Hätte es 2008 keine Finanzkrise gegeben, dann wäre der 12. Dezember wohl ein ganz normaler Dienstag gewesen. Denn dass mit der Causa Buwog einer der größten Kriminalfälle der Zweiten Republik ans Tageslicht kam, war purer Zufall. Neun Jahre, 700 Einvernahmen und 660 Hausdurchsuchungen, Sicherstellungen und Kontoöffnungen später müssen sich Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und 14 weitere Beschuldigte seit dem 12. Dezember vor dem Wiener Straflandesgericht verantworten. 825 Seiten ist die Anklageschrift dick, 166 Zeugen sind geladen. Am Tag davor gab der Oberste Gerichtshof quasi in letzter Minute grünes Licht für die zuständige Kärntner Richterin Marion Hohenecker und damit für den Prozess-Start.
Die Buwog-Causa hat ihren Ursprung im Jahr 2004. Grasser – damals Finanzminister und Verfechter eines konsequenten Privatisierungskurses – setzt den Verkauf von 60.000 Bundeswohnungen (Buwog) an. SPÖ und Grüne protestieren, Grasser lässt sich nicht beirren. Drei Bieter schaffen es in die Endrunde: ein Konsortium um die Immofinanz, die Gruppe Blackstone/conwert und die CA Immo. Letztere sieht sich als Sieger, als plötzlich eine Extra-Bieterrunde ausgerufen wird. Die CA-Immo bietet 960 Millionen Euro und traut ihren Augen nicht, als die Immofinanz den Zuschlag für ein 961,2 Millionen Euro-Gebot erhält.
Zufallsfund dank Finanzkrise
Es hätte bei der Erklärung bleiben können, dass sich wohl jemand aus der CA-Immo verplappert hat. Doch vier Jahre später und damit nach Grassers Zeit als Minister folgen die Finanzkrise und ein Zufallsfund, der den Grundstein für den heutigen Prozess legt. 2009 gehen Ermittler dem Fall der Constantia Privatbank nach – der österreichweit erste Krisen-Absturz. In den Unterlagen der Bank taucht eine Überweisung auf: 9,6 Millionen Euro – und damit genau ein Prozent der Buwog-Summe – auf ein Konto in Zypern. Die Befragung des damaligen Immofinanz-Vorstandes Christian Thornton bringt die Bestätigung: Es handelt sich um eine über Scheinrechnungen ausgestellte Provisionszahlung an den Lobbyisten Peter Hochegger, Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Contantia und der Immofinanz, Karl Petrikovics, habe die Überweisung beauftragt. Von dort fließt das Geld auf drei Konten in Lichtenstein, zwei davon können Werber Walter Meischberger (Konto „Natalie“, so heißt Meischbergers Lebensgefährtin) und Immobilienmakler Ernst Plech (Konto „Karin“, Plechs Ehefrau heißt Karina) zugerechnet werden. Zwei Männer, die mit Hochegger eines gemeinsam haben: Einen Freund namens Karl-Heinz Grasser, der den Verkauf der Wohnungen überhaupt erst in Auftrag gegeben hatte. Eine Indizienkette zeige laut Anklage, dass das dritte Konto namens „40.0815“ Grasser gehört.
Als die Sache hochkocht, gibt Hochegger zu, einen Tipp von Meischberger erhalten zu haben. Woher dieser ihn hat, verrät Grassers Trauzeuge auch im späteren U-Ausschuss nicht. Dass das Finanzamt aber an den nicht versteuerten 10 Millionen Euro Interesse zeigen wird, war klar. Wie die Polizei rekonstruierte, macht sich bei Hochegger, Meischberger, Grasser und Plech Panik breit. Laut einem Tagebucheintrag von Meischberger sei Grasser „supernervös“. Ein Experte muss her. Die Wahl fällt auf Uni-Professor Gerald Toifl, der als Geheimwaffe für Wirtschaftskriminelle gilt. Laut Staatsanwaltschaft versuchten die vier Hauptangeklagten zudem, die Spur des Provisionsgeldes zu verschleiern. Dafür sollen sogar Beweismittel gefälscht worden sein, was aus Telefon-Abhörprotokollen ersichtlich sein soll.
Ein gemeinsamer Tatplan
Als bekannt wird, dass das „Format“ eine Enthüllungsgeschichte plant, geht beim Finanzamt eine Selbstanzeige von Hochegger und Meischberger ein. Wenige Tage später trudelt eine zweite ein, diesmal geht es um die Übersiedelung der Oberösterreichischen Finanz in den Linzer Terminal Tower (mehr dazu auf der nächsten Seite). Angesichts der Format-Geschichte schickt Toifl eine Mail an seinen Kanzleikollegen, die zum Herzstück der Anklage wird: „Lies mal die Geschichte vom Sankholkar, sie stimmt, Betrug, Amtsmissbrauch, Untreue, eigene Straftatbestände im Vergabeverfahren?? Da rollt einiges auf uns zu.“
Toifl sollte recht behalten. 2009 wird Grasser vom ersten medialen Sturm erfasst. Für die Staatsanwaltschaft kristallisiert sich ein Tatplan heraus, den die Beteiligten geschmiedet haben sollen, um sich an den Privatisierungen zu bereichern. Und der sieht so aus: Meischberger, Hochegger und Plech sollen Kontakt zu zahlungswilligen Personen hergestellt und Provisionszahlungen koordiniert haben, Grasser soll sein Minister-Wissen beigesteuer haben. Der Staatsanwalt stützt sich hier auf Zeugen, alle Beteiligten bestreiten die Vorwürfe – es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Ermittlungen gestalten sich aufwendig, allein die Öffnung der Konten in Lichtenstein dauert Jahre. In mühsamer Kleinarbeit bringen die Ermittler Barbehebungen vom ominösen dritten Konto mit Einzahlungen auf private Grasser-Konten in Verbindung. Das Geld soll per Transportdienst nach Wien gebracht und in einem Hotel übergeben worden sein. Dazu befragt, widerspricht sich Grasser. Für die Staatsanwaltschaft ist klar, dass dem Ex-Minister das dritte Konto gehören muss.
Wie auch immer der Prozess ausgeht, der uns die kommenden Monate beschäftigen wird: Aus der Causa Buwog geht Österreich als größter Verlierer hervor. Laut Rechnungshof entgingen dem Staat durch den laut Grasser „supersauber“ abgelaufenen Buwog-Verkauf mindestens 200 Millionen Euro.