Bundeskanzler und SPÖ-Spitzenkandidat Christian Kern kämpft darum, den Rückstand gegenüber ÖVP-Herausforderer Sebastian Kurz aufzuholen. Er muss dafür auch im grünen Lager grasen. Wenige Stunden vor der Debatte im ORF kündigte Kern an, dass die SPÖ für ein Verbot von Glyphosat eintreten werde.
Die grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek wiederum setzt alles daran, den Abfluss grüner Wähler, verursacht durch lähmende Personaldebatten, zu stoppen, und die Position der Grünen als vierstärkste Partei zu behaupten. Sie muss sich dafür als linke Alternative zur SPÖ positionieren, der rechten Phalanx von Kurz und Strache etwas entgegensetzen und gleichzeitig die grüne Kernkompetenz als Umweltpartei unter Beweis stellen.
In der Schluss-Sequenz des Duells wurde diese direkte Fronstellung noch einmal deutlich. Eine "Richtungsentscheidung" beschwor der Kanzler. "Wenn man Schwarz-blau verhindern will, ist die richtige Adresse die SPÖ". Genau davor, vorder trügerischen Sicherheit taktischen Wählens nämlich, warnte Lunacek: "Da kann man aufwachen mit einer rot-blauen Koalition mit Doskozil."
Das Wort "Flüchtling" kam übrigens in der gesamten Debatte genau gar kein Mal vor. Thematisch wurde deutlich, dass Rote und Grüne vieles verbindet, in letzter Konsequenz aber so manches trennt: Beide sind für Maßnahmen, die der Klimaerwärmung entgegenwirken, aber nur Lunacek für die Abschaffung des Diesel-Privilegs und ein Verbot von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2030.
Beide sind für neue Arbeitszeitmodelle bis hin zur 35-Stunden-Woche - Lunacek rasch, Kern erst als längerfristige Perspektive. Und beide sind für eine gute Absicherung der so dringend benötigten ausländischen Pflegerinnen in Österreich, aber Kern im Wege einer Lohnpolitik, für die nicht er, sondern die Gewerkschaften zuständig seien, Lunacek auch im Wege der Beibehaltung der höheren Familienbeihilfe für die Kinder der Frauen, die in ärmeren EU-Staaten leben (andere Parteien wollen diese Beihilfe auf das niedrigere Kostenniveau dieser Länder senken).
Fazit: Beide Kandidaten haben ihre Botschaft an die eigenen Wählerinnen und Wähler platziert. Ulrike Lunacek gelingt es zunehmend, auf dem innenpolitischen Terrain Fuß zu fassen, Kern probt den Spagat zwischen differenzierter sachlicher Auseinandersetzung und eindimensional zugespitztem Signal gegen Schwarz-blau.
Das Duell zum Nachlesen:
20:59 Uhr: Letztes Thema: Mögliche Koalitionen. Lunacek wäre gern selbst Teil einer Regierung ohne FPÖ und warnt vor taktischem Wählen: "Da kann man aufwachen mit einer rot-blauen Koalition mit Doskozil." Geht Kern mit der SPÖ wirklich als Zweiter in die Opposition, wie das jetzt auch die SPD in Deutschland vorhat: "Jetzt geht es einmal darum, die Wahl zu schlagen. Mir ist jede Stimme recht." Kern zur FPÖ: "Ich bin der Meinung, man muss sich der FPÖ stellen. Die Deutschen es nicht einmal versucht, sich der AfD in offener Diskussion zu stellen." Kerns Plädoyer zum Abschluss: "Diese Wahl ist eine Richtungsentscheidung. Wenn man Schwarz-blau verhindern will, ist die richtige Adresse die SPÖ". Er habe einen Job sausen lassen für die Veränderung in Österreich, das sei ein Zehnjahresprojekt. Nachsatz: "Sie werden mich nicht los, Frau Lunacek."
20:56 Uhr: Und wie steht's mit dem steuerlichen Diesel-Privileg? Unwetter, Dürre seien Beleg für den Klimawandel, die Folgen greifbar. Diesel solle daher gleich viel kosten wie Benzin, so Lunacek. Aber der Ausstieg sei zentral. Anders Kern: Das Privileg solle bleiben, die Grenzwerte eingehalten werden, der Umstieg auf saubere Mobilität forciert werden. Dank und Anerkennung zollte Lunacek übrigens Kern für das Eintreten für das Glyphosat-Verbot, mit dem er auf die grüne Linie eingeschwenkt sei.
20:50 Uhr: Die SPÖ sei für einen freiwilligen Abschied von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2030, die Grünen wollen ein Gesetz, sieht Reiterer einen klaren Unterscheid zwischen Kern und Lunacek. So sei es, sagt Kern: Die Menschen hätten im guten Glauben ihre Autos gekauft, diese müssten erschwinglich werden, und es müsse ausreichend Tankstellen geben. Der Autoindustrie mit ihren 300.000 beschäftigten müsse geholfen werden, dass sie an der Spitze der Entwicklung steht. Lunacek glaubt nicht daran, dass die Wende ohne gesetzliche Vorgaben klappt: "Wir sind die letzte Generation, die den Kampf gegen den Klimawandel noch gewinnen können." Will sie auch Fahrverbote? Da zipfelt auch Lunacek zurück: "Das muss Wien entscheiden." Voraussetzungen seien entsprechende Tickets für die Öffis. Kern: "Keine Fahrverbote." Aber: Die Entwicklung von batteriegetriebenen Lkws müsse gefördert werden, da gebe es ein tolles Pilotprojekt mit MAN in Steyr.
20:46 Uhr: Das Klima und die beiden Dieselgipfel. Ist der Bonus für den Neukauf nicht eine Förderung der Autoindustrie? In erster Linie gehe darum, dass die Emissionsgrenzen eingehalten werden, sagt Kern. Lunacek: Da seien aber keine Nägel mit Köpfen gemacht worden, was die Nachrüstung betrifft. Keine Entschädigung. Kern: "Ich bin nicht der VW-Konzern." Lunacek: "Aber sie verhandeln mit denen." Kern: "Nicht die Dinge durcheinanderbringen." Die Politik werde dafür sorgen, dass Sammelklagen möglich seien. Lunacek: "Sie haben es nicht geschafft, dass die Autokonzerne Entschädigungen zahlen." Eine "populistische Zuspitzung" für Kern.
20:40 Uhr: Die Digitalisierung und die Vernichtung von Arbeitsplätzen - wo ist die Perspektive? Kern, will, dass möglichst viele Jobs in Österreich entstehen, auch durch die Forschungsförderung. Und betont, dass die Weiterbildung es den Menschen ermöglichen müsse, Schritt zu halten. Und dass die Gewinne, die durch die Digitalisierung entstehen, anders verteilt werden müssen. Lunacek steht zu einer Grundsicherung für die, die aus dem Erwerbsleben herausfallen, aber nicht zu einem "bedingungslosen" Grundeinkommen für alle. Und zu Bildung, Bildung, Bildung, für alle. Inklusive gemeinsamer Schule für die 6 - 14-Jährigen.
20:38 Uhr: Teilzeitbeschäftigte sollten Vollzeit arbeiten können, wenn sie es möchten, die Frauen nämlich, kontert Lunacek. Und zum Thema Arbeitszeitvekrürzung: Die letzte habe es vor 40 Jahren gegeben, auch damals zu einem Zeitpunkt, zu dem die Wirtschaft geboomt habe.
20:35 Uhr: Kern: Die Arbeitslosigkeit gehe zurück, die Wirtschaft wachsel. Thema sei im Moment, woher man überhaupt ausgebildete Arbeitskräfte bekäme. Und außerdem: Die Ungerechtigkeit, die darin besteht, dass Teilzeitkräfte Überstunden schlechter bezahlt bekommen. Neue Arbeitszeitmodelle sind das Credo von Kern. Die 35-Stunden-Woche sei interessant, aber nicht jetzt, sondern als längerfristige Perspektive.
20:34 Uhr: Die Wirtschaft, der Arbeitsmarkt sind jetzt Thema. Sind die Grünen mit der 35-Stunden-Woche näher an der Gewerkschaft als die SPÖ? Mag sein, sagt Lunacek. Tatsache sei: Der wachsende Druck am Arbeitsplatz mache die Leute krank. Ein Mittel, dem gegenzusteuern, sei die Verkürzung der Arbeitszeit.
20:33 Uhr: Und übrigens, so Kern: Eine Mehrheit mit Dänemark, Deutschland, den skandinavischen Ländern sei gescheitert, daher habe die SPÖ das Thema im Wahlkampf ad acta gelegt.
20:31 Uhr: Auch Lunacek will Klartext reden. Faktum sei, dass die Familienbeihilfe als Teil des Einkommens gesehen werde. Und wenn ein Teil dieses Einkommens wegfalle, werde das Folgen haben. Außerdem: Warum habe Kern als Kanzler nicht dafür gesorgt, dass die Pflegerinnen mehr verdienen? Da tut sich Kern leicht: Die Gewerkschaften sind zuständig...
20:29 Uhr: Kern habe gesagt, es drohe ein Pflegenotstand. Arbeitsmarktexperten sagten voraus, die Hälfte der Pflegerinnen würden nicht mehr kommen, wenn die Familienbehilfe gekürzt werde. "Ist das so?", fragt Reiterer? Kern trennt "Äpfeln von Birnen": Die Pflegerinnen müssten anständig bezahlt und ausgebildet werden, und gleichzeitig die Höhe der Familienbeihilfe dem Ausgabeniveau der Länder, in denen die Kinder leben, angeglichen.
20:27 Uhr: Österreich zuerst, noch einmal. Familienbeihilfe in österreichischer Höhe für Kinder, die in Rumänien leben. Warum findet Lunacek das nicht unangemessen? Lunacek malt ein Bild, das Bild der Pflegerinnen in Österreich. Österreich brauche diese Frauen, und viele von ihnen hätten Kinder, die sie nach österreich bringen würden, wenn die Betreuung in Rumänien nicht entsprechend gewährleistet sei. Außerdem: Das EU-Recht sei dagegen.
20:24 Uhr: Kern pariert. Es gebe dazu verschiedene Meinungen, auch die, dass CETA Job-Zuwächse zur Folge habe. Der Kanzler glaubt weder an das eine noch an das andere, sondern: Es gehe darum, die handelspolitischen Spielregeln mitzubestimmen, nicht von außen zuschauen müssen. "Ich hätte mich wegducken können, aber ich habe versucht, das Beste daraus zu machen, die Schiedsgerichte zumindest in Österreich nicht in Kraft treten zu lassen." Letzteres verspricht er, weiterhin.
20:23 Uhr: Lunacek nimmt das Stichwort Kanada (Magna) zum Anlass, das CETA-Abkommen anzusprechen, das gerade in Kraft getreten ist und dem auch Kern im EU-Rat zustimmte. Was sagt er dazu, dass CETA Arbeitsplätze vernichte, zum Beispiel durch Exporte von großindustriell verarbeitetem Rind- und Schweinfleisch aus Kanada?
20:21 Uhr: Frage an Lunacek: Der Beschäftigungsbonus als Geschenk an Großunternehmer, wie die Grünen formulierten? Lunacek will nicht gegen den Bonus wettern. Aber: Es bräuchte mehr Anreize für die Wirtschaft in Richtung Energiewende. Auch Kern will keinen reinen Mitnahmeeffekt für Großunternehmer sehen, auch wenn es das sicher gebe. Angesprochen wird die Firma Magna, die angeblich ganz massiv darauf setzt. Kern: Unternehmen, die Beschäftigte einstellen, sollen belohnt werden.
20:19 Uhr: Es geht um den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, und um EU-Zuwanderer, die Menschen in Österreich Arbeitsplätze wegzunehmen drohen. Kern: Wir wollen keinen Wettbewerb der Billiglöhne, sondern für alle eine faire Chance. Daher auch der Bschäftigungsbonus für in Österreich lebende Menschen.
20:17 Uhr: Christian Kern entschuldigt sich für ein Zitat von vor 30 Jahren, in dem er die Grünen als abgehoben bezeichnet hatte. Zur SPÖ: Die alten Muster haben sich aufgelöst. Alle Menschen haben die selben Chancen, ein sozialdemokratisches Grundprinzip. Reiterer fragt: Gibt es gleichere unter den Gleichen?
20:15 Uhr: Der Talk beginnt. "Frau Lunacek, wie abgehoben sind Sie wirklich", fragt Moderatorin Claudia Reiterer. Kern ist am Tisch, daher ist Reiterer am Zug, und nicht Tarek Leitner.
Claudia Gigler