Politologen und Meinungsforscher sehen das Rennen um den ersten Platz bei der Nationalratswahl als schon fast gelaufen an. Die jüngsten Entwicklungen rund um die SPÖ inklusive Rücktritt von Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler wertet etwa Peter Hajek als "Super-GAU". Für OGM-Chef Wolfgang Bachmayer bestätigt sich damit die Sichtweise, dass Platz eins für die ÖVP immer sicherer erscheint.
Die Situation der SPÖ nach den schweren Dirty Campaigning-Vorwürfen gegen die Partei beurteilen die Experten im Gespräch mit der APA durchwegs als desaströs. Der Abgang des SPÖ-Geschäftsführers sei "das einzig Mögliche gewesen", so Politik-Berater Thomas Hofer. Die ganze Affäre sei der "Mega-" bzw. "Super-GAU" für die Partei, meinte auch Hofer. "Den Wahlkampfleiter zwei Wochen vor der Wahl austauschen zu müssen, das ist schon kaum zu übertreffen."
Die dem Niedermühlbichler-Rücktritt vorangegangenen Enthüllungen, wonach ein vom ehemaligen SPÖ-Berater Tal Silberstein engagiertes Team für die SPÖ gefakte Pro- und Anti-Sebastian Kurz-Facebookseiten mit rassistischen und antisemitischen Inhalten erstellt hat, sei ein "Dämpfer der Sonderklasse", so Hofer. "Der Schaden ist maximal." SPÖ-Chef Christian Kern werde sich dies "bei jedem Duell, jeder Elefantenrunde" von allen Mitbewerbern anhören müssen. Die Enthüllungen würden innerparteilich extrem negativ wirken und die Reputation der Partei erschüttern, so das Urteil von Public Opinion Strategies-Chef Hajek.
OGM-Chef Bachmayer betonte, dass der Wahlkampf der Sozialdemokratie von einer ganzen Serie von Pannen erschüttert worden sei. Als Beispiele nannte Bachmayer den "Zick-Zack-Kurz" beim Thema CETA, den "Vollholler"-Sager Kerns zur Schließung der Mittelmeerroute oder den internen Streit im SPÖ-Team. Auch die Verhaftung von SPÖ-Berater Silberstein und die folgende Aufkündigung der Zusammenarbeit, die Debatte um den Bau der Anti-Terror-Mauer vor dem Kanzleramt oder der Konflikt mit der Tageszeitung "Österreich" wegen geleakter interner SPÖ-Dossiers über den Kanzler zählt Bachmayer zu den Negativ-Punkten der roten Kampagne. Den Schlusspunkt hätten nun die "Wiederauferstehung" Silbersteins und der Rücktritt des SPÖ-Geschäftsführers gesetzt. "So eine Serie habe ich in 35 Jahren Politikbeobachtung noch bei keiner Partei erlebt", sagte der Meinungsforscher.
Kern beschädigt
Die Experten sehen nun vor allem die Führungsrolle von Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern beschädigt. "Was übrig bleibt: Kann jemand, der selbst nicht in der Lage ist, einen ordentlichen Wahlkampf zu führen, kann so jemand ein Land führen. Das ist die hochproblematische Grundbotschaft", meinte Bachmayer. Am Ende entstehe der Eindruck, Kern habe seine Partei nicht im Griff. Auch für den Politologen Peter Filzmaier steigt Kern bei der Beurteilung der jüngsten Ereignisse rund um die manipulierten Facebook-Seiten schlecht aus: "Was ist schlimmer: Man beauftragt jemanden mit Hunderttausenden Euros und hat keine Ahnung, was der macht, oder man wusste es. Beides ist gleichermaßen desaströs."
Fast wortident kommentierte Hofer die Vorkommnisse: "Entweder er hat es gewusst, dann ist es schlimm. Oder er hat es nicht gewusst, dann ist es der Gipfel dessen, dass er eine völlig ungesteuert Kampagne hat, die er nicht im Griff hat." Für die SPÖ besonders problematisch sieht Filzmaier den Zeitpunkt der Enthüllungen: Die Affäre sei jetzt "Hauptthema der entscheidenden Wahlkampfwoche". Darüber hinaus sei die Frage, was das Thema parteiintern auslöse: "Im besten Fall Verwirrung, im schlechtesten Fall völlige Demobilisierung bei den eigenen Leuten." Offen sei auch die Frage, wer nach Abgang des Wahlkampfmanagers nun organisatorisch das Zepter in der Hand hält.
Platz 1 für ÖVP "so gut wie sicher"
Mit den aktuellen Geschehnissen scheint für Bachmayer Platz eins für die ÖVP schon fast so gut wie sicher zu sein. Möglicherweise abwandernde SPÖ-Stimmen würden nun wohl primär zu den Grünen und zur Liste Pilz gehen, teilweise auch zur FPÖ. Bachmayer sprach von einem möglichen "Saugeffekt" in Richtung Grüne und Peter Pilz. In diesem Zusammenhang könnte Kern auch seine Oppositionsansage - für den Fall nicht Erster zu werden - "auf den Kopf fallen". Denn gedacht gewesen sei diese Ansage auch dafür, taktisch denkende Grün- und Pilz-affine Wähler für die SPÖ zu mobilisieren. Diese Komponente falle aber weg, sobald die Chance der SPÖ auf Platz eins aussichtslos erscheint.
Auch Hofer sieht für Grüne und Liste Pilz - eingeschränkt auch für die NEOS - die Chance, Wähler zurückzuholen, die schon in Richtung SPÖ abgedriftet sind. Aber auch ÖVP und FPÖ kämen die Probleme der SPÖ gelegen, denn damit haben die beiden Parteien "einen Konkurrenten weg". Der FPÖ traut Bachmayer nun zu, den zweiten Platz vor der Sozialdemokratie zu erobern. Ein Vorrücken der Freiheitlichen auf den ersten Rang hält er hingegen für wenig wahrscheinlich.
Kurz "besser als erwartet"
Nicht erfüllt hat sich laut den Experten bisher die rot-blaue Hoffnung, ÖVP-Chef Sebastian Kurz könnte in den TV-Duellen schwächeln. Kurz habe sich in den bisherigen Fernseh-Konfrontationen besser als erwartet präsentiert, urteilte etwa Bachmayer - "weil er eigentlich lebendiger und aktiver war, als ich ihn vorher eingeschätzt habe". Dagegen habe Kern die Erwartungen nicht ganz erfüllt: "Er hat diese 'High Performance' bis jetzt nicht geliefert." Der FPÖ attestiert der OGM-Chef einen "strategisch klugen und geschickten" Umgang mit der Situation. Parteichef Heinz-Christian Strache habe einen "bemerkenswerten Strategiewechsel" vollzogen, indem er bereits seit Jahresanfang nicht mehr den Kanzleranspruch stellt. Eine klare Strategie verfolgt laut den Politikexperten ÖVP-Chef Kurz. Er profitiere vom Spin der neuen Bewegung. "Da hilft ihm auch sein Alter", so Filzmaier. Denn: "Wer immer gekommen wäre mit 50 Jahren, dem wäre das nicht gelungen", so der Politologe.