Angesichts des innenpolitischen Chaos der vergangenen Woche - Rücktritt von ÖVP-Chef Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, Übernahme der Volkspartei durch Außenminister Sebastian Kurz und dem de facto Bruch der Koalition sowie Neuwahlen im Oktober - und den schlechten Umfragedaten für die Grünen könnte sich die Entscheidung von Ulrike Lunacek, sich an die Spitze des Wahlkampfes setzen zu lassen, als Himmelfahrtskommando erweisen. Mit einem Zuwachs der Grünen bei den Wahlen wird praktisch nicht mehr gerechnet, es geht eher darum, ein stärkeres Abrutschen zu verhindern.
Europapolitisch versiert
Lunacek, die in einer Woche ihren 60. Geburtstag feiert, hat sich in den vergangenen Jahren nach anfänglichen Querelen mit Johannes Voggenhuber als Stabilitätsfaktor der Grünen auf nationaler und internationaler Ebene erwiesen. Seit 2013 ist sie auch Vizepräsidentin der Grünen Fraktion im EU-Parlament und Kosovo-Berichterstatterin. Beim vergangenen EU-Wahlkampf 2014 konnten die Grünen deutlich zulegen. Lunacek legte einen fehlerfreien Wahlkampf hin, war sachlich versiert und machte sich auch im EU-Parlament selbst einen Namen.
Gekämpft hat Lunacek für so ziemlich alles, was sie bisher erreicht hat. Ihr Selbstbewusstsein schöpfte die bekennende Lesbe unter anderem aus ihrem Einsatz für die Rechte Homosexueller. Lunacek wurde am 26. Mai 1957 in Krems an der Donau geboren. Die Tochter des Generaldirektors der Raiffeisenwarenzentrale wuchs schnell zu einer weltoffenen Frau heran. Als Dolmetschstudentin für Englisch und Spanisch in Innsbruck unternahm sie unter anderem mehrere Südamerika-Reisen.
Aktiv für die Rechte der Frauen
Schon früh war Lunacek für die Rechte von Frauen aktiv. Sie war etwa beim Aufbau des Innsbrucker Frauenhauses involviert, war Redakteurin des Magazins "Südwind" und Obfrau des Vereines "Frauensolidarität". Weitere Stationen der passionierten Schwimmerin: Der Sportverein für Lesben und Freundinnen "Marantana", das Österreichische Lesben- und Schwulenforum und das Wiener "TheaterBrett", wo sie als Pantomime auftrat.
1994 delegierte der Österreichische Informationsdienst Lunacek zur UNO-Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung nach Kairo. 1995 koordinierte sie die Pressearbeit der nichtstaatlichen Organisationen (NGO) zur UNO-Weltfrauenkonferenz in Peking.
In denkbar schlechten Zeiten stieß Lunacek zu den Grünen. Sie kandidierte 1995 erstmals für den Nationalrat und erlebte eine vernichtende Niederlage der Partei. Ein Mandat blieb ihr vorerst verwehrt. Entschädigt wurde Lunacek ein Jahr später, als sie zur Grünen Bundesgeschäftsführerin avancierte. 1999 gelang schließlich der Sprung in den Nationalrat.
Selbstbewusste Anwältin der Homosexuellen
Im Hohen Haus angelangt, konnte Lunacek unbeirrt für die rechtliche Gleichstellung und soziale Akzeptanz homosexueller Menschen auftreten. Das tat sie stets mit Selbstbewusstsein, einengen ließ sie sich auf eine derartige Rolle allerdings nicht. Als außenpolitische Sprecherin holte sie sich auch - neben ihrer regen Reisetätigkeit und Sprachgewandtheit - das notwendige Rüstzeug für das Europaparlament.