Ganz artig und konzentriert sitzen Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz nebeneinander in der Schulklasse. Kurz blickt verstohlen auf das, was sein Nachbar zu Papier bringt, und scheint abzuschreiben. „Nach der Präsentation von Kapitel 1, bereitet Fakebasti das zweite Kapitel vom Programm der neuen ÖVP vor“, steht unter der Fotomontage. Ein Beispiel für ein Posting auf der Facebook-Seite „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“, die mittlerweile offline ist. Verantwortlich gewesen sein soll die SPÖ beziehungsweise Ex-Berater Tal Silberstein und dessen Mitarbeiter.
Damit kulminiert derzeit die Debatte um Schmutzkübelkampagnen, die den Nationalratswahlkampf schon seit Beginn begleitet hat. „Obwohl der Wahlkampf gar nicht so dreckig war. Das hat sich nun geändert. Jetzt haben wir es mit klassischem Dirty Campaigning zu tun“, sagt Politikberater Thomas Hofer. Zu den Begrifflichkeiten: Während man beim Negative Campaigning die negativen Seiten des Gegners übertrieben darstellt, werden beim Dirty Campaigning bewusst nicht beweisbare Gerüchte gestreut, moralische und ethische Grenzen überschritten.
Cicero, Kreisky, Schüssel
Die Politik begleitet das alles, seit sie selbst existiert. Im Jahr 64 vor Christus soll etwa der römische Staatsmann Marcus Tullius Cicero den Tipp bekommen haben, möglichst viel übles Gerede (Rechtsbruch, Affären) über seinen Konkurrenten aufkommen zu lassen, um ihn als Mann mit schlechtem Charakter dastehen zu lassen. In den USA und Österreich gehören negative Kampagnenelemente, in unterschiedlicher Qualität und Intensität, seit Jahrzehnten zum Wahlkampf wie das inflationäre Aufstellen von Wahlplakaten. In den Nachkriegsjahren ließ die ÖVP eine rote Katze aus einem Sack hüpfen und warnte vor einer Koalition von SPÖ und Kommunisten. 1970 plakatierte sie ihren Spitzenkandidaten Josef Klaus als „echten Österreicher“, in Anspielung auf die jüdische Herkunft des SPÖ-Kandidaten Bruno Kreisky. 2006 warf die SPÖ Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) vor, für seine Schwiegermutter eine illegale Pflegerin beschäftigt zu haben.
Die Grenze zwischen harter Auseinandersetzung und bewusstem Tabubruch verläuft oft fließend, Jörg Haider wusste das nur zu gut. Im US-Wahlkampf 2016 ergossen sich in sozialen Netzwerken zielgruppengesteuerte Schmutzkübel über Hillary Clinton. Auf Fake-News-Seiten wurde sie zwischendurch sogar für tot erklärt. Donald Trump gewann die Wahl.
Zurück zum aktuellen heimischen Wahlkampf. Internet-Expertin Ingrid Brodnig hatte schon länger die Vermutung, dass eine Partei hinter „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ stecken könnte. Warum? „Die Seite hat viel Facebook-Werbung geschaltet und versucht, Kurz-Fans gezielt anzusprechen. Wenn eine Fanseite Werbung schaltet, liegt der Verdacht nahe, dass eine Partei dahintersteckt. Kaum ein Bürger investiert Tausende Euro seines eigenen Geldes in die Bewerbung einer Schmutzkübel-Seite“, so Brodnig. Der Aufwand, der hier betrieben wurde, ist bemerkenswert: „Das Besondere daran ist, dass man sich als Gegenseite ausgab. Dass quasi das Team von SPÖ-Berater Tal Silberstein gezielt die Rhetorik rechter Seiten kopiert hat, um davon abzulenken, wer dahintersteckt – eine besondere Irreführung“, konstatiert Brodnig, Autorin des Buches „Lügen im Netz“.
Van der Bellen und die Krebsgerüchte
Der Fall zeige auch die Grundproblematik: „Wenn ich eine Behauptung einer Fanseite lese, dann sollte ich immer nachprüfen, wer hinter dieser Seite steckt. Wenn das nicht angegeben wird, heißt es vorsichtig sein!“ Laut Mediengesetz müssten solche Seiten ein Impressum mit Name und Anschrift angeben. Anonyme Fanseiten gibt es schon länger, „quantitativ sind sie bei dieser Nationalratswahl zu einem Problem geworden“.
Auch bei der Bundespräsidentschaftswahl gab es anonyme Fanpages, wo man nicht wusste, wer die Seiten betreibt: „Für Parteien ist es eine immense Versuchung, gegen den Gegner hämisch bis untergriffig anzuposten“, sagt Brodnig. Fake News, also bewusste Falschmeldungen, nehmen dramatisch zu. Alexander Van der Bellen legte im Vorjahr sogar ein ärztliches Attest vor, um gegen hartnäckige Krebsgerüchte anzukämpfen.
Automatisierte Twitter-Profile
Soziale Medien lassen auch Dirty Campaigning „schneller, günstiger, zielgerichteter“ werden, wie Experte Hofer sagt. „Sie kommen direkter und ungefiltert an die Zielgruppen heran.“ Längst erfolgt das softwaregesteuert. So können sogenannte Social Bots auf falschen Profilen eingesetzt werden, die automatische Botschaften zu bestimmten Themen absetzen. Nach dem ersten TV-Duell im US-Wahlkampf kam jeder dritte Tweet pro Trump von so einem Computerprogramm. Hofer spricht von „digitaler Manipulation“, sieht als Reaktion aber auch eine „Chance für glaubwürdige Quellen“, wie Qualitätsmedien.
„Eine Entwicklung, vor der ich mich fürchte, ist die Manipulation von Bewegtbild“, sagt der Politikberater. Schon jetzt gibt es Software, die Mimik, Gestik, Aussprache etc. abbilden kann. „Eine 15-minütige Rede aufnehmen, danach können Sie Kern oder Kurz im Video jeden beliebigen Text sagen lassen.“ Brodnig ortet jedoch Besserung: „Das aktuelle Fiasko zeigt: Es ist ein Hochrisikospiel, wenn eine Partei so etwas macht und auffliegt. Die Seite ,Die Wahrheit über Sebastian Kurz‘ hatte 15.000 Fans. Das steht in keiner Relation zu dem Schaden, der jetzt angerichtet wurde“, sagt Brodnig. Ob der erhoffte Lerneffekt für die Parteien eintritt, bleibt abzuwarten ...