Kurz vor 12.30 Uhr trafen die Verhandlungsteams von türkis und blau im Palais Niederösterreich in der Wiener Herrengasse ein. Man kam zu Fuß und stand kurz für einen Kameraschwenk und kurze Statements zur Verfügung, bevor man ins Innere des Palais verschwand. Danach traten ÖVP-Parteiobmann Sebastian Kurz (ÖVP) und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vor die Presse, um eine erste Zwischenbilanz am Beginn eines noch Wochen dauernden Verhandlungsmarathons zu legen.

Beide schienen nach der ersten Runde richtiggehend begeistert voneinander und von der guten Atmosphäre in den Gesprächen. Am Anfang steht ein Kassasturz: Schon am kommenden Montag tagt die Steuerungsgruppe ein weiteres Mal. Mit am Tisch: Experten aus dem Finanzministerium, um diese Bestandsaufnahme mit validen Zahlen zu unterfüttern.

Die weiteren Themen sollen dann in fünf Clustergruppen abgehandelt werden:

  • Soziales, Fairness und neue Gerechtigkeit
  • Standort
  • Zukunft
  • Sicherheit, Ordnung und Heimatschutz
  • Staat und Gesellschaft

Den Clustern wiederum sind 25 Fachrguppen untergeordnet, die von A wie Arbeit bis W wie Wissenschaft & Forschung Inhalte und Strukturen aller bestehenden Ministerien abdecken sollen.

Kurz betonte, es gehe darum Reibungsverluste im System ausfindig zu machen, Effizienzsteigerungspotenziale auszumachen und mit dem Kassasturz ein gutes Fundament für die darauffolgenden Verhandlungen zu legen.

Strache würdigte die partnerschaftliche Atmosphäre, man sei "auf Augenhöhe und mit Respekt" aufeinander zugegangen. Jetzt gehe es um Bestandsaufnahme und inhaltliche Tiefe, erst ganz zum Schluss um die Ressorts. Inhaltlich werde man sich zunächst an den bestehenden Ministerien bei der Abarbeitung der Themen orientieren. Das sensible Thema Europa wird übrigens in den Bereich "Staat und Gesellschaft" hineingepackt.

Qualität vor Tempo

Beide Parteien wollen Qualität vor Tempo stellen, hieß es schon vor dem Termin gegenüber Journalisten. Es werde keine Parallelverhandlungen geben. Kurz nannte Weihnachten als zeitliche Ziel, aber, so Strache, man werde sich "nicht nach Feiertagen richten", wenn mehr Zeit erforderlich sei. Der Tag der Einigung solle dann für die Österreicher "zu einem Feiertag werden". Man wolle ehrlich miteinander umgehen, die Öffentlichkeit regelmäßig informieren, aber nicht einander Dinge über die Öffentlichkeit ausrichten.


Die finanzielle Ausgangslage für die schwarz-blauen Koalitionsverhandlungen ist vergleichsweise günstig: Wurden die Regierungsverhandlungen 2013 noch von einer Debatte über ein milliardenschweres "Budgetloch" überschattet, hinterlässt die scheidende Regierung nun ein sinkendes Defizit. Dank des starken Wirtschaftswachstums wäre ein Nulldefizit 2019 auch ohne weitere Sparmaßnahmen möglich.

Ein Stimmungsbild zu den Erwartungen in türkis-blau aus Wien:

Rückgang des Defizits

Die aktuelle Einschätzung der Budgetlage hat Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) am Tag nach der Wahl nach Brüssel gemeldet. Demnach sorgt das starke Wirtschaftswachstum für einen Rückgang des Defizits: Das Maastricht-Defizit von Bund, Ländern und Gemeinden soll heuer bei 0,9 (statt ursprünglich budgetiert 1,2) Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt/BIP) liegen. Das um Konjunkturschwankungen und Einmaleffekte bereinigte "strukturelle Defizit" bei 0,7 (statt 0,9) Prozent.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) geht in seiner jüngsten Mittelfristprognose von einem weiteren Rückgang des Defizits aus. Sollte die "hohe Ausgabendisziplin" beibehalten werden, würde 2019 ein "Nulldefizit" erreicht, ab 2020 ein Budgetüberschuss. Der Schuldenstand sinkt damit auf 63,9 Prozent. Die auf EU-Ebene vorgegebene Grenze von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung wäre somit in Reichweite.

Kassasturz

Damit unterscheidet sich die Ausgangslage für die schwarz-blauen Koalitionsverhandlungen massiv von jener des Jahres 2013: Damals hatte die Regierung den Finanzrahmen weitgehend unverändert verlängert. Weder die zwischenzeitlich eingetrübte Wirtschaftsprognose für das laufende Jahr noch das aktuelle Gutachten der Pensionskommission wurden berücksichtigt, auch Bankenhilfen waren nicht eingeplant und die Verpflichtung zum "strukturellen Nulldefizit" wurde ignoriert. Ergebnis war ein "Kassasturz" nach der Wahl und eine heftige "Budgetloch-Debatte" bei den Koalitionsverhandlungen.

Zwar hat auch die aktuelle Regierung im Wahlkampf keinen neuen Finanzrahmen mehr vorgelegt. Im Unterschied zu 2013 zeigt das Wirtschaftswachstum diesmal aber nach oben. Auch die Pensionskosten entwickeln sich seit mehreren Jahren günstiger als erwartet. Dennoch forderte FP-Chef Heinz Christian Strache einen Kassasturz zu Beginn der Regierungsverhandlungen. Ob und in welcher Form das erfolgen wird, war vorerst unklar.