Mitarbeiter der grünen Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek trauten ihren Ohren nicht. Unmittelbar nach dem TV-Duell zwischen Lunacek und ÖVP-Chef Sebastian Kurz kam es im ORF-Zentrum zu einem Eklat, wie die Kleinen Zeitung bereits in der Samstagausgabe berichtet hat. Der Außenminister und sein Team beschwerten sich lautstark bei den ORF-Verantwortlichen über die Fragen von ORF-Redakteurin Claudia Reiterer, diese hätten eine grüne Schlagseite gehabt. Stimmt nicht, heißt es in der Umgebung des Außenministers, man habe einfach inhaltliche Punkte diskutiert, jedem Journalisten sei es unbenommen, jene Fragen zu stellen, die ihm wichtig erscheinen. Andere Augen- und Ohrzeugen bestätigen allerdings die erste Version. Lunacek und ihr Team seien von der Heftigkeit der Auseinandersetzung so überrascht gewesen, dass sie das Weite gesucht hätten. Ein erfahrener ORF-Redakteur, der zufällig das Geschehen beobachtete, dazu: "Das habe ich noch nie erlebt." 

Manipuliertes Ranking

Warum es zu der laustarken Auseinandersetzung gekommen ist, dürfte damit zusammenhängen, dass Lunacek Kurz während der Sendung der  Manipulation eines Rankings auf dessen Homepage überführt hatte. Bekanntlich wurde auf der Wahlkampfhomepage des ÖVP-Spitzenkandidaten - im Unterschied zur jener des Außenministeriums - Österreich als Spitzenreiter bei den Entwicklungsausgaben im OECD-Vergleich ausgeweisen. Tatsächlich liegt Österreich nur im Mittelfeld, die ersten sieben Staaten, die das Ranking anführen, wurden einfach weggeschnitten. In der Umgebung des Außenministers hat man bereits am Freitagnachmittag den Fehler eingeräumt. "Es handelt sich um einen Fehler der Web-Redaktion, der bereits korrigiert wurde.

Filzmaiers umstrittener Sager

Nach der Zeit im Bild 2 ebbte der Konflikt keineswegs ab. In der Sendung hatte Politikexperte Peter Filzmaier den Auftritt des ÖVP-Spitzenkandidaten analysiert und konstatiert, Kurz verpacke in jede Antwort auch das Migrationsthema. Filzmaier ließ sich zur Aussage hinreißen, Kurz "hat ein Glück, dass es nicht um Verkehrspolitik geht. Weil da hätte er wahrscheinlich auch argumentiert, das verkehrspolitische Problem sind Burkaträgerinnen, die illegal in zweiter Spur vor islamischen Kindergärten parken."

Falscher Zib-2-Faktencheck

Außerdem wurde im Faktencheck festgehalten, die Behauptung von Kurz, in seiner Amtszeit habe er die bilaterale Entwicklungshilfe verdoppelt, stimme nicht. Diese Festellung musste am Freitagabend in der Zib2 korrigiert werden. Österreich gab 2016 1,43 Milliarden für die Entwicklungshilfe, davon flossen 877 Millionen in die bilaterale Entwicklungshilfe und 555 Millionen in die multilaterale Hilfe (Geld für die UNO oder die Entwicklungshilfebank). Im ersten Faktencheck wurde der Kurz-These widersprochen, dass die bilaterale Hilfe während der Amtszeit des Außenministers verdoppelt wurde. Freitagabends erfolgte in der Zib2 die Richtigstellung, ohne auf die falsche Darstellung am Vorabend zu verweisen. (Wer der Sache nachgehen will, muss beide ORF-Sendungen in der TV-Thek nachsehen).  

Die 877 Millionen kommen tatsächlich einer Verdoppelung gleich, allerdings nur deshalb, weil jene 539 Millionen, die für Flüchtlinge aufgewendet wurden, in den Ausgabenposten bilaterale Hilfe eingerechnet werden. Weitere 20 Millionen fließen in den Auslandskatastrophenfonds, 77 Millionen in die österreichische Entwicklungshilfeagentur ADA.

Grüne Schlagseite bei Fragestellung?

Da auch eine Zeitung dem ORF eine „sehr freundliche Themenwahl zu Gunsten der Grünen“ vorwirft, stellt sich die Frage: Stimmt der Vorwurf?

Der Schreiber dieser Zeilen hat sich die Sendung noch einmal angesehen und kommt zu einer differenzierteren Betrachtung. Vier der Themen (Frauenpolitik, Ehe für alle, Ceta, Saudi-Zentrum) waren, wie man so schön sagt, ein aufgelegter Elfer für Lunacek, drei Themen waren für Kurz ein Heimspiel (Landflucht, Burka-Verbot, Mindestsicherung). Dass die Migrations-, Finanz- und Steuerpolitik umschifft wurde, hat Kurz geschadet. Umgekehrt wurden weder der Klimaschutz noch die Dieselaffäre noch Europa, also Lunaceks eigentliche Kernthemen, angesprochen. Resümee: Leichter Vorteil für Lunacek, aber keine Schlagseite, keine systematische Bevorzugung der grünen Spitzenkandidatin.

ORF-Themenauswahl

Im ORF wird festgehalten, dass sich die Themenauswahl auf mehrere TV-Duelle erstreckt, dass keineswegs bei jeder Sendungen ein- und dieselben Schlüsselthemen wie Migration oder Steuern angesprochen, sondern im Interesse des Zusehers die Themen über mehrere Duelle hinweg verteilt werden. Deshalb kam man etwa diesmal auf die Frage der Landflucht - ein ÖVP-Kernthema übrigens, dem sich vor allem Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter in der Vergangenheit gewidmet hatte - zu sprechen, die Erbschaftssteuer, der Dieselskandal, das Pariser Abkommen kamen nicht vor.