Die Kulturgeschichte des Schmutzkübels reicht weit zurück. Jetzt scheint eine neue Dimension erreicht. Was macht dieser Wahlkampf mit der Politik und mit dem Land?

HERMANN SCHÜTZENHÖFER: Was wir erleben, ist Gift für ein künftiges Miteinander. Man muss wissen, was man tut, wenn man sich mit einem Menschen wie Tal Silberstein einlässt. Ich habe aber keine Schadenfreude, ich habe ein Oben und Unten in der Politik in reichlichem Ausmaße erlebt. Ich werde kein schlechtes Wort über Christian Kern verlieren. Er hat sich selbst in seine Lage manövriert. Und andere werden profitieren, ich nehme an, die Freiheitlichen.

PETER KAISER: Ich verabscheue Methoden, wie sie jetzt verwendet werden, egal, von wem. Sie erreichen nur, dass das Vertrauen in die Politik und der Stellenwert der Politiker sinkt. Durch die Anonymität der Aktivitäten im Internet ist eine neue Dimension gegeben. Die Politik hat Rechtsmechanismen zum Schutz der Privatsphäre, der Öffentlichkeit, der Politik und des Journalismus einzuführen. Das wird nur auf internationaler Ebene gelingen.

Was war in der Vergangenheit Ihr schlimmstes Erlebnis?

KAISER: Nach dem fürchterlichen Attentat auf Landeshauptmann Leopold Wagner, das sich zum 30. Mal jährt, wurde von Gegnern die Frage in den Raum geworfen: War er durch seine Politik nicht selbst schuld? Zu erkennen, wie verächtlich man gegenüber dem Schicksal eines Menschen sein kann, war für mich bisher das Schlimmste.

SCHÜTZENHÖFER: Die übelste Erfahrung für mich war nach der Amokfahrt in Graz. Da wurden wir auf dem Gang in die Stadtpfarrkirche von Leuten wüst beschimpft. „Ihr seid schuld, hättet ihr sie nicht hereingelassen“ - die Flüchtlinge. Bedrückend, wie sich Respekt und Menschlichkeit gegenüber einem Politiker plötzlich in ihr Gegenteil verkehren.

Gab es in der politischen Auseinandersetzung auch Grenzüberschreitungen, die Sie nachträglich bedauern? Wir erinnern an steirische Netz-Attacken gegen den damaligen Landeshauptmann Franz Voves, an Web-Portale wie „Er kann's halt nicht.at“.

SCHÜTZENHÖFER: Wir waren Gefangene der Partei. Der Druck war enorm. Wir haben damals nach sechzig Jahren den Landeshauptmann verloren, und die Stimmung war: Der Irrtum der Wähler muss korrigiert werden. Es war unschön, aber was anderes als heute. Es gab keine Menschenrechtsverletzung. Das Visier war geöffnet.

Jetzt vermittelt Ihre Partei den Eindruck, Herr Schützenhöfer, als wäre das Migrationsthema Österreichs größtes Problem. Liegt hier nicht eine Überhöhung vor?

SCHÜTZENHÖFER: Was sich 2015 abgespielt hat, hat die Gleichgewichte durcheinandergebracht. Es bleibt ein schwieriges Thema. Dass wir nur einen Flüchtlingswahlkampf führen, weise ich zurück.

KAISER: Die Flüchtlingsfrage überlagert andere wichtige Themen. Es hat sich eine gewisse Akzeptanz ergeben, wenn man in weniger radikalen Worten eigentlich dasselbe meint.

Der künftige Tiroler Bischof Hermann Glettler beklagt eine polemische Zuspitzung dieses Themas und fürchtet, dass nach diesem Wahlkampf Wunden in der Gesellschaft zurückbleiben werden. Ist das auch Ihr Bild?

SCHÜTZENHÖFER: Man muss die Kirche im Dorf lassen. Seit ich Wahlkämpfe kenne, ist der Schmutzkübel danebengestanden. Die Frage ist nur, wann etwas vom Unappetitlichen ins Kriminelle abgleitet. Da muss dann Schluss sein.

Diesem Wahlkampf ist der Bruch der Koalition vorausgegangen. Wie vergiftet ist die Beziehung? Man kann bei den beiden Spitzenkandidaten Christian Kern und Sebastian Kurz die Animosität fast bis ins Körperliche hinein spüren. War es das mit Rot und Schwarz, meine Herren?

KAISER: Wir als Sozialdemokratie haben einen Wertekompass erstellt. Nach diesem werden wir die Gespräche führen, wenn wir in die Rolle kommen sollten. Es ist unsere Beschlusslage, vor der Entscheidung eine Urabstimmung unter den Mitgliedern zu machen. Die wird es in jedem Fall geben.

SCHÜTZENHÖFER: Ich kann nur sagen, und das hat nichts mit Rot und Schwarz zu tun, dass wir in unseren beiden Bundesländern gut zusammenarbeiten.

In den unteren Stockwerken funktioniert das Bündnis also noch. Woher kommt dann das strukturelle Unglück?

SCHÜTZENHÖFER: Es ist immer auch eine Frage der Personen.

KAISER: Die Persönlichkeiten, die hier aufeinanderprallen, sind so unterschiedlich, wie es bisher kaum der Fall war.

Was ist das Gegensätzliche? Die Anzüge gleichen einander.

KAISER: Also, Slim fit bei HC Strache wäre etwas übertrieben. Aber Kern und Kurz haben ganz andere Biografien, eine andere Sozialisation, kommen aus anderen Sphären. Der eine mit Erfahrung, der andere mit einem Riesen-Engagement, dem Apparat und alles bestens kennend. Und das Allerwichtigste: Beide wollen die Nummer eins sein. Daher glaube ich, dass der, der Nummer zwei oder was immer wird, mit dem anderen nichts machen wird.

SCHÜTZENHÖFER: Ich äußere mich nicht zu Koalitionen. Die SPÖ sagt, Blau-Schwarz kommt, wir sagen, Blau-Rot ist im Anmarsch. Ich sage nur: Franz Voves und Hermann Schützenhöfer haben sich von 2005 bis 2010 ordentlich bekämpft. Wir haben beide ordentlich verloren. Die Erkenntnis daraus war, ans Land zu denken und die Verkrustungen aufzubrechen.

Diese Saulus-Paulus-Romanze wird sich auf Bundesebene kaum wiederholen lassen.

SCHÜTZENHÖFER: Ich mische mich bei Kurz und Kern nicht ein. Es ist ja verpönt, man darf, um Gottes willen, nicht Rot-Schwarz oder Schwarz-Rot sagen, das will ja auch kein Meinungsbildner, kein Journalist.

Auch Altbundespräsident und Großkoalitionär Heinz Fischer sagt, er glaube nicht mehr daran.

KAISER: More of the same wird nicht mehr gehen. Die ehemals Große Koalition, dieses Gemeinsame, wie es auf Landeshauptleuteebene noch manifestiert ist, ist auf Bundesebene nicht mehr da. Daher habe ich schon ein paar Mal den Vorschlag gemacht, erstmals belächelt, etwas anderes zu versuchen. Wie wir es in Kärnten taten: Rot-Schwarz-Grün. Das bringt Vorteile, die man auf den ersten Blick nicht sieht. Bei drei Parteien nimmt man viel von der öffentlichen Diskussion vorweg, weil man zuerst untereinander den Kompromiss schaffen muss. Und dann ist es der Kompromiss, mit dem man Öffentlichkeitsarbeit macht.

Rot-Schwarz-Grün, eine Farbabmischung, die Ihnen, Herr Schützenhöfer, behagen würde?

SCHÜTZENHÖFER: Keine der Parteien darf man ausschließen, sie kommen durch demokratische Wahlen in den Nationalrat. Mit Blick auf die Welt, die ein einziger Krisenherd geworden ist, und angesichts der Probleme Pflege, Pensionen, Spitals- und Gesundheitswesen, Bildungswesen stehen wir vor Aufgaben, die breite Mehrheiten brauchen.

Ihr Spitzenkandidat hat dieses Bündnis vor wenigen Monaten beendet. Warum sollte er die SPÖ wieder zum Traualter führen?

SCHÜTZENHÖFER: Zum Traualtar werden sie nicht gehen. Es ist festzustellen, dass die zwei miteinander nicht können. Die Frage ist, welche Koalitionsform gibt es, damit wir in einem halben Jahr nicht wieder vor der gleichen Situation stehen. Und nur für diesen Fall schließe ich keine Koalition aus, auch im Wissen, dass ich der Letzte bin, der Rot-Schwarz oder Schwarz-Rot nicht ausschließt.

Mit Kern und Kurz wird das nichts mehr. Da sind Sie sich einig. Ist Strache der lachende Dritte?

KAISER: Ich schließe nicht aus, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen aller drei werden wird. Aber meine Wahrnehmung ist, dass es sich auf Kern und Kurz reduziert, weil sie mit ihrer Unterschiedlichkeit klarer polarisieren als jetzt Strache. Was ich im Übrigen als nicht unangenehm empfinde, wenn man von gewissen Sagern eine Zeit lang mehr verschont ist als bisher.

Und dennoch schaut es so aus, als ob eine der beiden Parteien, die Sie hier verkörpern, mit dieser mutierten FPÖ koalieren wird.

KAISER: Das müsste schon ein sehr großes Zugehen der FPÖ auf die Sozialdemokratie sein. Und wenn ich mir die Wahlprogramme anschaue, dann ist die Affinität zwischen Schwarz und Blau offensichtlicher, als es sie zwischen Rot und Blau ist.

Würde die ÖVP ein Bündnis mit der FPÖ aushalten?

SCHÜTZENHÖFER: Das wäre eine schwere Prüfung für die Partei. In der Steiermark ist sie nationaler geworden. Das ist Faktum. Die Burschenschaften haben das Sagen. Das ist nicht die liberal ausgerichtete FPÖ eines Michael Schmid oder des späten Jörg Haider.