Auf 14 Seiten erklärt der vom Innenministerium beigezogene Gutachter Gerhard Strejcek im Detail, warum die Wahlbehörden angeblichen "Scheinstaatsbürgern" nicht einfach das Wahlrecht entziehen können. Ob die österreichische Staatsbürgerschaft aufrecht ist, müsste genau geprüft werden. Dafür sei aber nicht die Wahlbehörde zuständig, das könne nur die Staatsbürgerschaftsbehörde klären.
Das Innenministerium hat das - der APA vorliegende - Gutachten eingeholt, weil das Vorbringen der FPÖ, angebliche türkische Doppelstaatsbürger aus den Wählerverzeichnissen zu streichen, bereits absehbar war. Gekostet hat es laut Auskunft des Ministeriums 9.000 Euro.
Strejcek tritt darin zunächst dem Versuch der FPÖ entgegen, mit der Übergabe eines Datensatzes an das Innenministerium eine "Massenstreichung" von rund 20.000 türkischen Migranten zu erreichen - weil diese per Erklärung und Teilnahme am Verfassungsreferendum die türkische Staatsbürgerschaft angenommen und damit die österreichische verloren hätten.
Zwar könne im (in der zweiten Augusthälfte abzuwickelnden) Verfahren zur Richtigstellung der Wählerverzeichnisse "jedermann" vorbringen, dass ein Wahlberechtigter zu streichen ist. Dies sei aber nur - mit Begründung versehen - für eine konkrete Person möglich, nicht für eine Gruppe. Die "bloße Überreichung oder Übersendung einer Liste" bzw. ein allgemeiner Berichtigungsantrag für mehrerer Personen auf einem Datenträger reiche nicht. Solches könnte sogar als mutwillig angesehen und mit Verwaltungsstrafe geahndet werden - wobei die Bestrafung aber, räumt Strejcek ein, totes Recht darstellen dürfte.
Die Möglichkeit der "Massenreklamation" sei - wie auch Ausführung des "Verfassungsvaters" Hans Kelsen zeigten - mit Absicht nicht im Wahlrecht vorgesehen. Denn das Berichtigungsverfahren solle der Rechtsgenauigkeit und der tatsächlichen Richtigkeit des Wählerverzeichnisses dienen - "und nicht zu politischer Agitation im Vorfeld einer Wahl missbraucht werden", schreibt Strejcek.
Zuständig für die Erstellung der Wählerverzeichnisse sind die Gemeinden. Bei ihnen kann eine Berichtigung beantragt werden - und gegen ihre Entscheidung kann Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden. Aber die Wahlbehörden bzw. das Bundesverwaltungsgericht seien nicht zuständig, umfassende Prüfungen durchzuführen, ob eine Staatsbürgerschaft verloren wurde.
Dies schon deshalb, weil ihnen die Wahlordnung ein enges Zeitkorsett gibt: Das Reklamationsverfahren startet am 15. August mit Auflegung der Wählerverzeichnisse, bis 24. August können Berichtigungsanträge eingebracht werden, bis 30. August müssen die Gemeinden entscheiden. Dagegen kann bis 1. September Beschwerde eingebracht werden, über die das Bundesverwaltungsgericht bis 5. September entscheiden muss.
Deshalb müssen sich die Wahlbehörden bzw. das Bundesverwaltungsgericht in der Frage, ob eine Staatsbürgerschaft besteht, auf Entscheidungen bzw. Auskünfte der zuständigen Behörden der Länder stützen.
Diese haben bereits im Frühjahr Feststellungsverfahren zu möglichen türkischen "Scheinstaatsbürgern" aufgenommen. Strejcek verweist hier auf die "geringe Bereitschaft ausländischer Behörden, an einer raschen Ermittlung mitzuwirken", also die nötigen Auskünfte zu erteilen.
Solange diese Verfahren aber noch anhängig sind, "wäre eine eigenständige Beurteilung (durch die Wahlbehörden, Anm.) im Vorfeld der Wahl problematisch" - gehe es doch um das verfassungsrechtlich gewährleistete Wahlrecht. Es könne "nicht pauschal" davon ausgegangen werden, dass alle Genannten tatsächlich "einen Verlusttatbestand gesetzt haben", sich also etwa der Folge ihrer Erklärung vor einer türkischen Behörde bewusst waren. Und es gebe auch zulässige Doppelstaatsbürgerschaften - etwa bei Eheschließung.
Zeitlicher Anknüpfungspunkt für die Staatsbürgerschaft ist der Stichtag, das war heuer der 25. Juli. Wahlberechtigt ist, wer am Stichtag Staatsbürger war und spätestens am Wahltag 16 Jahre alt wird. Wer seine Staatsbürgerschaft nach dem Stichtag verliert oder (durch ein Urteil eines Strafgerichts) danach vom Wahlrecht ausgeschlossen wird, "darf nicht aus dem Wählerverzeichnis gestrichen werden, auch wenn der Ausschluss am Wahltag womöglich bereits rechtskräftig geworden ist", erklärt Strejcek die Vorschriften der Wahlordnung.