Noch ist die neue schwarz-türkis/blaue Regierung noch nicht unter Dach und Fach, doch die SPÖ ist bereits auf Opposition eingestellt. Kampfthema sind die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern, das Kollektivvertragswesen in Österreich und die Rolle der Sozialpartner als Sparring-Partner der Politik.
Was macht die Diskussion so aktuell?
Die FPÖ nimmt den möglichen Koalitionspartner ÖVP von zwei Seiten her in die Zange: Zum einen fordert FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache eine niedrigere Hürde für Volksbefragungen und die Abhaltung von mindestens vier Volksbefragungen pro Jahr, unter dem Stichwort "mehr direkte Demokratie". Zum anderen hat die FPÖ die Frage der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern seit Jahren auf ihre Fahnen geschrieben. Nicht zuletzt mit dem Ziel, jene Institutionen zu schwächen, in denen sie bis heute - im Gegensatz zu ihrer Stärke als Drittelpartei bei Wahlen - nicht kraftvoll Fuß fassen konnte. Die Pflichtmitgliedschaft könnte Thema für eine solche Volksbefragung sein, womit an internem Widerstand aus den Reihen der ÖVP vorbei operiert werden könnte.
Steht die Pflichtmitgliedschaft erstmals zur Debatte?
Nein. Als Folge der Rechberger-Affäre in den 80er Jahren und der darauffolgenden politischen Debatte über Misstände wie hohe Gagen wurden in den Kammern Urabstimmungen unter den Mitgliedern durchgeführt - mit einem überwältigenden Bekenntnis zur Pflichtmitgliedschaft als Resultat. Zuvor waren Reformen eingeleitet worden.
Wie hoch sind die Mitgliedsbeiträge?
Die Arbeiterkammer zum Beispiel zählt rund 3,6 Millionen Arbeiter und Angestellte als Mitglieder. Sie zahlen 0,5 Prozent ihres Bruttoeinkommens als Kammerumlage, netto sind das bei einem Einkommen von 1.300 Euro brutto zum Beispiel 6,91 Euro pro Monat, rechneten die Kollegen im ORF-Morgenjournal gestern vor. Gesamt verbucht die AK aus den Mitgliedsbeiträgen Einnahmen von 430 Millionen pro Jahr. Finanziert werden daraus Rechtsschutz, Konsumentenberatung, Steuerrechtsberatung, der Bildungsgutschein und das Personal, das - wie alle Sozialpartner - auch zu allen Gesetzesentwürfen Stellungnahmen abgibt.
Die Wirtschaftskammer hat rund 500.000 Mitglieder und verbucht Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen in Höhe von rund 900 Millionen Euro pro Jahr. Im Einzelfall, bei größeren Betrieben, kann der Mitgliedsbeitrag schon Millionenhöhe erreichen. Diese Betriebe wären vermutlich dann auch unter den ersten, die sich von der Mitgliedschaft verabschieden würden. Finanziert werden aus den Beiträgen unter anderem Institutionen der Außenwirtschaft, das Gründerservice und andere Beratungsleistungen sowie politisches Lobbying und das institutionelle Personal.
Gibt es ohne Pflichtmitgliedschaft keine Kollektivverträge?
Nicht zwangsläufig. Aber: "Es würde die Kollektivverträge aushebeln", sagt Bundesarbeitskammerchef Rudolf Kaske. Das Ende der Pflichtmitgliedschaft bedeutet zum einen eine Schwächung der Interessensvertretungen und zum anderen eine Öffnung in jeder Hinsicht.
Derzeit verhandelt für die Arbeitnehmer immer die Gewerkschaft, und zwar im Auftrag der Arbeiterkammer. 98 Prozent aller Arbeitnehmer arbeiten in Branchen, wo die Mindestlöhne und -gehälter durch Kollektivverträge geregelt sind. In Deutschland gilt nur noch für die Hälfte aller Beschäftigten ein Kollektivvertrag.
Wenn die Gewerkschaft in Österreich diesen Alleinvertretungsanspruch verliert, könnten sich neue Interessensvertretungen gründen, die dann aber immer nur ihre jeweiligen Mitglieder vertreten. Am Beispiel Deutschland hat das zuletzt in Sachen Bahn für Aufregung gesorgt: Die Verhandlungen mit mehreren Gewerkschaften gleichzeitig legten die Bahn nahezu lahm, gleichzeitig wurden die Gewerkschaften gegeneinander ausgespielt.
Für die Arbeitgeber verhandelt in Österreich zumeist die Wirtschaftskammer, oder aber einzelne kollektivvertragsfähige Arbeitgeberverbände. Allerdings: In diesem Fall gilt der Kollektivvertrag nur für die Mitglieder. Beispiel aus der Medienbranche: Die Tageszeitung "Österreich" gehört nicht dem für diese Branche maßgeblichen Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) an und ist daher nicht an den Kollektivvertrag gebunden.
Wozu braucht es überhaupt Kollektivverträge?
Ohne Kollektivvertrag gibt es keine Mindestgehälter, kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld (außer der Arbeitgeber zahlt freiwillig) und keine jährlichen Lohnerhöhungen. Das aktuelle Beispiel, auf das auch die Gewerkschaft in diesen Tagen immer wieder verweist: Der grafische Kollektivvertrag wurde vor kurzem vom Verband Druck und Medientechnik aufgekündigt - ein privatrechtlicher Verein, an den das Mandat zuvor übertragen war. In der Folge wurden insbesondere von einem Arbeitgeber bereits Kürzungen bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld vorgenommen. Jetzt übernimmt die Wirtschaftskammer das Verhandlungsmandat.
Die Gewerkschaft und mit ihr wohl auch die auf Opposition getrimmte SPÖ würden das österreichische Kollektivvertragswesen mit Zähnen undKlauen - und auch dem Kampf auf der Straße - verteidigen, sollte es grundsätzlich in Frage gestellt werden, wie SPÖ-Bundesparteiobmann Michael Schickhoferim Gespräch mit der Kleinen Zeitung deponierte.
Tun es nicht Betriebsvereinbarungen auch?
Von der FPÖ wird darauf verweisen, dass Rahmenbedingungen wie Löhne und Gehälter auch auf betrieblicher Ebene verhandelt werden könnten - flexibler als es Kollektivvverträge erlauben. NAbg. Axel Kassegger führt im Gespräch mit der Kleinen Zeitung ins Treffen, dass es allein in der Baubranche 41 verschiedene Zuschlagsarten in den Kollektivverträgen geregelt seien, unterschiedlich behandelt von der Sozialversicherung, etc. Hier brauche es eine Veränderung und Vereinfachung.
ÖVP-Politiker wie der steirische Arbeitnehmerbund-Chef Christopher Drexler sagen: "Keiner will das Recht des Stärkeren. Veränderung heißt nicht automatisch Verschlechterung." Grundsätzlich stehe er aber zum österreichischen System.
Faktum ist: Betriebsvereinbarungen sind nur in Betrieben möglich, in denen es einen Betriebsrat gibt. Und: Arbeitnehmer auf Betriebsebene sind abhängig vom Chef und damit schwächer als eine überbetriebliche Interessensvertretung. Die Verhandlungen über die Rahmenbedingungen auf Branchenebene stellen sicher, dass die Beschäftigten von einer guten wirtschaftlichen Situation in dieser Branche profitieren - oder sich mit geringeren Lohnerhöhungen zufrieden geben.
Gewerkschafter Roman Hebenstreit weist immer wieder darauf hin, dass innerhalb der Kollektivverträge maximale Flexibilität auch bei Arbeitszeiten, etc. gelebt werden kann, wie es insbesondere die Metaller vorleben.
Wie greifen die Ebenen ineinander?
- Die Minimalstandards zum Beispiel für die Arbeitszeitregelungen gibt das Gesetz vor.
- Die Kollektivverträge regeln branchenweise zusätzliche Rahmenbedingungen, die für die Arbeitnehmer immer nur besser sein können als die Vorgaben im Gesetz oder aber zusätzhliche Bereiche regeln. Derzeit gibt es in Österreich 859 Kollektivverträge. Das Gesetz regelt zum Beispiel nicht, wie Schichtarbeit, Feiertagsarbeit, Überstunden oder Mehrarbeit zu entlohnen sind.
- Betriebsvereinbarungen können nur bestimmte Bereiche noch detailreicher regeln. Sie können nur in in Betrieben mit Betriebsrat vereinbart werden, und sie können für die Arbeitnehmer nur besser sein als Gesetz und Kollektivvertrag.
- In den Einzelverträgen schließlich können Bedingungen vereinbart werden, die für die Beschäftigten noch besser sind als Gesetz, Kollektivvertrag und Betriebsvereinbarung das vorsehen.
Welche Rolle spielen die Sozialpartner?
Die Sozialpartner sind in Österreich in jeden Gesetzeswerdungsprozess von vornherein einbezogen. Das macht es schwieriger, Reformen umzusetzen, garantiert jedoch den sozialen Frieden auch bei Veränderungen. Österreich gehört zu jenen Ländern, in denen kaum gestreikt wird. Anders als zuletzt zum Beispiel in Deutschland.
Die Sozialpartnerschaft in Österreich umfasst auf Bundesebene vier Verbände: auf Arbeitgeberseite die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und die Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ), auf der Arbeitnehmerseite die Bundesarbeitskammer (BAK) und der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB).
Während die drei Kammerorganisationen öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörper mit gesetzlicher Mitgliedschaft sind, ist der ÖGB vereinsrechtlich organisiert.
Politikwissenschafter Peter Filzmaier erklärte im ORF-Morgenjournal, wer die Pflichtmitgliedschaft abschaffen wolle, habe damit zwangsläufig auch eine Schwächung der Bedeutung der Sozialpartner bei der Gesetzeswerdung im Sinn.
Seit 2007 im Verfassungsrang
Die Diskussion war übrigens auch unter schwarz-blau in den Jahren 2000 bis 2006 am Tisch. Als Folge davon beschlossen Rot-Schwarz 2007 eine Verankerung der Sozialpartner in der Verfassung: "Die Republik anerkennt die Rolle der Sozialpartner. Sie achtet deren Autonomie und fördert den sozialpartnerschaftlichen Dialog durch die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern", steht seither in Artikel 120. "Die Pflichtmitgliedschaft ist dort zwar nicht explizit erwähnt, leichter ist eine Anfechtung durch die Verfassungsbestimmung aber sicher nicht geworden", hielt der "Standard" schon im August dieses Jahres in einem Bericht fest.
Claudia Gigler