Die Menge tobte, die Eier flogen - getroffen wurde trotzdem keiner der Adressaten. Denn Wolfgang Schüssel (ÖVP) schritt mit seiner Regierungsmannschaft unter dem Ballhausplatz in die Hofburg, wo Bundespräsident Thomas Klestil in eisiger Atmosphäre die erste schwarz-blaue Koalition der Zweiten Republik angelobte. Fast 18 Jahre später steht ein Comeback von Schwarz-Blau im Raum.
Diesmal dürfte die Aufregung weit weniger groß sein, die Blauen haben bei den Wählern viel von ihrem Schrecken verloren, und mit der Flüchtlingskrise sind die Österreicher seit 2015 ein Stück weit nach rechts gerückt. In einer aktuellen Umfrage präferieren inzwischen 35 Prozent eine schwarz-blaue beziehungsweise türkis-blaue Koalition. Eine ÖVP-FPÖ-Zusammenarbeit bringt es damit auf den größter Zuspruch aller möglicher Varianten. Die am 4. Februar 2000 angelobte Koalition Schwarz-Blau I stellte indes noch einen absoluten Tabubruch dar.
Seit Franz Vranitzky 1986 die rot-blaue Zusammenarbeit mit der FPÖ beendete, nachdem Jörg Haider die Freiheitlichen übernommen hatte, lebte man hierzulande in einer Großen Zwangskoalition. Die SPÖ wollte nicht und die ÖVP traute sich nicht, mit den in der Ausländerfrage damals aggressiv auftretenden Blauen in eine Regierung einzutreten. Da die Grünen zu schwach waren, blieb letztlich immer nur Rot-Schwarz als Option, so sehr man sich auch in den 14 gemeinsamen Jahren entfremdet hatte.
Von der Nummer 3 zur Nummer 1
Auch nach der Wahl 1999 schien es so, als ob die wieder einmal abgestraften Großparteien in eine Koalition taumeln würden. Wiewohl sich VP-Chef Schüssel nach dem Rückfall der Volkspartei auf Rang drei hinter die FPÖ lange zierte, überhaupt in Regierungsverhandlungen zu gehen, kam letztlich doch ein Pakt von Rot und Schwarz zustande. Als jedoch die sozialdemokratischen Gewerkschafter in den SPÖ-Gremien wegen der geplanten Pensionsreformen ihre Zustimmung verweigerten, hatte die ÖVP die Möglichkeit zum Absprung gefunden.
In rekordverdächtigem Tempo wurde quasi hinter dem Rücken des Bundespräsidenten eine kleine Koalition ausverhandelt, was immer wieder den Verdacht aufkommen ließ, es habe ohnehin die ganze Zeit Parallelverhandlungen der ÖVP mit der FPÖ gegeben. Freiheitlichen-Chef Jörg Haider verzichtete für die Regierungsbeteiligung erstens auf einen Wechsel nach Wien und zweitens auf den Kanzlersessel, womit Wahlverlierer Schüssel von Platz drei aus zum Regierungschef aufstieg. Vorwürfe, dies sei sein einziges Ziel gewesen, weist Schüssel bis heute zurück. In seinen Memoiren betonte er, die steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic und Notenbank-Präsidentin Maria Schaumayer für die Position vorgesehen zu haben.
Letztlich übernahm Schüssel selbst, und das nicht ungern, konnte er von ihm lange geforderte Vorhaben wie eine Privatisierungsoffensive oder eine Pensionsreform umsetzen. Der Kanzler hatte sich wohl trotzdem alles leichter vorgestellt. Die Donnerstag-Demos mit teils mehr als 10.000 Menschen gegen Schwarz-Blau, den "Abwehrstreik" des davor dahinschlummernden ÖGB oder den demütigenden Gang zur Angelobung unter dem Heldenplatz mag der ÖVP-Chef noch verkraftet haben, dass er als großer Europäer aber zum Paria in der EU wurde und sogar Sanktionen gegen Österreich verhängt wurden, hat Schüssel wohl lange nicht verschmerzt.
EU schaut genau zu
Innenpolitisch waren die "bilateralen Maßnahmen der EU-14" gegen Österreich freilich gar nicht so schlecht. Die Empörung über die Union half, sich über heikle Sozialeinschnitte wie beispielsweise die später wieder abgeschaffte Ambulanzgebühr oder die Unfallrenten-Besteuerung drüberzuschwindeln. Auch von diversen Fehlgriffen der FPÖ bei der Ministerbesetzung wie Michael Krüger oder Elisabeth Sickl wurde abgelenkt. Hilmar Kabas und Thomas Prinzhorn waren schon vor Amtsantritt gescheitert, wurden sie doch vom Bundespräsidenten abgelehnt, nachdem sie mit ausländerfeindlichen Bemerkungen für Aufsehen gesorgt hatten.
Der Sanktionen-Spuk war nach gut einem halben Jahr zu Ende. Ging der Außenfeind rasch wieder verloren, gewann der von innen immer mehr Bedeutung. Jörg Haider hatte sich keinen Monat nach der Regierungsbildung als FPÖ-Obmann zurückgezogen und seiner langjährigen Weggefährtin Susanne Riess-Passer das Ruder überlassen. Die politische Fernbeziehung ging aber alles andere als gut. Je besser Riess-Passer mit Kanzler Schüssel harmonierte, umso mehr ergriff den Kärntner Landeshauptmann die (politische) Eifersucht.
Knittellfeld und die Neuwahlen
Ständige Streitereien mündeten im "Putsch" von Knittelfeld, auch motiviert von diversen Irritationen um den umstrittenen Eurofighter-Kauf. Mit Riess-Passer, Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Klubchef Peter Westenthaler marschierten im September 2002 jene drei Freiheitlichen ab, die sich am besten mit der ÖVP arrangiert hatten - Schüssel erkannte die Chance, rief Neuwahlen aus, angelte Grasser für die Volkspartei und landete mit mehr als 42 Prozent einen Sensationserfolg. Wer dachte, das war's mit Schwarz-Blau, hatte sich geirrt. Ganz im Gegenteil hatte Schüssel im Gegensatz zu 1999, wo er von günstigen Umständen profitierte, die bequeme Situation, zwischen drei Partnern wählen zu können. Mit den Grünen liebäugelte er, mit der SPÖ weniger, zur Seite nahm er sich jedenfalls dann doch lieber die auf 10 Prozent zusammengeschrumpfte FPÖ.
Die Freiheitlichen wurden fortan im Wesentlichen als Anhängsel der ÖVP empfunden, die sich selbst in einer Art Alleinregierung wähnte. Die Parteibasis rebellierte gegen die zu lasche freiheitliche Position in der Regierung, woraufhin sich die blaue Spitze orange färbte. Das BZÖ wurde im April 2005 aus der Taufe gehoben, die FPÖ blieb Heinz-Christian Strache und den Seinen übrig. Da der Klub mit zwei Ausnahmen zum BZÖ wechselte und damit die Mehrheit gesichert war, machte Schüssel mit seiner Regierung weiter - die war dann schwarz-orange. Für manche in der FPÖ-Truppe um Strache ist damit bis heute ein ÖVP-Trauma verbunden, das man aber offenbar mittlerweile zu überwinden sucht.
Wirtschaftliche Entwicklung
Wirtschaftlich entwickelte sich Österreich damals recht positiv. Vom "besseren Deutschland" war in Medienberichten mitunter die Rede, in Erinnerung blieben aber vor allem Korruptionsvorwürfe und die vielen Skandale. Einer davon, nämlich jener um die Privatisierungen der Bundeswohnungsgesellschaft Buwog mit der ehemaligen Finanzminister Grasser auf der Anklagebank, wird erst jetzt vor Gericht aufgerollt.
Das endgültige Aus für die Kombination aus Volkspartei und drittem Lager bestimmte schließlich der Wähler - und das eher überraschend. 2006 holten die Sozialdemokraten unter Alfred Gusenbauer die relative Mehrheit - und da auch für die ÖVP eine Koalition mit den damals noch schwer verfeindeten Geschwister-Parteien FPÖ und BZÖ keine Option war, ging nach sieben Jahren das schwarz-blaue Experiment zu Ende. Nun könnte es unter anderen Voraussetzungen - ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache kündigten bereits einen neuen politischen Stil und viele Veränderungen an - und mit neuer Parteifarbe Türkis zu einer Neuauflage von Schwarz-Blau oder - wie es die ÖVP lieber nennt - Türkis-Blau kommen.