So schnell konnte in Jörg Haiders Kärntner Oligarchenzeit ein politischer Aufstieg vonstattengehen: 1992 war Karl-Heinz Grasser noch Student der Betriebswirtschaftslehre in Klagenfurt, 1993 Generalsekretär der FPÖ, 1994 wurde er als Vizelandeshauptmann angelobt. Da war Grasser 25 Jahre alt und damit knapp älter als Sebastian Kurz bei dessen Regierungseintritt 2011. Aber eine bestaunte Sensation war der Jungspund auf der Regierungsbank allemal.
Kommenden Dienstag beginnt das jüngste Kapitel dieser wechselvollen Karriere: Nach Regierungsbank und Investment-Bank ist es die Anklagebank, auf der Grasser unter Blitzlichtgewitter Platz nimmt. 15 Angeklagte müssen sich im Buwog-Korruptionsprozess verantworten, mit einem Jahr Hauptverhandlungsdauer und einer Million Euro Kosten rechnet die Justiz.
Schillernde Figur
Wer aber ist Grasser? Sicher die wohl schillerndste innenpolitische Figur der letzten Jahrzehnte, im Guten wie im Bösen. Zu Beginn war er ganz und gar Jörg Haiders Geschöpf. Der FPÖ-Chef bezog seine Dienstautos im Klagenfurter Autohaus Grasser, das die Eltern des späteren Finanzministers führten. Ein nationalkonservativ eingestelltes, gut situiertes Elternhaus. Der talentierte Sohn fiel auf und wurde vom Fleck weg als Sekretär in den FPÖ-Parlamentsklub verpflichtet. Dass der Uni-Absolvent mit dem athletischen Körper wegen einer „Magenerkrankung“ keinen Präsenz- oder Zivildienst leisten musste, war gewiss nur ein bedauerlicher Zufall.
Der Blitzaufstieg machte Grasser loyal, aber nicht unterwürfig. Er lernte schnell. Schon wenige Tage nach Amtsantritt fuhr er nach Graz, um beim steirischen FPÖ-Landesrat Michael Schmid politische Nachhilfe zu nehmen - wie man Sprechtage hält, ein politisches Büro führt, Regierungsakten erledigt.
Bald nahm Grasser sich das in FPÖ-Kreisen unerhörte Recht heraus, den Herrn und Meister öffentlich zu kritisieren - so beschied er Haider in einem Interview, dieser hätte zum damals von NS-Veteranen frequentierten Ulrichsbergtreffen „besser nicht hingehen sollen“. Grasser galt als vergleichsweise liberal, er wollte die FPÖ vom braunen Umfeld befreien.
Rivalität zu Haider
Als er die Mühsal dieses Unterfangens ermaß, zog er es erst einmal vor, der Politik den Rücken zu kehren. Die Rivalität zu Haider speiste sich auch aus Zielkonflikten. „Grasser bereitet sich auf das Amt des Landeshauptmanns vor“, ließ er schon 1996 von einem Vertrauensmann ausrichten. Doch bekanntlich wurde Haider selbst 1999 zum zweiten Mal Regierungschef in Kärnten.
1998 heuerte Grasser beim Autozulieferkonzern Magna an, der damals auf Altpolitiker-Verwertung spezialisiert war. Schon dieser Wechsel war vom Odium des Anrüchigen umweht: Zuvor hatte der Vizelandeshauptmann noch rasch einen Seegrund am Wörthersee umgewidmet, der ausgerechnet Magna-Eigentümer Frank Stronach gehörte.
An solchem Rumor stieß sich Haider freilich nicht. Er wusste um das Ausnahmetalent des Ziehsohns und umgarnte den Jüngeren mit Rückkehr-Angeboten. Vor der Nationalratswahl 1999 bot er ihm sogar die Spitzenkandidatur an, wie sich Eingeweihte heute erinnern.
"Schuld" war Thomas Klestil
Grasser lehnte ab, und letzten Endes war wohl Bundespräsident Thomas Klestil schuld an seinem politischen Comeback. Denn erst als Klestil den Industriellen Thomas Prinzhorn als Finanzminister ablehnte, schlug Grassers Stunde als smartester Finanzminister der Republik seit Hannes Androsch.
Und Grasser wusste diese Rolle medien- und marktgerecht zu füllen. Er heftete sich das „Nulldefizit“ auf die Fahnen (es wurde einmalig mit viel Schönrechnen und gewaltiger Steuerlast erreicht) und lobte sich mit markigen Sprüchen selbst. Berühmt wurde seine Budgetrede 2001 mit der Formel „Ein guter Tag beginnt mit einem sanierten Budget“.
Ministerkollegen von einst loben zwar die hemdsärmelig-unkomplizierten Budgetverhandlungen unter Grassers Ägide, doch der vorlaute Schöngeist ging ihnen auch gewaltig auf die Nerven. „Bei den Ministerratssitzungen war er unübersehbar und unüberhörbar. Stille Zurückhaltung war nicht seine Art“, erinnert sich ÖVP-Langzeit-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein.
"Bester Finanzminister aller Zeiten"
Kanzler Wolfgang Schüssel indes lobte Grasser öffentlich als den „besten Finanzminister aller Zeiten“ und hielt große Stücke auf ihn - so große, dass der FPÖ-Politiker nach der blauen Parteispaltung 2002 als „parteifreier“ Minister zu Schüssel überlief und maßgeblich den überwältigenden ÖVP-Wahlsieg 2002 mitverantwortete. Grasser war damals in breiten Bevölkerungskreisen äußerst beliebt. Er wurde von Boulevardmedien unterstützt und hatte 2005 in zweiter Ehe die Kristallerbin Fiona Swarovski geheiratet. Die beiden wurden als Glamour-Society-Paar herumgereicht, weshalb Ex-SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky von Grasser als „Badehosen-Finanzminister der Spaßgesellschaft“ sprach.
Der kritische Blick auf Grassers Amtsführung war jedenfalls gebrochen wie durch Swarovski-Kristall. Denn auch wenn der Kärntner bis heute nicht verurteilt wurde und vielmehr als personifizierte Unschuldsvermutung des Landes gilt, so fällt doch die große Zahl der aufklärungswürdigen Vorgänge unter seiner Gestion auf. Privatisierung der Buwog-Wohnungen, Finanz-Einmietung im Linzer Terminal Tower, Eurofighter-Ankauf, Homepage-Affäre, Post-Privatisierung, Glücksspielgesetz, Telekom-Privatisierung, Hypo-Pleite: Immer ging es um dubiose Zahlungen, hohe Provisionen, mögliche Geldwäsche und dunkle Machenschaften im Freundeskreis.
Der berüchtigte Brief
Als „österreichischen Silvio Berlusconi, der für gar nichts zur Verantwortung gezogen werden kann“ bezeichnete ihn die Süddeutsche Zeitung. Er selbst sieht sich zu Unrecht verfolgt und bastelt mit seinen Anwälten an der Gegenerzählung, wonach politische Gegner und Neider ihn ruinieren wollten. Auf legendäre Art sichtbar wurde diese Überzeugung, als Grasser im Fernsehen aus einem Brief vorlas: „Sie sind zu jung, zu schön, zu intelligent und zu erfolgreich“, benannte ein Bewunderer die vermeintlichen Motive der Kritiker.
Fast elf Jahre sind seit Grassers Polit-Abschied vergangen, er versuchte sich noch als Investmentbanker bei Meinl, als Vermögensverwalter und Immobilienmakler. Doch die Glückssträhne war gerissen, als 2009 durch die Grün-Mandatarin Gabriele Moser die ersten Buwog-Anzeigen eingingen. Ob die Vorwürfe Substanz haben, wird sich hoffentlich weisen.