Alois Mock plädierte 2004 für engere Beziehungen zu Österreichs Nachbarn, würdigte die EU-Skepsis der Briten, "die wir brauchen" und löckte wider den Stachel der schon damals erdrückenden Türkei-Skepsis in Österreich.
Wenige Monate nach der großen EU-Osterweiterung am 1. Mai 2004 betonte Mock, dass die Donaustaaten "natürliche Gesprächspartner" Österreichs seien, die einander kennen und ähnliche Interessen hätten. "Da können wir noch einiges mehr machen." Auch innerhalb der EU forderte er ein stärkeres Engagement Österreichs. "Das Mit-Tun ist wichtig. Es geht nicht, dass man immer dabei ist, aber nie da, wenn es einmal brenzlig wird", sagte Mock neun Jahre nach seinem Rückzug als Außenminister.
Das Interview wurde anlässlich des zehnten Jahrestages des österreichischen EU-Beitritts geführt. Mock zog damals eine positive Bilanz und hob als einen der größten Erfolge hervor, dass die hiesige Sozialpartnerschaft auf so manche EU-Prozesse "sehr abgefärbt" habe. Die "EU-Sanktionen" gegen die schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000 bezeichnete er gleichwohl als den "größten Rückschlag in der Geschichte der EU". Eine Alternative zur EU-Mitgliedschaft gebe es nicht. "Ich habe immer gesagt, wir müssen drinnen sein und nicht draußen, weil wir nur dann mitreden können."
Jahre vor der Eurokrise bezeichnete Mock die Aushöhlung des Euro-Stabilitätspakts durch Berlin und Paris als "gefährlich" für die EU. Wenn nämlich die Regeln nicht eingehalten würden, "sind auch andere nicht mehr bereit, sich an Vorschriften zu halten". Überhaupt zeigte sich Mock überrascht, dass die Einführung des Euro so reibungslos von statten gegangen sei. "Ich war nicht so sicher, ob es wirklich gelingt, dass die Währungsunion zustande kommt", sagte er mit Blick auf die starke emotionale Verbundenheit etwa der Deutschen mit ihrer Mark. Eigentlich hätte er sich mehr Fortschritte in der Außen- und Sicherheitspolitik erwartet. Hier werde es aber wohl noch "ein oder zwei Generationen brauchen", bis eine gemeinsame Politik entstehe, weil es sich um einen "emotional ungeheuer empfindsamen Bereich" handle.
Mock warnte davor, für eine engere Integration eine Spaltung der EU in Kauf zu nehmen. Man solle lieber auf die EU-Verfassung verzichten als die Briten auszuschließen, sagte er mit Blick auf das damals wahrscheinliche Szenario einer Ablehnung des neuen EU-Vertrags durch London. "Wir brauchen diese Skepsis, die lange Erfahrung der Engländer", sagte er. Angesichts der langjährigen "Inselmentalität" Großbritanniens sei ohnehin erstaunlich, wie viele Integrationsschritte sie schon mitgemacht hätten. Tatsächlich scheiterte die EU-Verfassung an Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden, doch die Briten wurden der Integration mittlerweile auch überdrüssig.
Im Dezember 2004 verständigten sich die EU-Staaten auf den Beginn von Beitrittsgesprächen mit Ankara, der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) flankierte dies mit dem Versprechen, jedenfalls ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft der Türkei abzuhalten. Mock sagte, er lehne einen EU-Beitritt der Türkei nicht grundsätzlich ab, "ich werde ihn aber sicher nicht mehr erleben".
Man dürfe die Frage des EU-Beitritts der Türkei "nicht so sehr aus dem Augenblick beurteilen", sagte Mock. Es könnte diesbezüglich nämlich rasante Veränderungen geben, zog der Ex-Außenminister einen Vergleich mit der österreichischen Geschichte: "Wir haben noch vor 150 Jahren ungefähr 8.000 Bauern aus dem Land Salzburg verbannt, weil sie Protestanten werden wollten. Da greift man sich an den Kopf, dass das überhaupt möglich war."
Mock erinnerte daran, dass die Türkei dem Westen im Kalten Krieg noch als Bollwerk gegen den "sowjetischen Expansionismus" willkommen gewesen sei. Kaum sei das vorbei gewesen, habe man in den Beziehungen zur Türkei die Frage der Menschenrechte entdeckt. Es könnte aber durchaus sein, dass man bald wieder auf die Türkei als strategischen Partner angewiesen sein könnte. "Wer weiß, was die Zukunft noch an bösen Möglichkeiten bereithält", so Mock, der damals wohl nicht die Flüchtlingskrise im Sinn gehabt haben dürfte.
"So rasch wie möglich" solle dagegen der EU-Beitritt der Staaten des Westbalkan erfolgen. Den Vorwurf, dass er sich nur für die Kroaten stark mache, wies Mock zurück. Es sei "gar keine Frage", dass auch Serbien und Bosnien-Herzegowina zu Europa gehörten. Belgrad müsse aber seine Verpflichtungen zur Auslieferung von Kriegsverbrechern umsetzen, während Sarajevo mit einer "komplizierten und teilweise unwirksamen Verfassungsstruktur" zu kämpfen habe. Dagegen sagte er zur Ukraine, deren EU-Perspektive sei "genauso" langfristig zu sehen wie jene der Türkei. Die EU solle Kiew mehr Hilfe und Zusammenarbeit anbieten, aber auch ihre Kooperation mit Russland verstärken - zugleich aber "deutlich sagen, wenn man etwas zu kritisieren hat".