlangt für die Verantwortlichen des antisemitischen und rassistischen Liederbuchs der Burschenschaft des niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer die volle Härte des Gesetzes. Kurz: "Es ist gut, dass die Staatsanwaltschaft bereits aktiv geworden ist. Wer für so etwas verantwortlich ist, solche Lieder singt oder diese Inhalte verbreitet, der agiert nicht nur abscheulich antisemitisch und verhetzerisch, sondern macht sich in unserem Land auch strafbar."
International geht angesichts der österreichischen Nazi-Affäre ein Raunen durch den Blätterwald. Der österreichische Hollywood-Schauspieler und ehemalige Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, verurteilte via Twitter das widerliche und nicht akzeptable antisemitische Gedankengut im Liederbuch der Germania und lobte Bundeskanzler Kurz für seine klare Haltung in der Causa.
Mehrere Universitäts-Rektoren und -Professoren wenden sich in der Causa rund um das NS-verherrlichendes Liederbuch an Bundeskanzler (ÖVP). "Das ist ein Aufruf zum Massenmord, der als solcher behandelt werden muss", heißt es darin und weiter: "Beenden Sie die Zusammenarbeit mit allen, die Mitglieder rechtsextremer Burschenschaften in ihren Büros beschäftigen."
Unterzeichnet wurde der Brief unter anderem vom Präsidenten der Universitätenkonferenz (uniko), Oliver Vitouch, sowie etlichen namhaften Kolleginnen und Kollegen. Darin heißt es auch: "Die Normalisierung des Rechtsextremismus schreitet in Österreich voran." Ohne eine Beendigung der Zusammenarbeit mit allen, "die in rechtsextremen Medien publizieren oder bei rechtsextremen Veranstaltungen auftreten" wirkten jegliche Reaktionen wie "augenzwinkernde Distanzierungen".
SPÖ beruft Sicherheitsrat ein
Die SPÖ beruft in der Causa den nationalen Sicherheitsrat ein, der binnen zwei Wochen tagen muss. "Wir haben ganz stark den Eindruck, dass in dieser Bundesregierung aufgrund ihrer personellen Zusammensetzung diese Dinge nicht mit aller Härte verfolgt werden", sagte SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder und verweist auf die Mitgliedschaft führender FPÖ-Politiker in Burschenschaften. "Wir wollen sicherstellen, dass aufgrund der personellen Verstrickungen vieler Regierungsmitglieder in anderen Burschenschaften nichts unter den Teppich gekehrt wird."
Der Sicherheitsrat im Kanzleramt ist ein vertrauliches Beratungsgremium der Regierung in Angelegenheiten der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Vertreten sind neben den zuständigen Regierungsmitgliedern auch Vertreter aller im Hauptausschuss des Nationalrats vertretenen Parteien - also auch von SPÖ, NEOS und Liste Pilz.
Hausdurchsuchung bei der "Germania"
Die Polizei hat am Mittwochabend eine Hausdurchsuchung bei der Wiener Neustädter Burschenschaft Germania durchgeführt. Wie die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt der APA sagte, wurden dabei auch 19 "Liederbücher" und zwei Ordner mit Unterlagen sichergestellt. Eine erste Beschuldigteneinvernahme im Skandal um Nazi-verherrlichende Burschenschaftergesänge soll es am Freitag geben.
Die Liederbücher werden nach Angaben der Staatsanwaltschaft nun von Experten des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung geprüft. Der von der Burschenschaft als Hauptverantwortlicher für ihre Neuauflage im Jahr 1997 Identifizierte soll am Freitag befragt werden.
Zu prüfen wird in dem Verfahren allerdings auch sein, ob die Vorwürfe bereits verjährt sind. Denn nationalsozialistische Wiederbetätigung nach Paragraf 3g des NS-Verbotsgesetzes verjährt nach zehn Jahren, das Liederbuch wurde aber bereits 1997 veröffentlicht. Geklärt werden muss also, ob die fraglichen Lieder seither propagandistisch verwendet wurden.
Laut dem stellvertretenden Obmann der Burschenschaft, Philip Wenninger, hat das für die Neuauflage des Liederbuches 1997 verantwortliche Mitglied bereits am Mittwochabend eine Stellungnahme für die Behörden verfasst. Seinen Angaben zufolge soll bis Herbst eine Neuauflage des Buches in Angriff genommen werden, die dann auch offiziell bei der Nationalbibliothek hinterlegt werden soll. Die Neuauflage sei ohnehin schon seit Jahren geplant, so Wenninger gegenüber der APA: "Vielleicht schaffen wir eine größere Finanzierung durch die Medienberichterstattung."
"Vizeobmann muss es gewusst haben"
Bundespräsident Alexander Van der Bellen glaubt nicht, dass der niederösterreichische FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer nichts von den Nazi-verherrlichenden Liedern der Burschenschaft "Germania" gewusst habe. "Das müssen ja alle Mitglieder dieser Burschenschaft gewusst haben, was in diesem Liederbuch gestanden ist, auch der Vize-Obmann muss das gewusst haben", so Van der Bellen in Straßburg.
Für Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka muss jetzt auch "politisch gehandelt werden". Die Burschenschaft Germania suchte und fand indes einen Verantwortlichen - und suspendierte ihn. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hält Ermittlungen gegen den niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer angesichts der Vorwürfe gegen die Burschenschaft Germania für "ziemlich ausgeschlossen", relativierte allerdings später: "Die Aussagen bezogen sich darauf, dass nach meinem Wissensstand aktuell gegen unbekannte Täter ermittelt wird und nicht gegen Landbauer". Es sei ihm um die Schilderung der Faktenlage gegangen, er bedaure die "medial Missinterpretation" seiner Aussagen.
"Augen nicht getraut"
Er habe seinen "Augen nicht getraut", als er diese Texte gelesen habe und dass es möglich sei "auf diese Weise in einem Lied den Massenmord zu verhöhnen", sagte der Bundespräsident gegenüber dem ORF am Rande eines Besuchs im Europarat. Die Frage nach einem Rücktritt Landbauers bezeichnete er als "eine wichtige Frage", aber genauso wichtig seien die Fragen, "was ist das überhaupt für ein Verein, wie viel Wiederbetätigung liegt hier vor?". Er wolle sich nicht in den niederösterreichischen Landtagswahlkampf einmischen, so Van der Bellen. "Mir geht es um übergeordnete Fragen, wie ist es möglich, dass heute in einem regulären Verein ein solches Gedankengut offensichtlich vertreten wird."
Im Netz kursiert inzwischen ein Inserat, über das Landbauer 2010 in der rechtsextremen Zeitschrift "Aula" ein "Liederbüchlein für unterwegs" bewarb, das "traditionelle Lieder der Jugendbewegung, Soldaten- und Volkslieder" enthalte und ein "robuster Begleiter gerade für junge Menschen" sein soll.
Herausgegeben wurde dieses Büchlein von den "Jungen Patrioten", einem "Verein zur Erziehung zu politischer Verantwortung", der vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes als rechtsextrem klassifiziert und 2011 aufgelöst wurde. Das Liedgut soll zum Teil ident sein.
"Auch nicht im Umfeld dulden"
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka nahm in einem sehr beachtlichen Interview im ORF-Morgenjournal klar Stellung: Er wurde gefragt, ob er sich, wie Kanzler Sebastian Kurz, darauf zurückziehe, dass die Bestimmungen des Verbotsgesetzes einzuhalten seien. Sobotka: "Der Parlamentspräsident hat eine andere Funktion als der Kanzler. Er hat darauf zu sehen, dass die im Parlament vertretenen Parteien sich ganz klar in ihrer Haltung zum Verbotsgesetz bekennen und dass die Parteien auch in ihren Umfeldern nicht dulden, dass solche Themen gespielt werden, unter der Hand oder wo auch immer. Dass die Parteien selbst einen Beitrag zu leisten haben zur Aufarbeitung der Geschichte Österreichs aber auch ihrer eigenen Organisationen."
Heute tagt die Präsidiale, das Gremium der Klubobleute im Parlament. Auch dort werde er das zum Thema machen. Er gehe davon aus, dass sämtliche Klubobleute dazu eine klare Haltung haben.
Sobotka wurde auch gefragt, ob er, als studierter Historiker - die Meinung des niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer teile, wonach das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ein Teil jener "linken Meinungsdiktatur" sei, die man nicht ernst nehmen müsse. Sobotka: "Ich habe selbst einige Monate dort gearbeitet, die Quellen benutzt. Die Arbeit des Dokumentationsarchives ist ganz wichtig, um ein klares Bild zu bekommen von unserer Geschichte."
Verantwortlichen identifiziert und suspendiert
Die Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt hat inzwischen den für die Erstellung des Buches Verantwortlichen identifiziert und suspendiert. Der Mann werde sich den Behörden stellen, teilte die Burschenschaft der APA Donnerstagfrüh mit.
Der Verantwortliche wurde bei einer Versammlung Mittwochabend identifiziert. Die Burschenschaft betonte erneut, dass bei allen Liederbüchern, die sich im Besitz des Vereins befinden, die entsprechenden Liedtexte geschwärzt seien. "Dennoch bleibt weiterhin Gegenstand der Untersuchung, warum es offensichtlich dieses vorliegende Liederbuch gibt."
Die Burschenschaft bezeichnete die NS-Texte als "widerlich, abartig und jenseitig und lehnt jegliche Verherrlichung und Verharmlosung von Verbrechen der NS-Diktator ab. Die Verbindung unterstützt jede Maßnahme der Behörden, die zur Aufklärung beitragen", so der stellvertretende Obmann Philip Wenninger.
Kickl: Keine Ermittlungen gegen Landbauer persönlich
Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hält indes Ermittlungen gegen den niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer persönlich angesichts der Vorwürfe gegen die Burschenschaft Germania für "ziemlich ausgeschlossen".
"Er hat seine Position klargelegt. Er war zu diesem Zeitpunkt, als dieses Buch in Umlauf gebracht wurde, glaube ich, elf Jahre alt. Er ist viel später in diese Verbindung eingetreten und hat sich auch ab dem Moment, wo er von diesen Dingen Kenntnis erhalten hat, unmissverständlich und klar distanziert. Da hat er ja nichts an Klarheit vermissen lassen", sagte Kickl.
Der Innenminister betonte, es sei "festzuhalten, dass diese Texte selbstverständlich völlig inakzeptabel sind. Das hat auch die Freiheitliche Partei in der Vergangenheit immer gesagt". Es gebe "null Toleranz gegenüber Rechtsextremismus und Nationalsozialismus". Später ergänzte er, er bedaure die "mediale Missinterpretation seiner Aussagen". Er habe nur die aktuelle Faktenlage beschreiben wollen, wonach derzeit gegen unbekannte Täter ermittelt werde. Die Opposition, allen voran SPÖ-Geschäftsführer Max Lercher, hatte scharfe Kritik "am Versuch von FPÖ-Innenminister Kickl, sich in das Verfahren in SachenUudo Landbauer einzumischen" geübt.
Niemals verwerfliche Lieder gesungen
Landbauer bekräftigte indes seine Position, niemals in der Burschenschaft "Germania" NS-verherrlichende Lieder gesungen oder solche in seiner Anwesenheit gehört zu haben. Jegliche Rücktrittsforderung wies er zurück. Er sei nicht mehr Mitglied in der Burschenschaft, antwortete er auf die Frage von "ZiB2"-Moderator Armin Wolf. Ob ruhende Mitgliedschaft oder Austritt sei Wortklauberei.
Landbauer verlangt Aufklärung, Prüfung und gegebenenfalls Sanktionen. In seiner Zeit habe es nie rassistische Vorkommnisse gegeben, die nicht zu Konsequenzen geführt habe, sagt der FPÖ-Politiker. Landbauer moderierte den Stellenwert von Liedgut herunter. Es werde nicht bei jedem Treffen gesungen. Er selbst sei "nie ein guter Sänger gewesen" und habe sich deshalb nicht mit dem Buch befasst.
Am Donnerstagabend wurden Vorwürfe laut, wonach FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zu Gast bei der 100-Jahr-Feier der Germania gewesen sei und von dieser ein Ehrenband überreicht bekomme habe. Strache ließ allerdings dementieren - es habe sich um die Veranstaltung der Dachorganisation gehandelt. Strache selbst ist bekanntlich Mitglied der Mittelschulverbindung "Vandalia".