In den Leitartikeln am heutigen Sonntag, dem Tag nach der Bekanntgabe des Regierungsprogrammes wird das Kabinett Kurz I skeptisch bis vorsichtig optimistisch beurteilt. Die vom künftigen ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz angekündigten "Leuchttürme" fehlten noch. Die FPÖ mit Heinz-Christian Strache und seinem rechten Team will man genau beobachten.
So analysiert der Innenpolitik-Chef der Kleinen Zeitung, Michael Jungwirth, in einem Video-Kommentar Personen und Programm:
Und so beurteilten österreichische Journalisten in einer abendlichen Diskussionsrunde die neue Regierung:
Hier die Auszüge aus den Leitartikeln:
Die Presse: Viele umstrittene Themen werden elegant vertagt wie etwa die durchaus sinnvolle Stärkung der direkten Demokratie, die erst in den 20er Jahren gesetzlich beschlossen werden soll. Türkis-Blau formerly known as Schwarz-Blau wird mehr unter Beobachtung stehen als die fast schon vergessenen vielen Vorgängerkoalitionen aus SPÖ und ÖVP. Fest steht, dass Kurz und Strache mit ihrer Regierung weniger mit dem alten Wolfgang-Schüssel-Motto "Speed kills" in kurzer Zeit das Land völlig umkrempeln, sondern es in einem längeren Projekt über zwei Perioden schrittweise verändern wollen. Das ist anfangs bequemer, langfristig aber ambitionierter.
Der Kurier: Noch stehen im Programm überwiegend Ankündigungen, aber diese beruhen auf richtigen Analysen: Zu viel Bürokratie, zu viele Doppelförderungen, zu viel Regulierung. Auch der ORF muss reformiert werden, heißt es. Man kann dort Unfähigkeit in der Führung orten oder am Sinn eines öffentlich-rechtlichen Senders zweifeln. Aber wenn Strache "im Sinne der Objektivität Optimierungen" vornehmen will, kann man nur sagen: Hände weg. Das klingt nach Haider, der in den "Redaktionsstuben aufräumen wollte", also FPÖ-uralt.
Die Oberösterreichischen Nachrichten: Kurz hat die Wahl mit dem Anspruch gewonnen, Kanzler der „Veränderung" zu sein. Das ist eine Leerformel, die gefüllt werden muss. „Leuchtturmprojekte“ hat er versprochen, um „Österreich zurück an die Spitze zu führen, und zwar nicht für irgend ein Ranking, sondern für uns alle“ (Kurz-Rede am Bundesparteitag in Linz im Juli). Die am Samstagnachmittag vorgestellte Agenda von ÖVP und FPÖ enthält auf 180 Seiten Vernünftiges. Das „product placement“ funktioniert, die „Zieldefinitionen“ klingen alle gut: Wer wäre schon gegen eine Verwaltungsreform, wer ist nicht für den schlanken Staat, für die Entlastung kleiner Einkommen oder den schnelleren Breitband-Ausbau? Doch die entscheidende Frage ist: Wo sind die Leuchttürme? Oder gibt es nur Streichhölzer? Ein „Leuchtturm“ wäre eine Maßnahme, die das Land nachhaltig verändert. Ein "gemeinsamer Regierungssprecher“ tut das nicht, auch nicht eine „einheitliche corporate idendity“.
Von solchen „Leuchttürmen“ ist wenig zu sehen. Kurz und Strache haben solide Absichtserklärungen präsentiert. Imponierend kühne Vorhaben fehlen. Die FPÖ wird das nicht stören. Sie ist vorerst intern damit beschäftigt, von Protest auf Verantwortung umzuschalten. "Die Politik bedeutet ein langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“, meinte vor hundert Jahren der deutsche Nationalökonom Max Weber. Heute gilt für Sebastian Kurz: Das Schwierige nach dem Höhenflug ist die Landung.
Der Standard: Hätte der Bundespräsident nicht diese Ballung von bewaffneter Macht in Händen der FPÖ verhindern können? Anscheinend nicht. Er verhinderte, dass die FP Inneres und Justiz bekam. Auch wichtig. VdB redete Strache offenbar auch das "Heimatschutzministerium" aus, und er sorgte dafür, dass Kickl eine ehemalige Richterin und Mitarbeiterin von Justizminister Brandstetter als Staatssekretärin/Aufpasserin bekommt. Das ist nicht nichts, aber für liberale Demokraten bleibt ein extremes Unbehagen.
Die Salzburger Nachrichten: Es ist mehr als ein Makel dieser neuen Regierung, dass ihr ein Vizekanzler angehört, der in seiner Jugend aus politischen Gründen Theatervorstellungen störte, der an "Wehrsportübungen" mit Neonazis teilnahm und der in Deutschland mit Rechtsextremen aufmarschierte. Hat man hat die Chance auf eine solche Position nicht schon in dem Moment verspielt, indem man bei einer menschenfeindlichen Ideologie auch nur anstreift? Oder ist das alles völlig egal? Man stelle sich vor, Strache wäre in der Dschihadistenszene aktiv gewesen. Der Aufschrei wäre immens. Zu Recht. Wachsamkeit ist geboten, wenn eine Partei wie die FPÖ Schlüsselressorts wie das Innen- und Verteidigungsministerium besetzt. Und damit jene Staatsschützer kontrolliert, die ihrerseits die rechtsextreme Szene kontrollieren sollen.
So kommentierten internationale Medien die Regierungsbildung in Österreich: