Die Würfel sind gefallen: Noch-Wirtschaftsminister Harald Mahrer wird Christoph Leitl als Präsident des ÖVP-Wirtschaftsbundes beerben. Heute vormittags fiel die Entscheidung im mehr als 30-köpfigen Präsidium des Wirtschaftsbundes - einstimmig. Um 11.30 Uhr sind beide vor die Öffentlichkeit getreten.
In einer ersten Reaktion begrüßte Leitl den Wechsel: "Mahrer ist die erste Wahl. Er geht offen und kreativ an die Sachen heran." Den Zeitpunkt der Übergabe begründete Leitl mit dem Regierungswechel. "Die Zeit des Stillstands ist vorbei, nun kommt Bewegung in die Politik." Mahrer äußerste sich durchaus bewegt in seiner Stellungnahme, seit 1945 ist Mahrer der fünfte Bündechefs nach Julius Raab, Rudolf Sallinger, Leopold Maderthaner und Leitl. "Ich bin glücklich, in fünfter Generation den Familienbetrieb Wirtschaftsbund übernehmen zu dürfen."
Mahrer hält an Pflichtmitgliedschaft fest
Mahrer brach in seinem Statement eine Lanze für die Sozialpartnerschaft, allerdings sieht er Reformbedarf. "Ich bekenne mich zur Sozialpartnerschaft, wenn sie im Interesse des Gesamtstaates ist. Die Sozialpartnerschaft muss angesichts der Globalisierung und Digitalisierung in eine Standort- und Zukunftspartnerschaft weiterentwickelt werden. Das habe ich in den letzten Jahren vermisst, beide Seiten sind gefordert."
Nachfolge im Wirtschaftsbund: Minister Mahrer folgt Präsident Leitl
An der Pflichtmitgliedschaft will der designierte Leitl-Nachfolger festhalten - mit dem Argument, es handle sich um ein liberales Prinzip der Selbstverwaltung, diese sei ein Kind der bürgerlichen Revolution des Jahres 1848: "Hier geht es um die Freiheit vom staatlichen Zwang." Er könne sich aber durchaus Abstimmungen unter den Mitgliedern vorstellen. Bekanntlich ist die Frage der Pflicht- bzw. Zwangsmitgliedschaft einer der Knackpunkte der türkis-blauen Regierungsverhandlungen.
Nach Informationen der Kleinen Zeitung fiel die Entscheidung gestern zu Allerheiligen. Am 1. November versammelten sich die neun Länderchefs geheim in Wien, dabei gab es, wie Leitl enthüllte, eine Dreiviertel-Mehrheit für den Wirtschaftsminister. Dem Vernehmen nach gab es bis zuletzt Widerstände gegen Mahrer, der Widerstand wurde vom Wiener Chef des Wiener Wirtschaftsbundes Walter Ruck, der selbst Leitl-Nachfolger werden wollte, angeführt - unterstützt von einigen wenigen Landesverbänden, die wegen Leitls radikaler Kammerrefom noch eine Rechnung offen hatten, und von einzelnen Sparten (Gewerbe, Tourismus, Hoteliers), die für einen sanften Wechsel plädierten. Mahrer gehört ein völlig anderen Generation an, ist digital- und Start-up-affin.
Formalisiert wird der Wechsel in der Generalversammlung, die bereits im Dezember über die Bühne gehen soll. Wann Mahrer Leitl als Präsident der Wirtschaftskammer beerbt, ist noch offen. Womöglich findet der Wechsel Mitte kommenden Jahres statt.
Dass der Wechsel bereits jetzt über die Bühne ging, hängt offenkundig mit dem Regierungswechsel zusammen. Mahrer ist ein langjähriger Vertrauter von ÖVP-Chef Sebastian Kurz, Mahrer hatte gemeinsam mit Kurz und Wiens ÖVP-Chef Gernot Blümel im Rahmen der Politischen Akademie die Reform der Volkspartei (Evolutionsprozeß) angestoßen, damals noch unter ÖVP-Chef Michael Spindelegger. In Kammerkreisen war in den letzten Tagen das Murren über die halbherzige Einbindung des Wirtschaftsbundes in die Koalitionsverhandlungen unüberhörbar. Generalsekretär des Bundes soll auch weiterhin Peter Haubner bleiben.
Generationenwechsel in ÖVP-Bünden
Auch an der Spitze des Bauernbundes fand bereits eine Wachablöse statt (Georg Strasser statt Jakob Auer), auch im ÖAAB hat mit August Wöginger die Generation 40plus das Zepter übernommen. Wöginger ist als ÖVP-Klubobmann im Gespräch und gehört dem engeren Verhandlungsteam von Kurz an.
Der Zeitpunkt der Ablöse kommt insofern überraschend, weil der leidenschaftliche Europäer Leitl die Stafette erst Anfang 2019 - nach Abschluss der österreichischen EU-Präsidentschaft - übergeben wollte. In gewisser Weise kam dem Zeitplan ÖVP-Chef Kurz durch die vorgezogenen Neuwahlen zuvor. Leitl ist allerdings vor zehn Tagen an die Spitze des Dachverbands der Europäischen Wirtschaftskammer (Eurochambre) gewählt worden
Offiziell im Rennen waren zuletzt Mahrer, der steirische WK-Präsident Josef Herk sowie sein Wiener Pendant Walter Ruck. Im Vorfeld eines informellen Treffens, das bereits gestern über die Bühne ging, wurde Mahrer die Favoritenrolle „zugeschanzt“, wenngleich sich dem Vernehmen nach nicht alle Wirtschaftsbündler in den Ländern mit dem progressiven Stil des Ministers anfreunden können. Die ebenfalls immer wieder ins Spiel gebrachte WKO-Vizepräsidentin Martha Schulz hat für den Job indes bereits wiederholt abgewunken.