825 Seiten Anklageschrift, 617 Seiten Gegenschrift, ein runderneuerter Großer Schwurgerichtssaal und über ein Jahrzehnt Ermittlungen der Justiz - und alles (vorerst) umsonst? Am kommenden Montag entscheidet in Wien der Oberste Gerichtshof (OGH) darüber, ob am nächsten Tag einer der größten Korruptionsprozesse der 2. Republik startet - oder wieder in die Warteschleife geht.
Auf der Anklagebank sollen 14 Beschuldigte Platz nehmen, angeführt vom ehemaligen Finanzminister und Politstar Karl-Heinz Grasser und seinem Trauzeugen Walter Meischberger. Doch nicht vor den Kadi muss der Mitangeklagte ehemalige Raiffeisen Oberösterreich-Chef Ludwig Scharinger, der nach einem Sturz bei einem Urlaub in Russland laut einem gerichtlichen Gutachten nicht prozessfähig ist.
Ob der Prozess wie geplant am 12. Dezember beginnen kann, hängt von der Zuständigkeit von Richterin Marion Hohenecker ab. Gegen deren Zuständigkeit für das Strafverfahren im Wiener Straflandesgericht sind mehrere Angeklagte rechtlich vorgegangen. Nun ist am Montag der OGH am Zug ist um zu entscheiden, ob sie oder ein anderer Richter, eine andere Richterin den Schöffensenat anführt. Laut Verteidiger ist Hohenecker nämlich für die Causa gar nicht zuständig.
Angelpunkt ist die Zuständigkeit Hoheneckers für den mitangeklagten Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovics. Weil sie für ihn im Villa Esmra-Untreueverfahren zuständig ist, hat sie auch den Grasser-Prozess übertragen bekommen und bereitet sich seit Monaten darauf vor. Sollte sie die Zuständigkeit für Petrikovics aber durch einen OGH-Spruch verlieren, dann könnte auch ihre Zuständigkeit für den Grasser-Prozess wackeln. Daher wird die OGH-Entscheidung Montag nachmittag mit Spannung erwartet.
Worum geht es in dem Mammutverfahren? Laut Staatsanwaltschaft wurde unter der Amtszeit von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) von seinem Finanzminister Grasser gemeinsam mit anderen ein Tatplan erstellt, um an den Privatisierungen, die damals anstanden, "mitzuschneiden". Von einem "Mister ein Prozent" ist in diesem Zusammenhang von der Anklage über Grasser zu lesen. Der Ex-Minister bestreitet, wie alle anderen Angeklagten auch, jemals Ungesetzliches getan zu haben. "Supersauber" sei damals rechtlich alles über die Bühne gegangen, so Grasser.
Etwas unbeholfener hat sich da schon Meischberger, einst Teil der "Buberlpartie" des tödlich verunglückten Kärntner Landeshauptmannes Jörg Haider (FPÖ/BZÖ), ausgedrückt. "Wo woa mei Leistung", so seine legendäre Frage an den mitangeklagten Immobilienmakler Ernst Plech rund um einen, für ihn mehrere hunderttausend Euro Provision schweren, Deal bei einer Bundesimmobilie in Wien. Dieses Geschäft ist aber nicht Teil der Anklage.
Um Immobilien geht es auch in der "Strafsache gehen Mag. Karl-Heinz Grasser uA", wie die anstehende Causa justizintern genannt wird. Konkret um die Privatisierung der staatlichen Bundeswohnungen (Buwog und andere Gesellschaften), die Meischberger und dem mitangeklagten Lobbyisten Peter Hochegger 9,6 Millionen an Provision einbrachte - weil sie dem letztlich siegreichen Bieter Immofinanz (dessen damaliger Chef Karl Petrikovics ebenfalls auf der Anklagebank sitzt) den entscheidenden Tipp gegeben haben, wie viel er bieten muss, um den Zuschlag zu erhalten. Woher Meischberger diesen goldenen Tipp hatte, weiß er leider nicht mehr. Die Anklage vermutet, dass dieser von Grasser kam - und der damalige Finanzminister dafür rechtswidrig die Hand aufgehalten hat. Grasser und der Makler Ernst Plech sollen sich das Geld mit Hochegger und Meischberger geteilt haben.
In der zweiten Causa geht es um den Terminal Tower Linz, in dem sich die Finanz - nach anfänglichen Widerstand von Grasser - eingemietet hatte. Dabei soll, laut Anklage, Schmiergeld von Seiten des Baukonsortiums bestehend aus Raiffeisen Oberösterreich und Porr an mehrere Angeklagte, darunter Grasser, geflossen sein.
Geht es am Dienstag mit dem Grasser-Prozess wirklich los, dann ist dies der Auftakt für ein wohl ein Jahr dauerndes Verfahren, das schon im Vorfeld Millionen verschlungen hat. Wie viel Grasser selbst in der Causa für Anwalts- und Gutachterkosten ausgegeben hat, will dessen rechtlicher Schatten, Anwalt Manfred Ainedter, nicht verraten.
Sollte Grasser verurteilt werden, drohen ihm wegen des Deliktes der Untreue bis zu zehn Jahre Haft. Da der ehemalige Finanzminister bisher unbescholten ist, ist das Höchstmaß aber unwahrscheinlich. Des weiteren ist davon auszugehen, dass eine Verurteilung durch die Verteidigung beeinsprucht wird, wodurch die Causa in die nächste Instanz gehen würde.
Vorerst ist jedenfalls ein dichtes Programm anberaumt. Jeweils von 9.00 bis 16.30 Uhr, vom 12. bis zum 15. Dezember, und die Woche drauf (19. bis 21. Dezember), will Richterin Hohenecker verhandeln. Ihr gegenüber sitzt nicht nur eine Armada von Anwälten - Grasser nimmt neben Ainedter auch noch den Anwalt Norbert Wess mit - sondern (zumindest in den ersten Prozesstagen) auch eine Riesenschar an Journalisten. Um den Ansturm halbwegs zu steuern gibt es für diese eine "Poollösung", sprich die Videos (im Schwurgerichtssaal selbst darf während der Verhandlung nicht gedreht werden) werden über den ORF verteilt, für die Bildberichterstattung ist die Austria Presse Agentur - APA zuständig. Dazu werden noch dutzende schreibende Journalisten erwartet. Am Montag soll für die Anwälte ein Probesitzen stattfinden, hieß es.