"Ich fürchte mich vor Glatteis und dummen Menschen in hohen politischen Positionen." Knapp vor Weihnachten hat dieses Zitat von Karin Kneissl eine pikante Note, nicht nur weil Meteorologen einen Temperatursturz voraussagen. Doch kann die Ex-Diplomatin und Nahost-Expertin die neue schwarz-blaue Regierung nicht gemeint haben, dieser gehört sie ja auf einem FPÖ-Ticket als Außenministerin selbst an.
Von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wurde sie mit Vorschusslorbeeren überhäuft. Sie sei "eine großartige Persönlichkeit, ein weiblicher Kreisky vielleicht in Zukunft, wenn es um Vermittlung, Akzeptanz und auch Werbung für Österreich im Ausland geht", legte der neuer Vizekanzler die Latte für seine Außenministerin hoch. Sie werde nämlich "im In- und Ausland geschätzt" und könne Arabisch und Hebräisch.
Vater war Pilot von König Hussein in Jordanien
Die frühere Mitarbeiterin des honorigen und kürzlich verstorbenen ÖVP-Außenministers Alois Mock wurde am 18. Jänner 1965 in Wien geboren und verbrachte Teile ihrer Kindheit in Amman. Ihr Vater war dort als Pilot von König Hussein von Jordanien tätig und später laut Medienberichten auch am Aufbau der "Royal Jordanian-Air" beteiligt. Nach einem Jus- und Arabistikstudium an der Universität Wien recherchierte sie für ihre Dissertation in Völkerrecht über den Grenzbegriff der Konfliktparteien im Nahen Osten, unter anderem an der Hebräischen Universität von Jerusalem und an einer Hochschule in Amman.
1990 trat sie in das Außenministerium der Republik Österreich ein. Bis 1998 wirkte sie dort unter anderem im Kabinett des damaligen Außenministers und im Völkerrechtsbüro. Sie besetzte in Folge auch Auslandsposten in Paris und Madrid. Im Herbst 1998 schied sie aus eigenem Antrieb aus dem diplomatischen Dienst aus und arbeitete seither als freie Journalistin für deutsch- und englischsprachige Printmedien sowie als freiberufliche Expertin. Einer breiten Öffentlichkeit wurde sie so durch ihre politischen Analysen im ORF bekannt.
Unterrichtet an der Diplomatischen Akademie
Sie unterrichtet an der Diplomatischen Akademie Wien, der EBS (European Business School) im Rheingau sowie als Gastlektorin an der Landesverteidigungsakademie, der Militärakademie in Wiener Neustadt und an Universitäten im Libanon, etwa auf der frankophonen Universite Saint Joseph in Beirut. Zuvor wirkte sie auch zehn Jahre am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Sie schrieb bisher unter anderem für die Tageszeitungen "Die Presse" (als Slowenien-Korrespondentin) und die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ). Sie ist auch Autorin mehrerer Fachpublikationen und Sachbücher. Seit 1998 lebt Kneissl auf einem Bauernhof in Seibersdorf bei Wien, wo sie zwischen 2005 und 2010 auch als Gemeinderätin tätig war.
Die bald 53-Jährige ist parteilos und gilt an sich als pro-europäisch. Die Publizistin hat allerdings auch schon mit scharfer EU-Kritik, Sympathie für die Unabhängigkeit Kataloniens und kontroversen Aussagen zum Thema Migration aufhorchen lassen. Unmittelbar nach dem Brexit-Referendum schoss sich Kneissl in einem Beitrag für die Sonntagsausgabe der "Kronen Zeitung" auf EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein, den sie als "Zyniker der Macht", "rüpelhaft" und "arrogant" bezeichnete. "Er gebärdet sich als Brüsseler Cäsar, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Vereinbarungen zu brechen, wenn es ihm nützlich scheint", schrieb Kneissl im Juli 2016.
Buch "Mein Naher Osten" sorgt für Kontroversen
Die polyglotte Außenpolitik-Expertin ließ auch schon deutliche Sympathie für eine Unabhängigkeit Kataloniens erkennen, als dort noch auf mehr Autonomie innerhalb Spaniens gesetzt wurde. "Republik Katalonien? Nicht nur auf dem Balkan entstehen Staaten", übertitelte sie im Oktober 2012 einen Gastbeitrag für die "Presse". Meistens meldete sich Kneissl aber als Nahost-Fachfrau zu Wort. Für Aufsehen sorgte dabei auch ein Zitat aus ihrem Buch "Mein Naher Osten", in dem sie den vom österreichisch-ungarischen Publizisten Theodor Herzl begründeten Zionismus als eine an den deutschen Nationalismus angelehnte "Blut-und-Boden-Ideologie" geißelte.
Mit zunehmender Intensität widmete sie sich auch den Themen Flüchtlinge, Migration und Integration. Dabei wurde ihr auch vorgeworfen, Stereotypen zu bedienen. So strich sie am Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 hervor, dass es sich größtenteils um Wirtschaftsflüchtlinge handle und die Asylbewerber zu "80 Prozent" junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren seien. Im ORF-Fernsehen führte sie im September 2015 aus, einer der Gründe für die Revolten in der arabischen Welt seien "diese vielen jungen Männer" gewesen, "die heute nicht mehr zu einer Frau kommen", weil sie weder Arbeit noch eigene Wohnung hätten und somit keinen "Status als Mann in einer traditionellen Gesellschaft" erreichen könnten.
"Konservativer Freigeist" in Eigendefinition
Dass sie diese Männer dann auch noch als "testosterongesteuert" bezeichnete, brachte dem laut Eigendefinition "konservativen Freigeist" einerseits Kritik ein, andererseits weckten solche Aussagen auch die Sympathie der rechtspopulistischen FPÖ, die sie zunehmend zu Veranstaltungen einlud. Im Jahr 2016 überlegte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, Kneissl als Präsidentschaftskandidatin zu nominieren. Damals sagte Kneissl noch ab, nun ist sie nach eigenen Worten bereit zum "Dienst an der Republik".
Scharfe Kritik übte die Expertin an der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die mit ihren Flüchtlings-Selfies "grob fahrlässig" gehandelt habe. Der EU warf Kneissl wiederholt Versagen in der Flüchtlingsfrage vor und bezweifelte überhaupt deren Linie und die Sinnhaftigkeit einer gesamteuropäische Lösung. Das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei bezeichnete sie im Juni 2016 als "Unfug": "Damit erhält der Autokrat Erdogan freie Hand für seinen Verfolgungswahn, und Brüssel lebt in gefährlicher Liaison."
Kritik am Bundespräsidenten
Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen geriet heuer ins Visier der Publizistin. Im April tadelte sie anlässlich der Diskussion über den Kopftuch-Sager Van der Bellens die "Flapsigkeit" des Staatsoberhaupts und bezweifelte wenig verhüllt dessen Intelligenz, Charakter und Format. "Nicht nur Trump, auch andere provozieren", kritisierte sie Van der Bellen und Papst Franziskus, dem sie einen Vergleich von Flüchtlingslagern mit Konzentrationslagern vorhielt. Van der Bellens kolportierten Vorbehalten gegen gewisse Ministerwünsche der FPÖ hat sie es aber möglicherweise zu verdanken, dass sie nun nach fast zwanzig Jahren als Ressortchefin in das - freilich um die ins Bundeskanzleramt wandernden EU-Agenden reduzierte - Außenministerium zurückkehrt.