Sind Sie traurig, dass Sie nicht mehr der Regierung angehören?
WOLFGANG SOBOTKA: Wenn man so ein Amt bekleiden darf und darüber traurig ist, hat man was missverstanden. Es ist eine enorme Ehre für mich, Nationalratspräsident zu sein.
Sie sind eher ein Mann der Tat. Liegt Ihnen das Repräsentieren?
Wenn mir eine politische Funktion anvertraut wird, frage ich zunächst einmal: Kann ich sie ausfüllen? Wenn ich was zugesagt habe, bemühe ich mich, das zu hundert Prozent zu erfüllen.
Kommt das Gestalterische nicht zu kurz?
Es herrscht ein falsches Bild vor. Ich werde mich nicht im Tagesgeschehen zu Wort melden. Wichtig ist mir, dass die Öffnung des Parlaments fortgesetzt wird, etwa im Bereich der Kunst und Kultur. Künstler sind oft wesentlich sensibler und spüren Entwicklungen früher als andere.
Die Öffentlichkeit nimmt das Parlament als Abstimmungsmaschine oder als Ort untergriffiger Auseinandersetzungen wahr. Wie wollen Sie das ändern?
Uns muss bewusst sein, dass der Parlamentarismus die Basis dafür ist, dass wir in Freiheit und Wohlstand leben und sozialen Frieden haben. Den Leuten wird oft das Bild vermittelt, dass Abgeordnete am Handy oder in der Zeitung lesen.
Wollen Sie das verbieten?
Nein. Man muss aber kommunizieren, dass das Handy für den Abgeordneten ein zentrales Kommunikationsmittel ist, dass er einen Tweet absetzt, um etwas mitzuteilen, und Zeitung liest, um Standpunkte anderer in die Debatte einfließen zu lassen. Kein Abgeordneter greift zum Handy, um zu spielen. Ich will Twittern nicht verbieten.
Nochmals die Frage: Was wollen Sie konkret ändern?
Ich bin nur der Primus inter Pares, ich kann nur im Einvernehmen mit den Fraktionen etwas ändern. Alle Abgeordneten haben ein Ziel: dass der Beruf des Abgeordneten einen besseren Stellenwert bekommt. Man könnte etwa überlegen, wie viele Redner zu einem Tagesordnungspunkt reden und ob die Sitzungen effizienter gestaltet werden könnten. In dem Fall müssten auch mehr Abgeordnete anwesend sind.
Sie wären für eine Anwesenheitspflicht?
Wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir die Außendarstellung verbessern können. Ich kann mir auch vorstellen, dass das Parlament stärker rausgeht. Egal, ob Schule oder öffentliche Plattform. Man muss unsere Arbeit offensiver nach außen tragen. Das Parlament muss das Sprachrohr der Sprachlosen sein. Warum nicht einen Speakers' Corner im Volksgarten? Ich hielte das für eine interessante Überlegung.
Im EU-Parlament sind Ausschüsse öffentlich. Gute Idee?
Das klingt gut. Nur muss man sich überlegen, was das zur Folge hat. Laufen Sitzungen dann nicht ritualisierter ab? Ich habe persönlich nichts dagegen. Ich habe das in der Gemeinde auch so gemacht. Das Ergebnis war, dass nach dem dritten Ausschuss niemand mehr kam.
Sie sind ein Politprofi, das ÖVP-Team besteht aus Quereinsteigern. Ist das Segen oder Fluch?
Kanzler Kurz hat eine sehr ausgewogene Mannschaft mit erfahrenen Kräften und sehr guten Experten zusammengestellt. Es ist wichtig, dass es immer eine Erneuerung gibt.
Ein guter Experte ist noch lange kein guter Politiker.
Stimmt, nur ist auch ein langgedienter Parlamentarier nicht automatisch ein guter Politiker.
Kann man Politik lernen? Oder kann jeder Politik?
Politik ist ein Handwerk wie Journalismus. Jeder kann schreiben, nicht jeder kann Journalismus. Entscheidend ist aber das persönliche Engagement. Wenn ein Politiker die Leute nicht mag, ist er fehl am Platz.
War es klug, Köstinger für vier Wochen zur Präsidentin zu machen? Der Nationalrat geriet zum peinlichen Verschubbahnhof.
Am Anfang der Regierungsbildung wusste niemand, wie es ausgehen wird. Schauen Sie nach Berlin, wo zuerst von Jamaika die Rede war, dann von der Großen Koalition und jetzt von Jamaika ohne Merkel.
Sie bleiben Parlamentschef?
Ich peile keine andere Funktion an.
Ihr Mandat endet 2022. Dann kandidieren Sie für die Hofburg?
Wenn man ein politisches Amt übernimmt und mit einem Auge wo hinschielt, hat man schon verloren. Ich bin Nationalratspräsident, und das sehr gerne.