Die Zahl der weiblichen Wahlberechtigten ist seit der Bundespräsidentschaftswahl im Dezember zwar leicht rückläufig, dennoch sind 51,67 Prozent und damit die Mehrheit der Wähler im Land Frauen. Dezidierte Frauenthemen wie Frauenquoten oder Konzepte gegen Lohnunterschiede finden sich jedoch in keinem der Wahlprogramme an prominenter Stelle.
Dahinter steckt kein Fehler, sondern Vorsicht, erklärt die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle. „Es ist ungemein schwieriger, Frauen anzusprechen als Männer, denn bei Frauen gibt es keinen kleinsten gemeinsamen Nenner.“ Männer eine beispielsweise das Thema Erwerb, bei Frauen komme auch noch die Lebensentscheidung Familie und/oder Karriere hinzu. „Je klarer ich mich hier positioniere, desto eher schrecke ich potenzielle Wählerinnen ab“, erklärt Stainer-Hämmerle. So vertreten ihrer Ansicht nach SPÖ und Grüne eher die These, dass Frauen in der Berufswelt vertreten sein sollten, FPÖ und ÖVP kämpfen hingegen für die Anerkennung von Hausfrauen und Müttern. „Und das sind vollkommen unterschiedliche Modelle der Gleichstellung, mit denen ich alle Wählerinnen vergraule, die das jeweils andere Modell bevorzugen würden.“
Frauen wählen eher links der Mitte, Männer rechts davon
Frauen wählen anders. Weibliche Wähler setzen ihr Kreuz mehrheitlich links der Mitte, während Männer meist Parteien rechts der Mitte wählen. Ein Gedankenexperiment: Dürften nur Frauen wählen, wäre sich die schwarz-blaue Koalition von 2000 bis 2006 prozentual nicht ausgegangen, Alexander Van der Bellen wäre mit deutlichem Vorsprung in die Hofburg eingezogen und statt Donald Trump wäre heute Hillary Clinton Präsidentin der USA (siehe Grafik). Das Phänomen des unterschiedlichen Wahlverhaltens von Mann und Frau nennt sich „Voting Gender Gap“. Eine Studie des amerikanischen „Pew Research Centers“ zeigt auf, dass es in den USA der 70er-Jahre kaum Unterschiede zwischen den Wahlentscheidungen der Geschlechter gab. Als die klassischen Rollenbilder aufbrachen, entwickelten sich die Interessen von Männern und Frauen jedoch auseinander. Frauen interessierten sich laut Studie immer mehr für klassische Themen der Demokraten wie Umwelt und Gesundheit. Dass auch Österreichs Frauen heute eher links der Mitte wählen, habe laut Stainer-Hämmerle damit zu tun, dass diese Parteien soziale Dinge versprechen, die für weibliche Wähler eher von Nutzen sind. „Wären Frauen finanziell unabhängig und so autonom wie Männer, würden sie auch andere Parteien wählen.“
Ein Blick in die politischen Reihen Österreichs zeigt, dass Frauen besonders in von ihnen geschätzten Parteien vertreten sind. Spitzenreiter sind die Grünen, die Mehrheit ihrer im Nationalrat vertretenen Mitglieder sind Frauen. Schlusslicht ist die FPÖ, von den 38 Abgeordneten sind nur sechs Frauen.
Frauen "zu sensibel für Politik"
Dafür, dass nur wenige Frauen in die Politik strömen, gibt es unterschiedliche Erklärungen. Die wohl skurrilste lieferte 2009 der ehemalige Kärntner Landeshauptmann, Gerhard Dörfler. „Frauen sind zu schade für die Politik, sie sind viel sensibler als Männer, zu sensibel.“ Das sei natürlich Blödsinn, sagt Stainer-Hämmerle. „Aber es liegt an eben diesen Rollenbildern, dass viele Frauen wenig Interesse an einer Karriere in der Politik haben.“ Die Expertin liefert eine weitere Erklärung: „Frauen werden in der Öffentlichkeit ganz anders beurteilt als Männer. Schauen Sie sich Angela Merkel an, wie viel Häme und Spott sie für ihr Aussehen ertragen muss.“ Das wirke abschreckend.
Dass SPÖ und ÖVP bei dieser Wahl zunehmend Frauen auf wählbare Listenplätze setzen, ist für die Politologin auch kein Grund zur Freude. „Die Parteien suchen sich tolle, attraktive Frauen, die eines gemeinsam haben: Sie haben keine politische Erfahrung, keine effektive Macht und keinen Parteiflügel, der sie unterstützt - sie sind also von des Chefs Gnaden.“ Das sei für Parteien die einfachste Art zu zeigen: „Seht her, wir machen jetzt alles anders.“
Bei dieser Wahl könnte laut Stainer-Hämmerle aber wirklich alles anders werden. Denn: „Frauen fühlen sich weniger an frühere Wahlentscheidungen gebunden als Männer. Es kann also alles passieren.“