Herr Vizekanzler Brandstetter, waren Sie überrascht von dem Angebot, Vizekanzler zu werden?
Wolfgang Brandstetter: Ja, durchaus. Ich habe die Spekulationen in den Medien für ein Gerücht gehalten, was es zu dem Zeitpunkt auch war. Dann erst gab es das Gespräch mit Außenminister Kurz, in dem er mir gesagt hat: „Ich will noch realisieren, was geht mit dieser Regierung, die grundsätzlich eigentlich am Ende ist.“

Warum ist sie am Ende?
Brandstetter: Weil das gegenseitige Vertrauen – das ist meine Interpretation – einfach fehlt. Wir werden da nicht mehr viel zustande bringen. Aber was noch möglich ist, soll in konstruktiver und anständiger Weise verwirklicht werden.

Hat Kurz gesagt, warum Sie?
Brandstetter: Ja: „Weil du jemand bist, der auch mit allen Vertretern der SPÖ-Regierungskoalition sehr gut ausgekommen ist.“ Und das stimmt auch. Er hat mir auch gesagt: „Ich möchte bewusst jemanden haben, der nicht als Provokation aufgefasst werden kann.“

Waren Sie gekränkt über die anfängliche Ablehnung durch Bundeskanzler Kern?
Brandstetter: Ich glaube nicht, dass die mit mir zu tun hatte. Wenn so ein Regierungsprojekt scheitert, dann erzeugt das auf beiden Seiten viel Frust. Der muss einmal abgebaut werden, das muss man verstehen.

Kommt der Frust von zu langer politischer Zusammenarbeit?
Brandstetter: Ich habe mir schon oft gedacht: Wenn man während eines laufenden Spiels mehr als die Hälfte der Mannschaft austauscht, dann ist klar, dass der Spielfluss darunter leidet. Ich bin einer der ganz wenigen, die jetzt noch in dieser Regierung sind und in derselben Funktion. Das führt natürlich immer wieder zu Friktionen.

Könnte auch erfrischend sein.
Brandstetter: Ja, aber letztlich hat es die Regierung nicht geschafft, den Teamgeist zu entwickeln, der notwendig gewesen wäre, um noch mehr herauszuholen.


Wir haben uns gewundert, dass am Tag nach dem Ende vier Beschlüsse gefasst werden konnten. Ist jetzt Vertrauen da?
Brandstetter: Wenn man weiß, es gibt ein Ablaufdatum, fällt es oft leichter, sich auf das zu einigen, was noch geklärt werden muss. Das ist ja auch im kleinen, zwischenmenschlichen Bereich so. Es gibt den gemeinsamen Willen, noch mit Anstand und Würde zu beenden, was wir begonnen haben. Das ist auch ganz im Sinne des Herrn Bundespräsidenten, der sehr stark betont hat, dass wir alles vermeiden sollen, was von der Öffentlichkeit als Chaos aufgefasst werden kann.

Was heißt Chaos? Das freie Spiel der Kräfte im Parlament?
Brandstetter: Ich denke, der Begriff Chaos ist in diesem Kontext zu stark. Wenn es zum freien Spiel der Kräfte kommt, heißt das nicht, dass man sich nicht auch daneben trotzdem einigen kann über andere Dinge. Aber die Gefahr ist groß, dass die Sache eskaliert im Sinn einer noch größeren Emotionalität, dass dieser Minimalkonsens nicht mehr gefunden werden kann. Das würde mir meine Arbeit alles andere als erleichtern. Wird die Koalitionsvereinbarung mehrfach gebrochen, besteht die Gefahr von Chaos schon.

Was ist eigentlich Ihre Arbeit? Sie sind jetzt der Platzhalter, der Mitterlehner nicht sein wollte?
Brandstetter: Ich weiß nicht, ob der Ausdruck Platzhalter richtig ist. Ich habe eine sachpolitische Aufgabe übernommen, nicht mehr und nicht weniger. Es ist für mich mit keinen sonstigen Ambitionen verbunden.

Ein untypischer Vizekanzler?
Brandstetter: Mit Sicherheit ein höchst untypischer Vizekanzler, parteifrei und mit Ablaufdatum.

Wie wollen Sie die Zeit nützen?
Brandstetter: Die Leute erwarten sich, dass man jetzt die Vernunft siegen lässt und die Emotionen, die auf beiden Seiten verständlich sind, herunterschraubt. Es ist eine schwierige Pendelmission zwischen den Fronten.

Der Vorwurf der SPÖ war, Kurz setzt Sie als Marionette ein. Sie sagen, er hat Sie zum Arbeiten geholt. Wie arbeiten Sie?
Brandstetter: Ich muss das machen, was jeder Masseverwalter machen muss. Kassasturz, schauen, welche Projekte wir noch haben, in welchem Stadium sie stehen. Man darf nicht vergessen, es gibt schon einige Projekte, die sind so gut wie fertig, die kann man gleich erledigen.

Können Sie die auflisten?
Brandstetter: Könnte ich, aber da werden wir nicht fertig.

Die 17 Punkte von SPÖ und ÖVP oder mehr?
Brandstetter: Natürlich mehr. Diese Projekte zehn plus sieben, die hat man sich halt ganz am Anfang übermittelt. Jetzt kommt man drauf, da ist einiges nicht enthalten, was längst im Parlament liegt.

Was sagen Sie zum Vorwurf, dass der Vertrauensverlust in der Regierung von Sebastian Kurz wesentlich mitverursacht wurde?
Brandstetter: Es war in der letzten Zeit immer ein wechselseitiges Hauen und Stechen, das auch Erfolge überlagert hat. Es entstand der Eindruck, diese Regierung streitet nur, sie bringt nichts weiter, was ganz so auch nicht stimmt.

Sie haben ein gutes persönliches Verhältnis zu Christian Kern. Ist das wichtig in der Politik?
Brandstetter: Eigentlich geht es immer nur um Vertrauen. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte, die mich mit Christian Kern verbindet. Sie wissen, ich hab ein gewisses Faible für Krawatten. Im Pendlerzug ist mir vor Jahren die schöne Krawatte eines Schaffners aufgefallen. „Die sind nur fürs Personal“, wehrte der entschieden ab, als ich fragte, ob man die kaufen könne. Ein Mitpendler hat mir dann eine organisiert. Als der Schaffner fragte, woher ich sie habe, sagte ich: „Von einem ÖBB-Mitarbeiter, ich glaube, er hieß Kern.“ Er hat das geglaubt. Kern hat sehr gelacht über die Geschichte und mir die neueste Version der ÖBB-Krawatte geschickt.

Tragen Sie die?
Brandstetter: Beim Ministerrat habe ich sie öfter getragen, sie gefallen mir beide sehr gut.

Für die Verhandlungen jetzt?
Brandstetter: Nein, das wäre aufgesetzt, das tu ich nicht.

Was drücken Krawatten aus?
Brandstetter: Eine kulturelle Botschaft. Ein Beispiel: Wir verwenden die Motive der Wiener Werkstätten als Gastgeschenke für Botschafter im Ausland auf Krawatten. Das ist Ausdruck unserer kulturellen Identität.

Sebastian Kurz sieht man selten mit Krawatte.
Brandstetter: Ich werde auch weiterhin versuchen, den Herrn Außenminister davon zu überzeugen. Manchmal folgt er mir schon, manchmal nicht.

Da bin ich ja froh, dass ich mir noch eine umgebunden habe.
Brandstetter: Jetzt hörn Sie auf! Ich bin das von meinen Gesprächen mit dem Herrn Außenminister gewohnt, dass das heute nicht mehr so üblich ist. Vielleicht ist es ja auch eine Altersfrage.

Sind Sie eigentlich auf Facebook oder Twitter?
Brandstetter: Nein! Ich weiß, ich bin altmodisch.

Sie könnten ja einen Kompromiss versuchen: Der Außenminister trägt Krawatte, Sie gehen auf Facebook.
Brandstetter: (Lacht). Ehrlich gesagt, mir ist Äußeres nicht so wichtig. Aber mir hat zu denken gegeben, was Frau Glawischnig bei ihrem Abschied gesagt hat. Das war ein würdiger und respektabler Rücktritt, weil sie zu Recht davor gewarnt hat, dass die Aggressionen in der Politik und in den sozialen Medien immer stärker geworden sind. Das führt dazu, dass die Leute in der Politik aufgerieben werden. Darum kämpfen wir gemeinsam gegen den Hass im Netz.

Deshalb halten Sie sich fern vom Netz?
Brandstetter: Ich bin einer der letzten analogen Minister. Solange nicht irgendwann wo steht, er ist der letzte Minister, der Krawatten trägt, ist es mir recht.