Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl gibt Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) einen großen Teil der Verantwortung an der Scheidung der rot-Schwarzen Koalitions-Ehe. Die Präsentation des "Plan A" exakt am Tag der ÖVP-Klubklausur Anfang Jänner sei ein Foul gewesen. Auch Äußerungen Kerns, das das Wahlmatch Kern-Strache laute oder andere Koalitionspartner wären ihm eigentlich lieber, verurteilte Leitl am Donnertag im Wiener Klub der Wirtschaftspublizisten.

"So etwas gehört sich einfach nicht," so Leitl. "Das hat eine Atmosphäre der Beleidigtheit produziert, die schlussendlich zur Eskalation geführt hat." Dabei hätten die Analysen von Kern und ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner zum Standort Österreich und die daraus resultierenden Reformschritte sehr übereingestimmt. "Wie sie aber mit dieser Analyse umgegangen sind, war schlecht."

Vor der eigenen Partei-Tür kehrte Leitl ebenfalls. Ohne den ehemaligen niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll als Initiator des Abtauschs von Innenministerin Johann Mikl-Leitner durch Wolfgang Sobotka namentlich zu nennen, wertete Leitl diesen Akt als öffentliche Demontage. Dieses Bild sei verheerend gewesen, "so etwas soll Sebastian Kurz nicht haben." Insofern befindet er es für richtig, dass Kurz nun schlussendlich die "Entscheidungsgewalt" in der Partei habe. Er selbst fühle sich auch als Wirtschaftsbundpräsident nicht entmachtet.

Wirtschaftsminister Schellhorn? Leitl: "Ich habe gelacht"

Dass Kurz den Neos-Politiker Sepp Schellhorn angeblich gern als Wirtschaftsminister haben wollte, kommentierte Leitl allerdings so: "Ich habe gelacht." Zur Wirtschaftskompetenz des neuen ÖVP-Obmann äußerte sich Leitl diplomatisch. Auch als Integrationsstaatssekretär und dann Außenminister habe er sich extrem schnell eingearbeitet. "Er hat das rasch in gute Kompetenz umgesetzt. Die internationale Resonanz auf ihn ist eine beeindruckende".

Zu den schwierigen Sozialpartnerverhandlungen zur Arbeitszeitflexibilisierung und dem Mindestlohn hält sich Leilt über die Punkte, an denen es sich besonders spießt, weiterhin bedeckt. Sie liegen allerdings auf der Hand: In vielen Branchen, die die Wirtschaftskammer vertritt, ist der Mindestlohn nur mit mehrjährigen Übergangsfristen zu schaffen. Die Arbeitnehmerseite hat mehrfach betont, dass temporäre Ausweitungen des Tagesarbeitzeit auf zwölf Stunden nicht zu Lasten bestehender Überstundenzuschläge gehen dürfen.


Fehlenden Druck, weil das Ultimatum per Ende Juni mit dem drohenden Machtentzug nicht mehr wirke, stellte der Wirtschaftskammerpräsident in Abrede. "Wenn wir es uns leicht machen wollten, könnten wir uns darauf ausreden." Er sehe aber auch auf der Arbeitnehmerseite absolut ernsthaftes Bemühen, eine zukunftsorientierte Lösung zustande zu bringen. Der 30. Juni bleibe aufrecht. Es sei an der Sozialpartnerschaft, zu liefern, so Leitl. Das nicht zu tun, sei die uneleganteste Lösung. Mit einem Seitenhieb Richtung Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP), der kürzlich in einem Interview gesagt hatte, die Sozialpartnerschaft sei tot, meinte Leitl "Totgesagtes lebt bekanntlich am längsten." Die Gespräche seien sehr vertrauensvoll und inhaltlich spannend. Das Vertrauen der Menschen in die Sozialpartnerschaft müsse man nun rechtfertigen.

Dickes Lob für Hammerschmid

Bei der Gewerbeordnung, die zur wenig freudigen Überraschung der ÖVP am Mittwoch nicht abgesegnet wurde, hofft Leitl noch auf Einsicht der SPÖ. Die durchwegs negativen Erfahrungen in Deutschland mit dem zu freien Zugang zu vielen Gewerben und der voraussichtlichen Rücknahmen nach den Bundestagswahlen sollten Österreich eine Lehre sein. Leitl: "Es kann nur dumm sein, nicht aus den Fehlern anderer zu lernen." Eine Verzögerung bei der Gewerbeordnung bedeute vor allem eine spätere finanzielle Entlastung etwa für neue Firmengründer.


Außerdem will Leitl in der nun angebrochenen politischen Nachspielzeit - "da können die schönsten Tore fallen" - unbedingt die Reformvorschläge von Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) beschlossen wissen. Ambitioniert seien viele vor ihr gewesen, sie habe aber ein gutes Ergebnis geliefert, wenn es auch kein Gesamtpaket sei. Dieser Schritt solle nicht im Nirvana untergehen.