Das Resümee, das der Autor Hans-Henning Scharsach in seinem vor wenigen Monaten veröffentlichten Buch „Stille Machtergreifung“ zieht, ist ein geharnischtes. „Deutschnationale Burschenschafter haben die FPÖ in Besitz genommen.“ Was „früher der rechte Rand“ war, bestimme heute den Kurs der Partei. Und dieser sei bisweilen „rechtsextrem und verfassungswidrig“. Das Mauthausen-Komitee warnte im Wahlkampf vor einer „ausgeprägten Nähe zur NS-Ideologie“ und listete gleich rund 70 „rechtsextreme Aktivitäten der FPÖ“ auf.

Die Parteigranden der Freiheitlichen tangieren solche Vorwürfe kaum mehr. Vizechef Norbert Hofer will das Scharsach-Buch „nicht einmal lesen“, Generalsekretär Herbert Kickl tat die Warnungen des Mauthausen-Komitees als „Dirty Campaigning“ ab. Und Parteichef Heinz-Christian Strache betont immer wieder, dass man sich konsequent vom rechten Rand abgrenze. So durfte der Nationalratsabgeordnete Johannes Hübnernicht mehr antreten, nachdem im Sommer ein Video mit antisemitischen Codes und Anspielungen von ihm bei einem rechtsextremen Treffen in Deutschland publik wurde.

Überhaupt sind Strache und Hofer seit Längerem bemüht, ein „neues freiheitliches Gesicht“ zu zeigen, geben sich staatstragend, besonnen und mit deutlich weniger radikaler Rhetorik. Belohnt werden sie wohl bald mit hohen Regierungsämtern, sollten die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP erfolgreich verlaufen. Dabei verweisen die Freiheitlichen gern darauf, besser auf eine mögliche Regierungsbeteiligung vorbereitet zu sein als noch im Jahr 2000.

Liberaler Aderlass

Wie unterscheidet sich die heutige FPÖ von jener der Jahrtausendwende? Und welchen Einfluss haben die Burschenschaften wirklich? „Ideologie war damals, unter Jörg Haider als Parteichef, weit weniger wichtig als heute“, sagt der Politikwissenschaftler und Populismusexperte Reinhard Heinisch. Oder wie es Stefan Petzner, langjähriger Haider-Sprecher, formuliert: „Haider hat die Partei geöffnet und hat Leute von außen, Experten, Quereinsteiger geholt.“ Der Einfluss des nationalen Flügels wurde damit zurückgedrängt. So manche Personalentscheidung erwies sich freilich als suboptimal. „Da gab es Opportunisten, die primär an Macht und ihrer eigenen Karriere interessiert waren“, konstatiert Heinisch. „Und beim damaligen Regierungseintritt war auch eine große Portion Naivität dabei“, ergänzt der Politologe Peter Filzmaier.

Die Selbstdemontage in der Regierung ging mit einem internen Richtungsstreit einher. Es drohte ein Schicksal wie 1986, als Haider mithilfe des nationalen Flügels den eher liberalen Norbert Steger (damals Vizekanzler einer rot-blauen Regierung) als Parteichef abmontierte und zum starken Mann in der FPÖ avancierte. „2005 zog Haider selbst die Reißleine und gründete mit den liberalen Kräften das BZÖ. Sonst hätte sich die Geschichte wohl wiederholt“, sagt Petzner. Der harte „nationale“ Kern blieb zurück. Dazwischen lag noch die Gründung des Liberalen Forums (1993). Mehrfach in ihrer Geschichte musste die FPÖ einen Aderlass beim liberalen Flügel hinnehmen, mittlerweile ist ein solcher in der Partei quasi inexistent. „Der wurde kaputt gemacht, die Breite in der Partei fehlt“, kritisiert Petzner.

Stärker durch Spaltungen

Dass die Partei zu alter Stärke zurückgefunden hat, kommt für Heinisch nicht überraschend: „Wir behaupten in der Forschung, dass Rechtspopulisten durch Spaltungen eher stärker werden, weil sie kohärenter werden.“ Umgelegt auf die FPÖ heißt das: Die Partei ist heute wesentlich homogener aufgestellt als früher. „Sie kann sich dadurch auch mehr in der Mitte positionieren. Das Profil ist klar, weiter rechts steht keine der großen Parteien“, sagt Heinisch.

Auch intern ist mit wenig Widerstand zu rechnen. „Strache und Kickl haben sich über Jahre darum gekümmert, die Landesparteien mit Strache-loyalen Leuten zu besetzen“, sagt Petzner. „Eine Ausnahme ist die stärkste Landesgruppe Oberösterreich, wo man an Manfred Haimbuchner aufgrund seiner gefestigten Position nicht vorbeikommt.“ Auch an Konzepten für eine Regierungsbeteiligung wird seit Jahren gearbeitet. Laut Heinisch werde man dann auch „gewisse Verluste bei Landtagswahlen eingepreist haben“, solange sich diese in Grenzen halten. Inhaltlich verfolgte die Partei in den letzten Jahren in manchen Fragen keine stringente Linie. „Es gibt da Unlogiken. Wie zum Beispiel eine starke EU-Armee fordern und trotzdem für die Neutralität sein“, sagt Filzmaier. Die EU als Außenfeind blieb erhalten, von einem Austritt ist aber längst keine Rede mehr.

Zwischen bizarr und rechtsextrem

Rund 20 der nun 51 Nationalratsabgeordneten der FPÖ sind Mitglieder in „völkischen“ Verbindungen – so viele waren es noch nie. „Die FPÖ hat keine Alternative zur Herrschaft der Burschenschafter, weil das ihre akademische Basis ist. Juristen, Wirtschaftswissenschaftler etc.“, erläutert Filzmaier. Daraus rekrutieren sich auch Mandatare, Klubmitarbeiter, mögliche Minister. Die Personaldecke der Partei ist nach wie vor recht dünn. Vor allem die Wiener Landespartei war immer stark akademisch geprägt und in der Hand der Burschenschaften – bizarre Rituale und reaktionäre Einstellungen inklusive. Einige dieser Burschenschaften werden vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) als „rechtsextrem“ eingestuft.

Filzmaier rät in diesem Kontext zu differenzierter Kritik statt Pauschalurteilen. „Man kann Bräuche lächerlich oder fragwürdig finden. Wichtig ist, dass man hinschaut, wenn es demokratiepolitisch zu einem Problem wird“, betont der Politologe. Auch die FPÖ selbst müsse ein Interesse daran haben, hier pro-aktiv zu handeln, um nicht „die Partei der gehäuften Einzelfälle“ zu bleiben. Bis dato verwies man lieber auf die „Ausgrenzung“ durch andere. „Bei einigen dieser Burschenschaften sehe ich schon problematisches Gedankengut“, sagt Parteikenner Petzner. „Die Mandatare, die im Parlament sitzen, würde ich aber nicht bedenklich finden.“

Heinisch sieht abseits des zunehmenden Einflusses der Burschenschaften eine deutlich größere Gefahr. „Ich denke, man missversteht die Partei, wenn man sie nur in diesem Licht sieht.“ Die Rufe nach mehr direkter Demokratie könnten zu einem „Kippen des Systems“ führen. „Populisten sind perfekte Mobilisatoren, 100.000 Unterschriften sind bald beisammen. Und da wird man gewisse Dinge bewusst hochschaukeln“, so Heinisch.